RedWing19
Ich bin kein EVZ-Fan, aber bitte was?! Ich traue dem EVZ die erneute Finalquali zu. Dies kann man natürlich anders sehen. Aber von einem Wunder zu schreiben finde ich nun doch etwas gar übertrieben, nicht?
Was noch vor drei Jahren undenkbar schien, ist nun Wirklichkeit geworden. Lausanne und nicht mehr Servette ist die Nummer 1 im Welschland. Aber kann Lausanne mit der Rolle des Favoriten umgehen?
Dan Ratushny ist letzte Saison zum «Trainer des Jahres» gewählt worden. Zu Recht. Er führte ein mittelmässiges Team überraschend an die Tabellenspitze und schliesslich auf Rang 4. Lausanne spielte das beste Powerplay der Liga (Erfolgsquote 21,59 %) und das vierteffizienteste Boxplay (84,23 %). Der Kanadier lockerte die taktischen Fesseln, die sein erfolgreicher Vorgänger Heinz Ehlers dem Team angelegt hatte. 154 Treffer. 31 Tore mehr als in der Vorsaison. Vom harmlosesten Sturm der Liga zur offensiven Nummer 3 hinter den Titanen aus Bern und Zürich.
Diese spielerische Öffnung hat zumindest in der Qualifikation reichlich Früchte getragen. Und nun kommt mit Joël Vermin ein Schweizer Stürmer der Business-Klasse. Sind 170 Tore möglich? Ja. Aber wir bleiben skeptisch. Bei den Ausländern (Danielsson, Pesonen) sehen wir Steigerungspotenzial. Und Joël Vermin ist nach wie vor der einzige Schweizer Stürmer, der auch in jeder anderen Mannschaft einen Platz in der ersten Linie hätte.
Lausanne scheiterte im Viertelfinale gegen Davos kläglich in vier Spielen – unter Heinz Ehlers verlor Lausanne gegen Zürich (2014) und Bern (2016) mit einem nominell schwächeren Team im Viertelfinale in sieben Partien. Ist Dan Ratushny der richtige Mann, um aus Lausanne ein Spitzenteam zu machen? Haben wir in der Schönwetterperiode der Qualifikation oder in den Playoffs den wahren Dan Ratushny gesehen? Das sind die entscheidenden Fragen.
Die Mannschaft ist gut genug, um dann, wenn alles stimmt, als Nummer 1 des Welschlandes die Titanen aus der Deutschschweiz herausfordern zu können. Aber sie ist nicht gut genug, um dann, wenn nicht alles stimmt, grandioses Scheitern zu verhindern.
Zwei wichtige Transfers. Kann Joel Vermin die offensiven Erwartungen erfüllen? Noch mehr Einfluss aufs Team hat Sandro Zurkirchen. Nach Lugano (Merzlikins/Manzato), Zürich (Flüeler/Schlegel), Langnau (Punnenovs/Ciaccio) hat nun auch Lausanne zwei Torhüter, die in der NLA die Nummer 1 sein können. Das Duell zwischen Cristobal Huet und Sandro Zurkirchen ist eines zwischen einer ruhmreichen Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft.
Der Stanley-Cup-Sieger und mehrfache Dollar-Millionär Cristobal Huet kann an einem guten Abend noch immer der beste Torhüter der Liga sein. Aber für den NLA-Spielplan (viele Doppelrunden innert 24 Stunden) ist er inzwischen zu alt geworden. Deshalb braucht Lausanne zu seiner Entlastung einen starken zweiten Torhüter. Ist Sandro Zurkirchen der richtige Mann? Der Zuger, der in Ambri zum Nationaltorhüter reifte (WM-Teilnahme 2006 in Moskau), steht in Lausanne vor der grössten Herausforderung seiner Karriere.
Lausanne hat das Kultstadion Malley verlassen und muss nun bis zum Einzug in den neuen Hockeytempel zwei Saisons in einem Provisorium spielen. Geht dabei die Identität verloren? Und zum ersten Mal in seiner Klubgeschichte muss Lausanne schon vom Saisonstart weg die hohen Erwartungen erfüllen, ein Spitzenteam zu sein.
Platz 6 – mit dem Potenzial für eine Klassierung in den Top 4 und dem Risiko, um die Playoffs kämpfen zu müssen.
Der HC Davos hat nicht mehr das Potenzial um die Liga zu dominieren. Aber im Schatten der Flachland-Titanen hat sich die Mannschaft von Arno Del Curto wieder zum heimlichen Titelkandidaten entwickelt.
