Um ein Kilogramm Kokain herzustellen, werden im südamerikanischen Dschungel rund 700 Kilogramm Koka-Blätter verarbeitet.Bild: AP/AP
In der Schweiz werden über 13 Kilo Kokain konsumiert – pro Tag
Der Kokainmarkt ist grösser als alle anderen
Betäubungsmittelmärkte zusammen –
Cannabis ausgenommen. Eine neue Studie
zeigt, wie der Markt funktioniert, was er umsetzt
und was ihn antreibt. Diese Ergebnisse
sollen nun zu einer Debatte für eine bessere
Drogenpolitik beitragen.
Nein, es sind nicht nur
Banker, die sich für bessere
Leistungen Kokain
in die Nase ziehen. Bauarbeiter
koksen genauso
wie Hausfrauen und
Ärztinnen. Die grosse Vielfalt der Kokainkonsumenten
in der Schweiz ist eine der
Haupterkenntnisse einer neuen Studie
von Sucht Schweiz, die in Zusammenarbeit
mit dem Institut für Kriminologie
der Uni Lausanne und dem Institut für
Sozial- und Präventivmedizin des Unispitals
Lausanne erarbeitet wurde.
Ganze Ladungen
voll Kokain gehen
der hiesigen Polizei
selten bis nie
ins Netz. Meistens
werden kleinere
Mengen – 5 Kilogramm
– aufs Mal
geschmuggelt.
Im Handel auf der
Strasse sind
1-Gramm-Kugeln
die häufigste
Währung.Bild: AP/dpa
Die Menge, die eine einzelne Person
konsumiert, unterscheidet sich stark:
Die grosse Mehrheit kokst gelegentlich,
etwa am Wochenende. Im Schnitt beläuft
sich die Konsumation auf rund 10
Gramm Kokain pro Jahr – was laut Experten
für die Gesundheit unbedenklich
ist. 20 Prozent der Konsumenten
koksen aber deutlich mehr.
Die Studienautoren
unterscheiden bei den regelmässigen
Koksern zwischen Personen mit Drogenvergangenheit, etwa
früheren Heroinsüchtigen, und Personen,
die sozial gut integriert sind, Job
und Familie haben – und nebenbei
mehr als 4 Gramm Kokain pro Woche
sniffen. Das ergibt aufs Jahr 230
Gramm.
Diese 5 Städte haben die meisten Kokain-Quellen im Abwasser
Video: srf/SDA SRF
Konsum stagniert
Untersucht haben die Forscher zwar
den Markt im Kanton Waadt, die Erkenntnisse
liessen sich aber weitgehend
auf die Schweiz anwenden, wie
Frank Zobel, Vizedirektor von Sucht
Schweiz, sagt. Wenn also die Waadtländer
pro Tag rund 1,3 Kilogramm Kokain
einnehmen, bedeutet dies für die
ganze Schweiz rund 13,7 Kilo bei
100'000 bis 150'000 Konsumenten.
Die Ergebnisse decken sich mit Untersuchungen
von Abwasser, die unlängst
in fünf Städten durchgeführt wurden –
daraus lassen sich Rückschlüsse auf
den Kokainkonsum ziehen.
Die Waadtländer Studie ist in ihrer
Form einzigartig, weil sie über die
Menge des Konsums hinaus Erkenntnisse
liefert. So deckt sie nicht nur die
Umsätze, den Gewinn und wahrscheinliche
Stundenlöhne von Drogendealern
auf (34 bis 78 Franken pro Stunde). Sie
beschreibt auch, wie die Ware in die
Schweiz kommt, wie und in welcher
Form sie geschmuggelt wird und wie
das Auftreten von Nigerianern und anderen
Westafrikanern eine neue Dynamik
im Markt auslöste: Die Droge wurde
billiger.
«Wer Kokain auf der Strasse
kauft, weiss nicht, was
tatsächlich drin ist.»
Frank Zobel, Vizedirektor Sucht Schweiz
Ein Gramm Kokain kostet rund 100
Franken, in den Neunzigern zahlten Konsumenten dafür noch 300 bis 500
Franken. Dass der Konsum deswegen
gestiegen ist, lasse sich so nicht belegen,
sagt Zobel: «Neu ist, dass Kokain
für die ganze Bandbreite der Gesellschaft
zugänglich ist.»
Nicht nur die
Konsumenten sind unterschiedlich,
auch der Zugang und die Anbieter –
das heisst, wo und von wem die Droge
verkauft wird. Das kann im Darknet
sein, übers Telefon, per SMS und Velokurier,
bei privaten Treffen oder unter
Freunden. Am häufigsten ist der Kauf
auf der Strasse. Zu den Dealern gehören
Schweizer genauso wie Südamerikaner,
Ostafrikaner oder Albaner.
