Genau 8009 Kilometer Entfernung liegen zwischen Fairhope, Alabama und der «Halle 622» beim Bahnhof Zürich-Oerlikon. Am 5. Dezember sprach Steve Bannon an einer «Barn Rally» auf einem Bauernhof in Fairhope zu Wählern des erzkonservativen Senatskandidaten Roy Moore. Der des Kindesmissbrauchs bezichtigte Moore verlor die Wahl wenige Tage später – eine beispiellose Klatsche für die Republikaner und Bannon. Die Teilnehmer der «Barn Rally» spendeten dem «schlampigen Steve», wie ihn Trump später bezeichnete, trotzdem tosenden Applaus.
Den gab es für Bannon gestern auch in in Oerlikon. Das lag nicht nur an den Sympathien, welche das Publikum offensichtlich vielen Ideen des selbst deklarierten Nationalisten Bannon entgegengebrachte. Auch der Gastgeber des Abends, SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel, versuchte für Stimmung zu sorgen.
Auf Englisch und in einer Stimme, wie man sie aus den Trailern für Hollywood-Actionfilme kennt, wurde Bannon zu Beginn des Abends über Lautsprecher als «architect behind Donald Trump’s surprising electoral success» angepriesen. Dann betrat Köppel die Bühne und forderte sein Publikum in eloquentem Englisch dazu auf, Bannon doch bitte mit einem «thundering, earth-shattering applause» zu begrüssen.
Tatsächlich klatschten die rund 1’500 Gäste in der – entgegen den Aussagen Köppels – nicht bis auf den letzten Platz gefüllten Halle enthusiastisch, als der 64-Jährige mit seinem charakteristischen Stoppelbart und der Mähne die Bühne betrat. Ganz so laut wie in Fairhope war der Applaus offenbar nicht: «It was not a barn rally in Alabama», sagte Bannon am Ende des Abends.
Das hatte vielleicht auch damit zu tun, das im Publikum keine erzkonservative, weisse Landbevölkerung aus einem der ärmsten US-Bundesstaaten sass. Das Publikum im Saal bestand – neben der nicht zu übersehenden Schweizer Journalistenschar – wohl vor allem aus «Weltwoche»-Abonnenten.
Diese scheint überwiegend von Männern gelesen zu werden. Der Frauenanteil im Publikum lag bei geschätzten 10 Prozent. Und diese Männer waren keine «blue collar workers» oder «rednecks» aus Alabama. Die meisten waren in feinem Zwirn gekleidet. Beliebtes Accessoire war das Einstecktuch in der Jackett-Brusttasche.
Doch ein Steve Bannon nimmt keine Rücksicht darauf, wer ihm zuhört. Das bewies er mit seinen Aussagen im Skandalbuch «Fire and Fury», welches zum Zerwürfnis mit Donald Trump geführt hatte. Und so spulte Bannon in seinem einleitenden rund 30-minütigen Vortrag diejenigen Themen und Thesen runter, mit denen er im US-Wahlkampf für Furore gesorgt hatte.
Interessant ist Bannons Obsession mit Uhrzeiten: Sowohl den Abstimmungstag des Brexit-Referendums als auch Trumps Wahlsieg erzählte er als eine Sequenz von Meldungen. Das verfrühte Einräumen einer Niederlage des Brexit-Lagers durch seinen Freund Nigel Farage («at 10pm»), das Eintreffen von Resultaten aus englischen Industriestädten («Sunderland fell at 12.20 in the morning») und dem US-Rostgürtel («Iowa was called for Trump after midnight»).
Ansonsten erfuhr man von Bannon wenig Überraschendes: Die Mainstream-Medien sind bös, die Migration schädlich, die Chinesen eine Gefahr und die Agenda der «Globalisten» schadet der Arbeiterklasse und Mittelschicht. Die Kernbotschaft von Bannon: Das «Volk» erhebe sich überall und wolle seine Souveränität wieder zurückgewinnen. So zuletzt in Italien, wo Bannon am Wochenende den Ausgang der Wahlen freudig mitverfolgt hatte.
Die Ironie des Abends: In der Halle sassen zahlreiche Vertreter eben jener «Globalisten». Die Tribüne des Saals war den Mitgliedern des «Efficiency Clubs» vorenthalten, dessen Claim «Wirtschaft im Dialog» lautet. Er hat seinen Sitz am noblen Zürcher Rennweg und hat der «Weltwoche» dabei geholfen, die Kosten für die Saalmiete und die Gage des Anti-Globalisten Steve Bannon finanziell zu stemmen.