Die grossen Hockey-Unternehmen im Flachland (wie der SC Bern, die ZSC Lions oder Zug), im Tessin (Lugano) und im Welschland (Lausanne) haben inzwischen die wirtschaftliche Grundlage (oder den Mäzen), um durch Transfers die fehlenden Teile für ein Meister-Mosaik einzukaufen.
Im Zuge der «Urbanisierung» unseres Hockeys ist es für ein Hockeyunternehmen in den Bündner Bergen nicht mehr möglich, diesen Weg zu gehen und ein Meisterteam über Transfers aufzubauen. Arno Del Curto muss eine meisterliche Mannschaft mit viel Geduld ausbilden. Junge Spieler fordern und fördern und darauf hoffen, dass sie nicht gleich bei der ersten grossen Offerte aus dem Unterland gehen.
Vor einem Jahr waren am Horizont bereits die Konturen eines neuen Meisterteams zu erkennen. Diese Konturen sind inzwischen noch klarer zu sehen. Ja, wir können den HCD inzwischen sogar als ungeschliffenen Meister-Diamanten bezeichnen.
Nehmen wir an, dass Gilles Senn den Schritt vom guten zum grossen Torhüter macht und Fabian Heldner und Claude-Curdin Paschoud die letzte Saison bestätigen. Nehmen wir weiter an, dass im Sturm Mauro Jörg, Dario Simion und Marc Aeschlimann wieder zulegen, Gregory Sciaroni endlich wieder einmal eine Saison ohne Verletzungssorgen vergönnt ist, Samuel Walser eine noch höhere Leitungsstufe erreicht und Jerome Portmann in lichten Momenten Erinnerungen an Peter Guggisberg weckt. Gehen wir davon aus, dass die Intensität und Energie im Spiel der Leitwölfe Dino und Marc Wieser und Captain Andres Ambühl nicht nachlassen – dann ist der HCD nicht ein heimlicher, sondern ein unheimlicher Meisterkandidat.
Wichtig ist auch, dass Präsident Gaudenz Domenig eine der erstaunlichsten Leistungen des Schweizer Sports vollbracht hat: die Anpassung des HC Davos an die Bedürfnisse von Arno Del Curto durch die Einführung einer funktionierenden parlamentarischen Monarchie. Nur so kann Arno Del Curto seine Stärken entfalten.
Der Trainer ist der König, der in sportlichen Bereich mit absoluter Autorität reagiert («le HCD, c’est moi»). Wenn Arno Del Curto sagt, nun werde ausgebildet, dann wird ausgebildet und nicht vom Meistertitel gesprochen. Der Trainer bestimmt den Kurs, der Trainer ist König, nicht der Manager oder der Präsident. Das ist aussergewöhnlich.
Das nicht-sportliche Tagesgeschäft wird von einer Art Parlament im Hintergrund gemacht. Der Wirtschaftsanwalt Gaudenz Domenig mit seinen Verwaltungsräten zieht die Fäden, sichert mit einer wohlbestallten Männerrunde die wirtschaftliche Existenz ab und vertritt die sportpolitischen Interessen der Davoser im Flachland und in der Liga. Nur selten gibt es im Sportbusiness einen Präsidenten mit so viel Einfluss, der seine Bescheidenheit geradezu zelebriert und die mediale Bühne seinem Trainer überlässt. Arno Del Curto und Gaudenz Domenig sind inzwischen so etwas wie das Traumpaar unseres Hockeys.
Verteidigungsminister Beat Forster hat Davos nach acht Jahren verlassen (zu Biel) und ist nicht ersetzt worden. Die Ausländerpositionen (neu Magnus Nygren und Broc Little) sind besser besetzt.
Arno Del Curto beginnt seine 22. Saison, längst ist seine Hockeyphilosophie zur DNA des HC Davos geworden und das Spielsystem funktioniert wie Örgelimusik. Der HCD-Trainer hat das unbezahlbare Talent, Spieler geduldig auszubilden aber auch Stars bis zur Leistungsgrenze zu fordern.
Schafft Gilles Senn tatsächlich die Entwicklung vom guten zum grossen Goalie? Und vor allem: Bleiben die Schlüsselspieler gesund? Diese zweite Frage ist beim permanenten Vollgasstil in Training und Spiel berechtigt.
Platz 5 und wenn Gilles Senn ein grosser Goalie wird und in den Playoffs alle fit sind, kann der HCD jeden Titanen besiegen.
Nach der besten Saison seit 19 Jahren sind die Erwartungen in Zug hoch. Gerade deshalb ist beides möglich: ein Titelgewinn und ein dramatischer Absturz ins Mittelfeld.
