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100 Tage Bundesrat Jans: Die Bewährungsprobe folgt erst

Bundesrat Beat Jans kommt mit seinen Mitarbeitern zu einer Medienkonferenz ueber seine ersten 100 Tage im Amt, am Dienstag, 2. April 2024 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bundesrat Beat Jans und seine Mitarbeiter auf dem Weg zur 100-Tage-Medienkonferenz.Bild: keystone

100 Tage Bundesrat Jans: Ein «Feind» des Rechtsstaats als Justizminister

Schnellere Asylverfahren, bessere Integration der Ukrainer, mehr Lohngleichheit: Der neue SP-Justizminister Beat Jans präsentiert nach 100 Tagen im Amt eine ambitionierte Agenda.
03.04.2024, 04:5303.04.2024, 15:10
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Mit der Justiz hatte Beat Jans wenig am Hut. Als links sozialisierter Jugendlicher im «roten» Basel habe er den Rechtsstaat «eher als Problem» angesehen, gab der neue SP-Bundesrat am Dienstag an seiner 100-Tage-Medienkonferenz offen zu. Nach seiner Wahl im letzten Dezember musste er jedoch das Justiz- und Polizeidepartement übernehmen.

Mit dessen Themen kam er auch in seiner politischen Karriere nie gross in Kontakt. Hat Jans also «Pech gehabt», wie es nach der Departementsverteilung teilweise hiess? «Stimmt nicht!», erwiderte der 59-Jährige eindringlich. Das EJDP sei ein spannendes Departement, in dem viele Fäden zusammenlaufen und viele Themen den Alltag der Menschen prägen.

Diese Erfahrung hatten vor Jans schon andere gemacht, etwa Simonetta Sommaruga. Und das gestörte Verhältnis zum Rechtsstaat ist längst Geschichte. Mit 25 Jahren war der gelernte Landwirt für Helvetas in Haiti aktiv und hatte miterlebt, wie ein einheimischer Mitarbeiter wegen seines politischen Engagements inhaftiert und gefoltert wurde.

«Grossartige Errungenschaft»

Die Ohnmacht und Verzweiflung, die er empfunden habe, bewegten ihn noch heute und hätten ihn zur Erkenntnis gebracht, «dass ein funktionierender Rechtsstaat eine grossartige Errungenschaft ist, die es zu verteidigen und zu pflegen gilt», sagte Jans am Dienstag. In diesem Sinn und Geist präsentierte er ein Bündel an Massnahmen.

Seine Vorgängerin und Parteikollegin Elisabeth Baume-Schneider war in dem ihr ebenfalls «fremden» EJPD nie angekommen und hatte nach nur einem Jahr die «Flucht» ergriffen. Beat Jans will einen ähnlichen Eindruck gar nicht aufkommen lassen. Schon während seiner «Schonfrist» besuchte er die Bundesasylzentren in Chiasso und Boudry.

Mehr Personal für Pendenzenabbau

Der «Asyldruck» auf die Schweiz und Europa ist hoch. Ein Justizminister kann sich den Eindruck von Passivität nicht erlauben. 15’000 hängige Asylgesuche seien «zu viel», sagte Jans. Sie sollen mit zusätzlichem Personal abgebaut werden. Die Suche nach Unterkünften ist eine permanente Herausforderung, die nur mithilfe des Militärs bewältigt werden kann.

Le conseiller federal Beat Jans, deuxieme depuis la droite, parle avec le conseiller d'Etat neuchatelois Alain Ribaux, deuxieme depuis la gauche, la conseillere d'Etat neuchateloise Florence ...
Am 20. März besuchte Beat Jans das Asylzentrum in Boudry (NE), wo sich die Anwohner über Belästigung und Kriminalität beklagen.Bild: keystone

Daneben hat der Jans diverse Massnahmen präsentiert, mit denen er in den eigenen Reihen aneckte. Dazu gehören mehr 24-Stunden-Verfahren, wie sie in Zürich von November bis Februar getestet wurden. Bundesasylzentren sollen an Wochenenden nur für vulnerable Personen geöffnet und Gesuche mit geringer Erfolgschance schriftlich begründet werden.

Applaus von der SVP

Dafür erhielt Bundesrat Jans sogar von der SVP zaghaften Applaus (was nicht viel bedeutet). Aus dem eigenen linken Lager gab es hingegen teilweise heftige Kritik. «Ich bin sicher, dass Beat Jans ehrlich nach Lösungen sucht. Aber die aktuellen Ankündigungen machen mir Sorge», meinte SP-Co-Präsident Cédric Wermuth gegenüber watson.

