Jüngst, in meiner Inbox: «Einladung zum Gourmet-Insekten-Diner im Tropenhaus!» Es vergeht gefühlt kaum ein Tag, in dem ich nicht aufgefordert werde, irgendwelche Krabbelviecher zu essen. Der Hintergrund: Ab dem 1. Mai 2017 hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ausgewählte Insekten als Nahrungsmittel erlaubt. Der erste Insekten-Vertrieb der Schweiz steht. In den nächsten Wochen bereits werden Heuschrecken, Mehlwürmer und andere Arthropoda in den Regalen des Grossverteilers zu finden sein.
Und … weshalb eigentlich? Aufgeführt werden «hochwertige Proteine», «nachhaltige Zucht» und «zukunftsgerichtete Lebensmittelherstellung». Und dann wird das alles natürlich noch mit «trendiger Innovation» und «neuen Geschmackswelten» aufgelockert und mit aufwändigen Testessen schmackhaft gemacht, bei denen Gault-Millau-Köche Viergänger mit «Delikatess-Insekten» zubereiten ... SAGT' MAL IST EUCH EIGENTLICH LANGWEILIG?
Okay, okay, nehmen wir mal an, du hast dir, um deine Kreativität und Einzigartigkeit zu untermauern, einen Bart wachsen lassen. Schön. Ebenfalls hast du dir deine Kleider akribisch genau zusammengestellt, um zu demonstrieren, dass dir Kleider schnurzpiepegal sind. Auch hast du dir Quinoa gekauft und auch Goji-Beeren und diese sogar mal zu Kochen versucht, und du schwärmst auch artig davon, wenn deine weniger weltoffenen Bekannten fragen, wie das eigentlich so schmeckt.
Blöd nur, dass alle anderen inzwischen auch Bärte haben und Brocki-Kleider tragen und Quinoa-Mungbohnensprossen-Salat zum Mittag holen. Schnell! Schnell! Ein neuer Trend muss her! Du brauchst wieder was, zum drüber Diskutieren, zum auf Social Media posten. Etwas, das vielleicht ein wenig edgy ist und zu dem man, nach Durchsicht ein paar schneller Fakten, ein wenig klugscheissen kann.
Und postwendend ist da die freie Marktwirtschaft zur Stelle, die weiss, wie man modernen, aufgeschlossenen Konsumenten etwas, nach dem niemand verlangt hat, vertickert: Nachhaltigkeit. Gesundheit. Weltweit essen zwei Milliarden regelmässig Insekten, imfall.
Nö. Ich überlege mir, ob es nicht gar ein Affront gegenüber diesen zwei Milliarden Afrikanern, Südamerikanern und Asiaten ist, dass wir verwöhnten, wohlstandsverwahrlosten, selbstverliebten Europakalifornier diesem Trend aufsitzen. Die Wenigsten unter euch werden auf Insektenkost umsteigen und damit der Welt einen spürbaren ökologischen Dienst leisten. Aber alle, die es machen, werden sich dabei hip und cool fühlen und davon auf Instagram berichten und nebenbei auf die Primitivlinge runterblicken, die weiterhin auf Muskelfleisch furzender Säugetiere setzen, welche die Klimaerwärmung begünstigen.
Hey, ich stelle hier gar nicht in Abrede, dass Insekten als Lebensmittel einen viel tieferen Ressourcenverbrauch gegenüber der herkömmlichen Fleischwirtschaft vorweisen. Keine Frage. Trotzdem wird hier einmal mehr ein Lifestyle-Produkt in Nachhaltigkeit verpackt, um ein flauschiges Wohlfühlen zu verkaufen.
Ausserdem: Es gruust mich. Bei «Krabbelküche» denke ich an ein Etablissement, das wegen Hygienevorschriften dicht machen muss, nicht an ein Gourmet-Essen. Ja, vielleicht bin ich kulturell verblendet. Von mir aus. Ist so: Ich verspeise Häschen und Lämmer aber Katzen und Hunde nicht. Ich essen Gänseleber aber keine Stierhoden. Ich habe Alligator und Murmeltier gegessen, habe aber keine Lust auf Affe oder – eben – Insekten.
Und schliesslich fühle ich mich an meine rüstige Grossmutter erinnert, die zu sagen pflegte, «Wenn du ein Tier mit dem Fuss zerquetschen kannst, solltest du's auch nicht essen».
Sie ass Steak.