Eine weitere Erkenntnis ergibt sich
aus den Proben von Kokain-Kugeln,
welche die Polizei beschlagnahmt hat.
«Wer Kokain auf der Strasse kauft,
weiss in der Regel nicht, was tatsächlich
drin ist», sagt Zobel. Die Qualität
des Stoffs gleiche einer Lotterie:
Die Kugeln à 1 Gramm weisen im Schnitt eine Reinheit unter 40 Prozent auf.
Neun von zehn Proben enthalten das gesundheitsschädigende Entwurmungsmittel Levamisol.
Und das aufputschende Schmerzmittel Phenacetin wird etwa ebenso häufig beigemischt, um Kokain zu strecken, wie Babymilchpulver.
Allerdings beobachtet Zobel, dass die
Reinheit zunimmt. In Zürich zeigen die
Drogen-Checks eine deutlich bessere Qualität mit fast 90 Prozent Kokain im
Durchschnitt. Darauf wird auch die höhere
Kokainkonzentration im Abwasser
zurückgeführt.
Kokain ist der bei weitem umsatzstärkste
Betäubungsmittelmarkt der
Schweiz. Zobel sagt: «Der Kokainmarkt
ist grösser als alle anderen Pillen- und
Pulvermärkte zusammen.» Zu Letzteren
gehören Heroin, Amphetamine,
Thai-Pillen oder Ecstasy.
Kokain kann man
rauchen oder
spritzen. Die
meisten Kokser
sniffen das Pulver,
das heisst, sie ziehen
es durch die
Nase ein. Über die
Schleimhäute
wird das Kokain
(ein wasserlösliches
Salz)
schnell absorbiert.shutterstock
Die Studie soll demnach auch eine
Grundlage für eine faktenbasierte Diskussion
über Drogenpolitik schaffen.
«Wir müssen wegkommen von den
höchst emotionalen und ideologischen
Debatten», fordert Zobel. Er ist überzeugt:
«Wenn wir die Situation objektiv
ansehen und pragmatisch vorgehen,
tun sich Lösungen auf.»
Beispielsweise
Zwischenschritte nach dem Vorbild
Neuseeland. Dort hat die Regierung
anerkannt, dass gewisse Partyleute ein
Bedürfnis nach aufputschenden Drogen
haben. Neuseeland plant deshalb
Substanzen, die nachweislich wenig
gesundheitsgefährdend sind, für Erwachsene
zuzulassen.
Thilo Beck, Chefarzt Psychiatrie der
Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen
Umgang mit Drogen, sagt, er könne ob
des Berichts lediglich zum wiederholten
Male feststellen, dass die Verbote
nichts bewirken. Beck redet deshalb
der Liberalisierung das Wort. Dass diese
eine Lawine neuer Konsumenten
auslösen könnte, hält er für realitätsfern.
«Wer Kokain kaufen will, kann
das heute schon problemlos tun.»
Die Beschaffung von Kokain sei vergleichbar
mit dem Bestellen einer Pizza.
Ihm gehe es nicht um Verharmlosung,
sondern darum, der Realität ins
Auge zu sehen: «Beim Koksen handelt
es sich offenbar um ein Bedürfnis eines
grossen Teils der Bevölkerung.
Substanz-Konsum passiert.» Die Frage
sei deshalb, wie Konsumenten adäquat
begleitet werden können, damit sie gesund
und sicher bleiben. Verbote erreichten
da wenig.
20 Franken kostet
eine Dosis Kokain
Für ein Gramm bezahlt der Konsument 100 Franken, allerdings tricksen die Dealer bei der Menge: In den meisten Fällen ist nicht mehr als 0,8 Gramm enthalten. Für eine «Line» wird 0,05 bis 0,1 Gramm berechnet. Eine Dosis kann mehrere «Lines» umfassen, das hängt vom Konsument ab. Der Preis ist in den letzten 30 Jahren stark gesunken, von 300 bis 500 Franken auf heute 100 pro Gramm.
87 Prozent der Proben mit
Entwurmungsmittel
Gestreckt wird Kokain entweder mit Verdünnungsmitteln, um eine höhere Menge zu erzielen. Dazu wird meist Babymilchpulver verwendet. Meist ist es aber eine Mischung mit pharmakologisch-aktiven Substanzen, um die Wirkung zu verstärken. In neun von zehn Proben fanden die Laboranten Levamisol, ein Medikament gegen Fadenwürmer, das bei häufigem Konsum die Gesundheit gefährdet. In acht von zehn Proben konnte Phenacetin nachgewiesen werden, ein Schmerzmittel, das euphorisierend wirkt, wegen gesundheitsschädigender Wirkung aber nicht mehr gehandelt wird.