Bei den 24-Stunden-Verfahren allerdings konnte Beat Jans am Dienstag ein positives Fazit ziehen. In Zürich habe man 70 Prozent weniger Asylsuchende aus den Maghreb-Staaten. Die Verfahren sollen deshalb ausgeweitet werden. Bei den Wochenend-Schliessungen und den schriftlichen Gesuchen äusserte sich Jans hingegen auffällig zurückhaltend.

Probleme mit Italien

Die «irreguläre» Migration ist ein Phänomen, das ganz Europa beschäftigt, wie Jans auf eine Frage von watson erklärte. Er nimmt als einziges Mitglied des Bundesrats an den entsprechenden Treffen der Europäischen Union teil, weil die Schweiz ein assoziiertes Mitglied von Schengen/Dublin ist (sie kann mitreden, aber nicht mitentscheiden).

Für den «europhilen» Basler gibt es keine Alternative zu einer gemeinsamen Asylpolitik. Ein Problem dabei ist, dass Italien seit einiger Zeit keine Rückführungen mehr zulässt und damit gegen das Dubliner Abkommen verstösst. Beat Jans will intervenieren, auch wenn er sich keine grossen Hoffnungen macht («es wird nicht einfach sein, Frau Meloni zu überzeugen»).

Kontroverse um Schutzstatus S

Wenig Optimismus hat Beat Jans auch bezüglich den Eritreern, die in der Schweiz immer wieder durch Krawalle auffallen, zuletzt an Ostern in Gerlafingen (SO). Das ostafrikanische Land akzeptiert jedoch keine Rückschaffungen aus Europa. Ein Verbot von Veranstaltungen wie in Gerlafingen beurteilt Jans skeptisch, mit Verweis auf die Meinungsfreiheit.

Ein weiterer Problemfall sind die Geflüchteten aus der Ukraine. Ihre Integration in den Arbeitsmarkt erfolgt schleppend, auch wegen Sprachbarrieren. Und der Schutzstatus S wird immer öfter infrage gestellt. Jans allerdings verwies auf die EU-Treffen. Dort seien vor allem die osteuropäischen Nachbarländer vehement gegen dessen Abschaffung.

«Arbeit prägt die Migration»

Gleichzeitig hätten gerade diese Länder besonders viele Ukrainer aufgenommen. Oft sind sie sogar froh darüber, weil sie in den Westen «ausgewanderte» Einheimische auf dem Arbeitsmarkt ersetzen. Für den Justizminister hat die Integration der Ukrainer Vorrang. Er will dem Bundesrat Anfang Mai ein entsprechendes Massnahmenpaket unterbreiten.

Auch wenn die Asylpolitik für Aufregung und Schlagzeilen sorgt: «Nicht Flucht, sondern Arbeit prägt die Migration», betonte Beat Jans vor den Medien. Allerdings müsse man die Zuwanderung bewältigen, räumte er ein, etwa durch eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Auch dazu plant Jans einen Bericht vorzulegen.

Kritik am Kantönligeist

Akzente setzen will der Justizminister auch im Bereich Sicherheit, vor allem bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Die «negative Entwicklung» bei der Kriminalstatistik beschäftigt ihn ebenfalls, wobei Jans unverblümte Kritik am «Kantönligeist» und dem oft mangelhaften Austausch von Informationen übte.

Für einen Sozialdemokraten beschränkt sich Sicherheit nicht auf Verbrechensbekämpfung. Jans kündigte ein verstärktes Engagement bei Themen wie Armutsbekämpfung, ungleichen Frauenlöhnen («das ist und bleibt ein Skandal und verstösst gegen die Verfassung») oder häuslicher Gewalt an. Damit wird er nicht zuletzt in den eigenen Reihen punkten.

«Zäme goht’s besser», heisst auf Baseldytsch das Motto von Beat Jans’ Arbeit im EJPD. In einer Tamedia-Umfrage erhielt er die beste Note aller Bundesratsmitglieder. Das muss nicht viel heissen und hat sicher mit seiner sympathischen Ausstrahlung zu tun. Der Start ist dem einstigen «Feind» des Rechtsstaats gelungen, aber die Bewährungsprobe kommt erst.

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85 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rikki-Tiki-Tavi
03.04.2024 06:20registriert April 2020
Wenn seine ersten 100 Tage wirklich die Richtung weisen, wird es richtig, richtig gut mit ihm als BR.
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Esthi
03.04.2024 06:30registriert April 2023
Der Wechsel von Baume-Schneider zu Beat Jans im Justizdepartement hätte nicht besser sein können. Mir gefällt, was er macht. Weiter so 👍🏼
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Peter D
03.04.2024 06:26registriert Januar 2023
Erfrischend zu sehen, mit welchem Elan neue Bundesräte die Probleme angehen. Wir müssen wegkommen vom Stillstand, es braucht endlich eine Diskussion über die Amtszeitbeschränkung von Bundesräten auf maximal 8 Jahre.
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