Im Publikum kamen denn auch jene Teile von Bannons Rede am besten an, die für ein «Weltwoche»-Publikum eh ausgemachte Wahrheiten sind. Die Clintons sind korrupt, Viktor Orbàn ist ein Held und die EU in Brüssel zu weit weg von Europas Völkern. Dort, wo es um die US-Strafzölle für Stahl ging, war ihm der Saal weniger hold.
Hinzu kamen bei einem Teil des Publikums sprachliche Schwierigkeiten. Bannons Vortrag war gespickt mit Vokabeln, die man nicht einfach als bekannt voraussetzen kann: «mercantilist trade partner», «metaphysical certitude», «road to serfdom». Ein Zuschauer ganz nahe bei der Bühne glich seine mangelnden Englischkenntnisse mit umso grösserem Enthusiasmus aus. Jedes Mal, wenn Bannon das Wort «Switzerland» benutzte, klatschte er lautstark – völlig unabhängig von der Aussage und auch mal mitten im Satz.
Im Saal waren nicht nur Schweiz-Fans, sondern auch Besucher aus Deutschland. Im Foyer war ein Kamerateam der «Jungen Freiheit» unterwegs, einer Publikation der Neuen Rechten. Angereist waren auch Anhänger der AfD. Ihre Co-Vorsitzende Alice Weidel hatte Bannon vor dessen Vortrag im Hotel getroffen, wie die FAZ berichtet. Als Bannon Angela Merkel erwähnte – «Donald Trump respects her» – gab es Buh-Rufe aus dem Publikum.
Doch zurück nach «Switzerland». Endgültig die Sympathien des Publikums gewann Bannon, als er sagte, seine «populist revolution» habe eigentlich in der Schweiz begonnen. Mit seinem Kampf gegen den EWR und das gesamte Establishment habe «Doctor Blocher» (bei Bannon klang das wie «Blouker») 1992 die Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz verteidigt. Damit sei «Blocher a kind of Trump before Trump».
Nach einem Exkurs darüber, wie Krypto-Währungen die Macht der Zentralbanken schwächen und die populistische Revolution stärken könnten, war Bannons Vortrag vorbei. Roger Köppel kehrte auf die Bühne zurück und fungierte fortan als Stichwortgeber. Denn auf seine Fragen ging Bannon nicht wirklich ein.
Köppel lächelte zunächst schelmisch und kündigte an, er müsse jetzt die «tough question» stellen. Ob Bannon ein weisser Suprematist und Rassist sei, wie das manche behaupteten. Bannon machte einen rhetorischen Umweg über Sparta und Athen, Hillary Clinton und die ethnisch gemischte Nachbarschaft in Virginia, in welcher er aufwuchs. Und nein, Rassist sei er nicht, dafür gebe es schliesslich keinen einzigen Beleg.
Auch Köppels Frage nach dem Zustand seiner Beziehung zu Trump beantwortete Bannon ausweichend. Die Antwort verkam zu einer Lobeshymne auf den Präsidenten. Bannon entfernte sich dabei von seinem Stehpult und sprach, Mikrofon in beiden Händen, direkt vom Bühnenrand zum Publikum. Köppel beobachtete ihn währenddessen bewundernd aus dem Hintergrund. Nachhaken oder auf die konkrete Beantwortung einer Frage beharren, das wollte Köppel bei seinem Stargast nicht.
Um 21 Uhr 30 war die Show vorbei. In der Schlange zur Garderobe unterhielten sich zwei im Finanzsektor tätige Männer um die 50 Jahre: «Spannend, vor allem das über Cryptocoins». Dann eilten sie zum frisch umgebauten Bahnhof Oerlikon, um die öffentlich finanzierte S-Bahn nach Zug zu erwischen.
Ein paar libertär gesinnte Jungfreisinnige steckten nach dem Bannon-Vortrag im Foyer noch die Köpfe zusammen. Inspiration für neue revolutionäre Anläufe gegen die Institutionen hatten sie an diesem Abend genug bekommen – zwei Tage nach der Abfuhr für «No Billag». Das gab Diskussionsstoff. Wahrscheinlich bestiegen sie die S-Bahn eine halbe Stunde später als die Zuger Banker. Und malten sich dabei vielleicht aus was alles möglich wäre, in einer Scheune voller revolutionär gesinnter Wähler. 8009 Kilometer entfernt, in Fairhope, Alabama.