Die Gleichung von SVP-Ständerat Hannes Germann geht in etwa so: Die wirtschaftliche Freiheit hat der Schweiz Wohlstand und Erfolg gebracht. Sie führt wohl oder übel zu Lohnunterschieden. Etwa zwischen den verschiedenen Branchen. Das werde als «gottgegeben angenommen» und sei so «zu akzeptieren». Und womöglich auch zwischen Jungen und Alten. Oder zwischen Mann und Frau.
Das sei zwar ärgerlich – die fehlbaren Unternehmen zum Handeln zu verpflichten, das gehe aber zu weit. Zusammen mit 18 weiteren Bürgerlichen wollte Germann am Mittwoch ein Gesetz an den Bundesrat zurückschicken, das die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau reduzieren sollte. Die Regierung solle eine «freiheitlichere Lösung» erarbeiten.
Der Inhalt der fraglichen Vorlage ist rasch zusammengefasst: Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern hätten in Zukunft alle vier Jahre eine Lohnanalyse durchführen und öffentlich machen müssen. Strafen für Unternehmen, bei denen Lohndiskriminierungen festgestellt werden, waren keine vorgesehen.
Für die bürgerlichen Gegner stellt die Vorlage trotzdem einen «Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit» dar. Diese Wirtschaftsfreiheit umfasst im Verständnis von Germann und Konsorten offenbar auch das Recht, die Hälfte der Bevölkerung aufgrund ihres Geschlechts schlechter zu bezahlen.
Seit 1981 ist die Gleichstellung der Geschlechter Teil der Bundesverfassung. Sie verlangt gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Von diesem selbstverständlichen Anliegen ist die Schweiz meilenweit entfernt. Es existiert ein nicht erklärbarer, durchschnittlicher Lohnunterschied von 600 Franken monatlich zuungunsten der Frauen. Das ist nicht akzeptabel.
Die diskutierte Vorlage ist eine absolute Minimallösung. Doch zumindest symbolisch wäre sie wichtig: Unternehmen sind dazu verpflichtet, sich mit dem Thema Lohndiskriminierung im eigenen Haus zu befassen. Und auch wenn eine Lohnanalyse bloss für die grössten 0,85 Prozent der Schweizer Unternehmen obligatorisch wird, so beschäftigen diese (mit über zwei Millionen) rund 45 Prozent aller Arbeitnehmenden.
Eine regelmässige Analyse über so viele Beschäftigungsverhältnisse würde den öffentlichen Druck gegen Lohndiskriminierung erhöhen – und diese eindämmen. Denn welches Unternehmen will schon erklären müssen, seine weiblichen Mitarbeiterinnen ungleich schlechter zu bezahlen und nichts dagegen zu tun? Der Shitstorm wäre vorprogrammiert.
Die Gegner der Vorlage verwiesen darauf, dass die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine viel stärkere Wirkung auf die Lohngleichheit habe als ein solcher Mechanismus. Das ist richtig: Der höhere Grad von Teilzeitarbeit bei den Frauen und die häufigeren Unterbrüche in der Berufskarriere aufgrund der «Babypause» tragen dazu bei, dass Frauen im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als Männer.
Doch dass es noch andere Baustellen gibt, ist kein Argument, bei der Transparenz bezüglich Lohndiskriminierung untätig zu bleiben. Besonders scheinheilig: Gerade Germanns Partei, die SVP, bremst, wo sie nur kann, wenn es um konkrete Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Stichwort Vaterschaftsurlaub, Stichwort öffentliche Finanzierung von Kinderkrippen.
Immerhin: Eine Mehrheit von 25 der 46 Ständeräte «anerkannte den Handlungsbedarf» und war bereit, auf die Vorlage einzutreten. Doch auf Antrag von CVP-Mann Konrad Graber wies der Ständerat (Männeranteil: 85 Prozent) das Geschäft zur Überarbeitung an die Kommission zurück. Das Manöver wird in erster Linie noch einmal viel Zeit Kosten – 37 Jahre, nachdem die Lohngleichheit zum Verfassungsauftrag wurde.
Ob das Gesetz dabei verbessert werden kann, wie es Graber in wenig stringenter Argumentation versprach, ist fraglich. Eher werden der Vorlage jetzt noch die letzten Zähne gezogen. Diese Salamitaktik ist verlogen: Wer Handlungsbedarf anerkennt, aber ein Problem nicht ernsthaft angeht, der anerkennt letzten Endes das Problem nicht. Das ist die Botschaft, die der Ständerat heute an alle Frauen in der Schweiz ausgesandt hat.
«Die Zeiten, in denen Männer mit der gottgegebenen Ordnung argumentiert haben, liegen 50 Jahre zurück», sagte BDP-Ständerat Werner Luginbühl, ein Befürworter der Vorlage. Mit Blick auf Hannes Germann und Co. muss man sagen: Leider nicht.
Die Gleichstellung von Mann und Frau wird bei der «Verteidigung unserer Werte» gegen Muslime, Migranten und Parallelgesellschaften gerne als Argument ins Feld geführt. Geht es um die Lohndiskriminierung, ist diese Gleichstellung vielen bürgerlichen Ständeräten offenbar wenig wert.
So wenig, dass sie weiterhin nicht bereit sind, eine inakzeptable Ungerechtigkeit anzugehen, deren Beseitigung die Verfassung seit 37 Jahren fordert. Die «göttliche Ordnung», sie lebt noch. Und in der Parallelgesellschaft namens Wirtschaft, wo für gleiche Arbeit ungleiche Löhne bezahlt werden, darf sie unter dem Schutz der Politik ungestört weiterexistieren.