Das monotone Geräusch wiederholt sich regelmässig. Dann folgt ein knarzendes Geräusch. Eine elektronische Stimme verkündet, dass derzeit niemand erreichbar ist. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es kurz vor 18 Uhr ist. Eine Minute später klingelt das Telefon. «Entschuldigung, ich war gerade beim Zähneputzen», meldet sich eine menschliche Stimme, die zwar etwas verschlafen, aber deutlich aufgeweckter klingt als die elektronische Durchsage kurz zuvor. «Hier bei mir ist es erst 9 Uhr morgens. Aber jetzt bin ich bereit.» Die Stimme gehört Timo Meier, dem NHL-Stürmer der San Jose Sharks.
Zu Beginn des Gesprächs erzählt der Herisauer von der «Bye Week». So heisst die spielfreie Woche, die jedes NHL-Team einmal pro Saison einziehen muss. Sie dient den Spielern dazu, den Kopf zu lüften, sich von den vielen Reisen und Partien zu erholen. Er sei ein paar Tage in Miami gewesen. «Meine Schwester besuchen», sagt Meier. «Sie macht dort einen Sprachaufenthalt.» Auch die Mutter sei aus der Schweiz angereist. Die Zeit mit der Familie habe er genutzt, «um mal den Kopf freizukriegen».
Es sind turbulente Monate, die der 22-Jährige hinter sich hat. Zuerst war da dieser sensationelle Saisonstart, als in San Jose regelmässig die «Timo Time» ausgerufen wurde. So nennen es die Anhänger, wenn Meier einen Treffer erzielt. Nach 30 Spielen stand der Stürmer bei 18 Toren, rückte dadurch in den medialen Fokus. «Wenn du Erfolg hast, kommen sie alle», sagt Meier. Täglich sei er vor einer Kamera gestanden, habe Interviews gegeben und für Fotos posiert. Alle wollten sie ein Stück von Timo Meier.
Keine einfache Situation für einen jungen Spieler. Viele sind an diesem Druck zerbrochen oder durch das Scheinwerferlicht abgehoben. «Mich hat das weder menschlich noch spielerisch beeinflusst», so Meier. «Dieses Interesse an deiner Person kommt und geht. Mir war bewusst, dass es mit den Toren nicht immer so weitergehen wird.»
Und so kam es auch. Nach zwei Treffern gegen Dallas am 13. Dezember begann die Durststrecke. Bis zum 21. Januar blieb Meier ohne Treffer. «Ich habe in dieser Phase teilweise besser gespielt als zuvor», so Meier. Aber als Stürmer werde er in den Medien an seiner Anzahl Tore gemessen. Daher erstaunte es nicht, dass sich hie und da das Wort «Krise» in die Berichterstattung einschlich. Angesichts von Meiers 47 Skorerpunkten aus 50 Spielen ein gewagter Terminus.
Er selbst habe die Zuversicht nie verloren, sei nie in Aktionismus verfallen. «Wenn du ständig darüber redest, dass du nicht triffst, machst du dich verrückt und es wird zum Problem», so Meier. Die Kunst sei viel mehr, nicht darüber nachzudenken. «Das Wichtigste ist auch als Profi, dass du immer Spass und Freude an dem hast, was du machst. Der Rest kommt von alleine.»
Es sind diese Ruhe und Lockerheit, die Meier als seine grössten Fortschritte bezeichnet. «Ich bin weniger verkrampft als früher», sagt der Ostschweizer. Er spürt das Vertrauen des Trainers, steht in den entscheidenden Phasen eines Spiels auf dem Eis. Dazu kommen die Erfahrungen, die er in seinen zwei Jahren in der NHL gemacht hat. Meier hat sich mit all den Abläufen vertraut gemacht, sich an die langen Reisen und die Anstrengungen als NHL-Spieler gewöhnt. «All diese Punkte wirken sich positiv auf mein Selbstvertrauen aus. Das wiederum beeinflusst meine Leistungen», so Meier.
Das Resultat lässt sich sehen: Bereits nach etwas mehr als der Hälfte der 82 Spiele umfassenden Regular Season hat Meier seine 36 Skorerpunkte aus dem Vorjahr bei weitem übertroffen. Damit hat er grossen Anteil daran, dass die San Jose Sharks zu den besten Mannschaften in der NHL gehören. Nur zwei Spieler sind in der clubinternen Skorerliste besser: Verteidiger Brent Burns und Center Logan Couture.
Während Burns acht und Couture sechs Millionen pro Jahr verdienen, steht Meier im letzten Jahr seines Rookie-Vertrags. Dieser bringt ihm vergleichsweise bescheidene 925'000 Franken ein. Spielt der 22-Jährige weiterhin stark auf, wartet ein neuer, mehrjähriger Vertrag, der ihn in neue Gehaltssphären katapultiert. Eine Aussicht, die Meier kalt lässt: «Damit beschäftige ich mich nach der Saison.» Bis dahin kümmere sich sein Agent um die Angelegenheit. «Ich weiss einfach, dass ein guter Vertrag drinliegt, wenn ich so weitermache», sagt Meier.
Als grosses Ziel nennt er den Stanley-Cup. «Wir haben die Klasse und den Glauben, das zu erreichen.» Sollte es so weit kommen, darf Meier einen Tag lang über die Trophäe verfügen. «Dann kommt sie nach Herisau, wo ich aufgewachsen bin, und an den Bodensee, wo meine Eltern wohnen.» Dann muss Meier das Telefonat beenden. Schliesslich fliegt der Stanley-Cup nicht von alleine in die Ostschweiz.