Das Postauto ist ein nationales Symbol. Es weckt Heimatgefühle, wie einst die Swissair. Sein «Tüü-taa-too»-Horn gehört zur akustischen DNA der Schweiz. Wir sind stolz darauf, dass auch abgelegene Regionen dank den gelben Autobussen an das nationale Verkehrsnetz angeschlossen sind. Und jetzt das: Ausgerechnet das Postauto wird von einem handfesten Skandal erschüttert.
Während Jahren hat die Postauto Schweiz AG, eine Tochtergesellschaft der Post, mit diversen Tricks zu hohe Subventionen von Bund und Kantonen erschlichen und damit gesetzeswidrige Gewinne erzielt. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) sprach an einer Medienkonferenz am Dienstag von mindestens 78 Millionen Franken, welche die Post nun zurückzahlen will.
BAV-Direktor Peter Füglistaler zeigte sich zutiefst enttäuscht darüber, wozu «falsches Gewinndenken» geführt habe. Denn wer öffentliche Gelder erhält, darf keinen Profit erwirtschaften. Die Postauto AG hat genau dies gemacht und die Gewinne nicht nur durch Verschiebung in andere Geschäftsbereiche verschleiert. Sie hat die Bilanz zusätzlich «aufpoliert», indem sie etwa Kosten für Pneus verrechnete, die nie beschafft wurden.
«Es war eine sehr aktive Täuschung», sagte Peter Füglistaler an einer weiteren Medienkonferenz am Donnerstag, zu der nur ausgewählte Journalisten eingeladen waren. Erste personelle Konsequenzen wurden gezogen. Postauto-Direktor Daniel Landolf, der ohnehin seinen Rücktritt auf Ende April eingereicht hatte, musste seinen Sessel per sofort räumen.
Ins Visier gerät zunehmend auch Susanne Ruoff, die Konzernchefin der Post. Sie behauptet am Dienstag, erst im November 2017 von den Machenschaften erfahren zu haben. Enthüllungen der letzten Tage wecken Zweifel an dieser Version. So haben die Kantone gemäss dem «Tages-Anzeiger» das BAV schon 2011 aufgefordert, die Postauto-Rechnungen zu überprüfen.
Im November 2012 kam es zu einem Treffen mit hochrangigen Vertretern des Bundes und der Post, bei dem das Problem angesprochen wurde. Der «Blick» präsentierte zudem Dokumente, die darauf hindeuten, dass Verwaltungsratspräsident Peter Hasler und Postchefin Susanne Ruoff schon 2013 durch die interne Revisionsstelle auf die Unregelmässigkeiten aufmerksam gemacht wurden.
Das Boulevardblatt hat eine «Kopfjagd» auf Ruoff lanciert, sekundiert durch Rücktrittsforderungen von Bundespolitikern. Die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard liess aus den Ferien ausrichten, sie sei «enttäuscht über die Vorgänge». Die Indizienlage sieht ungünstig aus für Susanne Ruoff. Mehrere Untersuchungen müssen aufzeigen, wer wann was wusste.
Mit Köpferollen ist es allerdings nicht getan. Die mediale Personalisierung verdeckt die wahren Ursachen des Skandals. Es geht um Strukturen, Service Public und Gewinnstreben.
Wer in den Bergen unterwegs ist, etwa auf Wanderungen, kennt das Problem. In den Postautos herrscht meistens gähnende Leere. Die Erschliessung von Randregionen durch den öffentlichen Verkehr mag zum Selbstverständnis der Schweiz gehören. Kostendeckend lässt sie sich nicht betreiben, deshalb erhält die Postauto AG von Bund und Kantonen jährlich 350 Millionen Franken.
Dies ist eine Einladung für Tricksereien. BAV-Chef Peter Füglistaler sagte am Donnerstag, dass Verkehrsunternehmen immer wieder versuchen, beim subventionierten regionalen Personenverkehr zusätzliche Kosten zu verrechnen, um so Gewinne zu erzielen. Dies sei «in einem gewissen Masse systemimmanent», sagte Füglistaler.
Der nun abgesägte Postautochef Daniel Landolf wies Ende letzten Jahres in einem Schreiben an den heutigen Verwaltungsratspräsidenten Urs Schwaller auf den entscheidenden Punkt hin. Es habe einen Zielkonflikt gegeben zwischen der regulatorischen Vorgabe, keinen Gewinn machen zu dürfen, und einem vom Konzern geforderten Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswerts.
Ob die Post ihrer Tochterfirma ein – fragwürdiges – Gewinnziel gesetzt hat, ist umstritten. Sie wollte sich auf Medienanfragen nicht dazu äussern. Dieser Punkt aber verweist auf das eigentliche Problem: Wie weit lässt sich der Service Public mit einem gewinnorientierten Unternehmen vereinbaren?
Die Post wurde nach der Aufspaltung der PTT in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die sich zu 100 Prozent im Besitz des Bundes befindet. Dieser hat als strategisches Ziel formuliert, dass die Post «in allen Bereichen eine branchenübliche Rendite erzielt», schreibt die NZZ. Also auch bei den hoch subventionierten Postautos. Die NZZ spricht in ihrem Kommentar von einem «Zielkonflikt zwischen genossenschaftlicher Vorgabe und unternehmerischem Gewinnstreben».
Dies betrifft auch die Diskussion um die Poststellen, deren Abbau der «gelbe Riese» weiter vorantreibt. Zwar bietet er Ersatzlösungen an wie Postagenturen oder den Hausservice. Dennoch hat der Ständerat in der Wintersession mehrere Vorstösse überwiesen, die den Abbau der Postfilialen stoppen oder zumindest bremsen wollen.
Letztlich fällt der Subventions-«Bschiss» auf den Bund als Alleininhaber der Post zurück. Er muss sich klar werden, was er wirklich will: einen möglichst guten Service Public mit entsprechenden Subventionen und Gewinnverbot oder eine möglichst hohe Rendite.
Bestätigt fühlen können sich die Urheber der Volksinitiative «Pro Service Public», die vor zwei Jahren abgelehnt wurde. Sie wollte den bundesnahen Unternehmen das Gewinnstreben verbieten. Auch wenn die Initiative unbrauchbar war, zeigt der Postauto-Skandal, dass die Initianten damit zumindest nicht völlig falsch lagen.