13,7 Kilo pro Tag
in der Schweiz
Der Konsum unterscheidet sich unter den Koksern stark. Im Schnitt konsumiert ein regelmässiger, sozial gut integrierter Kokser 230 Gramm pro Jahr. Das sind pro Woche 4 Gramm Kokain. Sie zählen zu einer Minderheit. Die Mehrheit der Konsumenten (80 Prozent) snifft nur gelegentlich Kokain, weniger als ein Mal pro Woche, rund 10 Gramm pro Jahr. Trotzdem werden jährlich 5 Tonnen Kokain in der Schweiz konsumiert, das sind 13,7 Kilogramm täglich. Die Schweizer Städte Basel, Bern, Genf, St.Gallen, Zürich gehören nachweislich zu den Orten, wo europaweit am meisten gekokst wird.
28 - 39 Millionen Gewinn
alleine in der Waadt
Zwischen 47 und 57 Millionen Franken setzt der Kokain-Markt in der Waadt jährlich um, wie die Studienautoren schätzen. Das werfe einen Gewinn von 28 bis 39 Millionen für Händler und Zwischenhändler ab.
1480 Franken pro
Gramm pures Kokain
Auf dem Weg vom Produzenten zum Konsumenten wird das Kokain mehrmals gestreckt, nicht erst in der Schweiz. Da das Pulver eine deutlich höhere Reinheit aufweist, wenn es die Drogenlabore Südamerikas verlässt, wird es auch in Europa, meist in Häfen in Spanien oder den Niederlanden mit anderen Stoffen gemischt. Dadurch variiert der Preis für reines Pulver stark. Auf dem Waadtländer Drogenmarkt kostet ein Gramm pures Kokain zwischen 79 Franken und 1480 Franken. Das zeigt zudem, dass der Preis nicht zwingend mit der Qualität korrespondiert.
1,5 Kilogramm im
Körper versteckt
Der Grossteil des nach Europa geschmuggelten Kokains landet in den grossen Frachthäfen von Spanien, den Niederlanden, aber auch Deutschland und Italien. Oft gelangen die Drogen über Bodypackers oder Mules, welche die Drogen in dichte Päckli verpackt schlucken oder in ihrem Koffer oder Auto verstecken, in die Schweiz. Die am häufigsten gehandelten Päckli wiegen 10 Gramm, sogenannte «Fingers». Ein Mule kann über hundert davon schlucken, um es über Grenzen zu schmuggeln, sie transportieren 0,5 bis 1,5 Kilogramm Kokain in ihrem Körper.
Die dümmsten Kokain-Schmuggel-Aktionen der Schweiz
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Die dümmsten Koks-Schmuggel-Aktionen der Schweiz
Juni 2009: In einer Edelweiss-Maschine versuchen Mitarbeiter des Flughafens Punta Cana (Dominikanische Republik) 32 Kilogramm Kokain zu schmuggeln. Ihre Methode: Sie füllen das weisse Pulver in leere Orangensaft-Tetrapacks. Die präparierten Säfte landen in den Trolleys, wo sie von Edelweiss-Mitarbeitern entdeckt werden. Das Ganze fliegt noch vor Abflug in der Dominikanischen Republik auf. ... Mehr lesen
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Die beliebtesten Kommentare
raues Endoplasmatisches Retikulum
12.07.2018 08:11registriert Juli 2017
Kein Rückgang des Konsums dafür fliesst viel Geld in den Schwarzmarkt und ist ein Faktor bei der Destabilisierung Mittel- und Südamerikas. Und die Freiheit des einzelnen, tun und lassen zu können was man will, solange man nicht direkt jemandem schadet auch nicht beachtet.
Als Hightech-Land sollten wir ein Hightech-Produkt wie Kokain und generell Drogen eigentlich selber herstellen und verkaufen.
Sprich legalisiere!
100.— pro Gramm, 13.7 kg (13700 g) pro Tag, ergibt 1370000.— pro Tag. Sind ca. 500 Mio. pro Jahr... mit einer Steuer von 50% oder mehr gibt das ein nettes Sümmchen, weleches eingenommen werden könnte, zur Zeit aber in ganz andere Taschen fliesst...
Shoppi Spreitenbach – «Einkaufsparadies und Höllentor»
Mit der Eröffnung des ersten grossen Einkaufszentrums in Spreitenbach begann für die Schweiz 1970 eine neue Ära im Detailhandel.
Im Jahr 1975 erschien im Verlag des Schweizerischen Lehrervereins das Schulwandbild Nr. 167. Es zeigt eine Luftaufnahme der Limmattal-Gemeinde Spreitenbach. Genauer: Neu-Spreitenbach mit seinem Einkaufszentrum, umgeben von einem gewaltigen, mit bunten Karossen prall gefüllten Parkplatz und dem imposanten Hochhausquartier im Hintergrund.