Zug hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem Hockey-Titanen entwickelt, der in einer Saison gut und gerne 25 Millionen umsetzt, über eine perfekte Infrastruktur, eine Nachwuchsakademie und eine gut gefüllte «Transfer-Kriegskasse» verfügt.
Nach drei bitteren Jahren (einmal Playoffs verpasst, zweimal im Viertelfinale gescheitert) zinsten die sportlichen Investitionen (Tobias Stephan, Raphael Diaz) mit der ersten Finalteilnahme seit 19 Jahren.
Zug rockt. Und nun der Titel! Das sind die Erwartungen nach der Finalniederlage gegen den SC Bern. Zu hohe Erwartungen? Ja. Zugs Budget ist nach wie vor kleiner als jenes des Meisters, die Mannschaft nominell weniger gut. Die neue, gesteigerte Erwartungshaltung wird zur grossen Herausforderung. Druck formt Diamanten. Druck kann aber auch lähmen und ein Team und ein Management vom Weg abbringen.
Die Zuger verdanken ihre Rückkehr in die Spitzengruppe ihrer klugen Strategie. Es geht nicht nur um den Erfolg des Tages. Es geht auch darum, eigene junge Spieler auszubilden und durch gezielte Investitionen auf dem Transfermarkt so die Mannschaft zu verstärken, dass es am Ende der Saison zum grossen Triumph reichen kann – ohne dabei die wirtschaftliche Stabilität zu gefährden.
Bei der Umsetzung dieser Strategie spielt der Trainer eine zentrale Rolle. Schon fast ist vergessen gegangen, dass Gentleman Harold Kreis die letzte Saison beinahe chancenlos begonnen hatte. Frei nach dem kubanischen Revolutionskämpfer Che Guevara: «Du hast keine Chance. Nutze sie.» Die Frage war nicht ob, sondern nur wann er gefeuert wird. Von wegen chancenlos. Nach einem guten Saisonstart, einer soliden Qualifikation und dramatischen Playoffs ist sein Vertrag mit erhöhtem Salär um zwei Jahre verlängert worden. Aus der vermeintlichen «lahmen Ente» ist ein Wunschtrainer geworden.
Harold Kreis ist kein Feuerkopf und Entertainer wie Arno Del Curto und er scheut das taktische Risiko. Aber er ist ein kluger, bisweilen selbstironischer Analytiker und Kommunikator, der Disziplin durchsetzt und bis auf ein paar Ausnahmen (Suri, Lammer) in der Kabine hohe Akzeptanz geniesst. Assistent und Defensiv-Spezialist Waltteri Immonen ist eine ideale Ergänzung mit internationalem Ansehen (auch Assistent des finnischen Nationalteams).
Und doch gibt es auch berechtigte Kritik in einem Hockeyunternehmen, zu dessen DNA die Nachwuchsförderung gehört. Zur DNA der Philosophie von Harold Kreis gehört die uralte kanadische Weisheit «Play the Veterans». Will heissen: Setze in kritischen Situationen die erfahrenen und nicht die unerfahrenen Spieler ein. Nun hat ihm Sportchef Reto Kläy aufgetragen, vermehrt auf die jungen Spieler zu setzen. Vielleicht fällt ihm dies mit der Sicherheit des neuen Zweijahresvertrages etwas leichter.
Zug fehlten gegen den Titanen SCB nur zwei Siege. So nahe am Ruhm als «Beinahe-Meister» und bei den hohen Erwartungen ruhig und gelassen zu bleiben und nicht die Geduld zu verlieren, ist fast so schwierig wie ein Titelgewinn.
Bei keinem anderen Team hat es so wenig Veränderungen gegeben. Lediglich ein Schweizer Transfer (Timothy Kast) und zwei neue ausländische Stürmer (Viktor Stalberg, Garrett Roe). Raphael Diaz ist neuer Captain und der bisherige Captain Josh Holden wartet im Farmteam auf den Schweizer Pass.
Die Ausländerpositionen sind besser besetzt, taktische Stabilität im vierten Jahr unter Harold Kreis. Ein besonnenes, kluges Management.
So wenig Gefahren wie sonst nur beim SC Bern. Aber Eishockey ist auch ein Spiel der Emotionen und manchmal bedeutet Stabilität auch emotionale Windstille. Und war es klug, den sensiblen Titanen Raphael Diaz mit der Ernennung zum Captain noch mehr Verantwortung aufzubürden?
Platz 3 – Eine erneute Finalqualifikation wäre ein Wunder.