Der Ort der bitteren Wahrheit ist die Stadt Bern. Hier finden wir die unerbittliche Wirklichkeit der Champions Hockey League. Wir müssen nicht werten. Nicht polemisieren. Wir können einfach erzählen, was ist.
YB hat in der Champions League des Fussballs keine Chance auf ein Weiterkommen. Trotzdem ist das Heimspiel gegen Juventus Turin vom 12. Dezember bereits praktisch ausverkauft.
Der SC Bern hat in der Champions League des Eishockeys nach dem 1:4 im Hinspiel gegen Malmö eine kleine Chance auf das Vorrücken in die Viertelfinals. Aber gestern sind gegenüber dem Fussballstadion auf der anderen Strassenseite höchstens 6000 in den Hockey-Tempel gekommen. Die Restaurants im Stadion, wo vor einem Meisterschaftsspiel jeder Platz besetzt ist und Fondue-Schwaden durch die Luft wabern, sind halbleer. Offiziell werden 13'573 Zuschauerinnen und Zuschauer verkündet. Die Saisonkarten, die freien Eintritt hätten, werden halt mitgezählt. Reiner europäischer Etikettenschwindel. Bertolt Brecht hätte gesagt: Stell dir vor, es ist europäisches Eishockey und niemand geht hin.
Als das Schlusslicht Rapperswil-Jona am 2. November seine Aufwartung machte, eilten 15'524 Frauen, Männer und Kinder herbei, um dem nationalen Spektakel beizuwohnen. In keiner anderen Stadt wird die bittere Wirklichkeit der Champions League so gnadenlos aufgezeigt wie in Bern, der europäischen Eishockey-Hauptstadt.
Die Champions League interessiert in Bern, sie interessiert in der Schweiz einfach nicht. Bei diesen europäischen Partien erreicht der SCB nicht einmal die Hälfte der Durchschnittszahlen aus der Liga und die anderen Klubs entweder auch nicht oder ganz knapp. Erst einmal hat es europäisch gerockt. Als die ZSC Lions 2009 die damals noch anders organisierte Champions League mit russischer Beteiligung im Finale gegen Magnitogorsk gewannen.
Aber nicht einmal in der Stunde dieses höchsten Ruhmes inkl. Bundesrat in der Kabine ging es ohne den Schwefelgeruch der Provinzialität. Das Hallenstadion war am Tag des Finalrückspiels schon anderweitig besetzt. Die historische Partie musste in Rapperswil-Jona ausgetragen werden. Und als die Zürcher als Titelverteidiger in der neu konzipierten Champions League antraten, spielten sie ihre erste Heimpartie nicht im Hallenstadion. Sondern in Dübendorf. Es ist, wie es ist: Die Champions Hockey League ist in unserem Land eine Provinzveranstaltung.
Warum ist das so? Ganz einfach: Europäisches Klubhockey ist für den durchschnittlichen helvetischen Hockey-Konsumenten so unbekannt wie im 19. Jahrhundert für einen Mitteleuropäer das Innere Afrikas.
Europäisches Klubhockey hat – ganz im Gegensatz zum europäischen Klubfussball – keine TV-Präsenz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Europäische Liga-Spiele und die Partien der Champions League werden in der Schweiz nur von Nischen-Bezahlsendern übertragen. Das europäische Klubhockey findet also praktisch unter Ausschluss der TV-Öffentlichkeit statt. Kommt dazu, dass die Namen der ausländischen Stars, die dem werten Publikum geläufig sind, alle in der NHL spielen.
Heute sind Sportereignisse mehr denn je Events. In Zeiten so vieler Zerstreuungsmöglichkeiten und öffentlicher Erregungen geht ohne Emotionen gar nichts. Entweder besteht eine ganz besondere emotionale Bindung zu einem Anlass oder es wird ein aussergewöhnliches Spektakel geboten. Wie soll sich im persönlichen Umfeld eines Sportfans eine freudige Erwartung auf ein Spiel aufbauen, wenn der Gegner und dessen Stars völlig unbekannt sind? Wenn es überhaupt keine Rolle spielt, ob sein Klub weiterkommt oder scheitert? Eben.
Kommt dazu, dass die Russen nach wie vor fehlen. Was ist ein europäischer Klubwettbewerb sportlich ohne die Teams aus der KHL wert? Eben. Doch eine Teilnahme der russischen Teams verursacht immense Reisekosten. Diese Kosten sind schon jetzt zu hoch.
Internationales Klubhockey interessiert die Schweizerinnen und Schweizer nur zwischen Weihnachten und Neujahr. Wenn um den Spengler Cup gespielt wird. Erstens steht der HC Davos im Mittelpunkt, zweitens gibt es mit Team Canada (mit den Kanadiern der Liga) mindestens eine zweite Mannschaft mit bekannten Namen und drittens hat dieser Wettbewerb eine lange Tradition mit Direktübertragungen im staatstragenden Fernsehen.
Ein weiterer wichtiger Grund für das Desinteresse auf allen Ebenen: Die Champions League ist halt kein Geschäft. Wer den sportlichen Operetten-Wettbewerb Schweizer Cup gewinnt, kassiert etwas mehr als 300'000 Franken Preisgeld, fast so viel wie der Sieger der Champions League. Dazu kommen hohe Matcheinnahmen bei minimalen Reisekosten. «Die Lakers haben letzte Saison als Cupsieger mit dem Wettbewerb rund 700'000 Franken Bruttoeinnahmen erzielt», weiss Verbands-Cupchef Willy Vögtlin.
Das Problem der Champions League: Die Klubs müssen den grössten Teil der Reisekosten selber bezahlen. Das wird teuer für Trips an so abgelegene Orte wie Oulu nahe am Polarkreis, wo die ZSC Lions gestern ausgeschieden sind. Sie reisten mit einem Charterflug. So werden die Matcheinnahmen bei weitem «aufgefressen». SCB-General Marc Lüthi hat im kleinen Kreis vorgerechnet, dass der SCB letzte Saison mit der Champions League gut 400'000 Franken verloren hat. Ein Schweizer Klub hat bei einem Spiel der Champions League einmal weniger als 400 zahlende Zuschauer gezählt.
Wenn das Publikumsinteresse fehlt, wenn es keine Aussichten auf ein gutes Geschäft gibt, dann ist ein Wettbewerb chancenlos. Wenn Scheitern keinerlei Konsequenzen hat, wird ein Wettbewerb nicht ernst genommen. Da können die Präsidenten, Manager, Sportchefs und Trainer reden, wie sie wollen. Unter solchen Voraussetzungen ist es nur logisch, dass weder Bern (0:1 gegen Malmö) noch die ZSC Lions (2:3 in Oulu) noch Zug (0:2 gegen München) noch Lugano (4:5 in Pilsen) die Extraleistungen abrufen konnten, die es für ein Weiterkommen einfach braucht.
Über den tatsächlichen sportlichen Wert unserer höchsten Liga sagt die Champions Hockey League unter diesen Voraussetzungen nichts. Da war die ausverkaufte Partie zwischen dem SC Bern und den New Jersey Devils aus der NHL wesentlich aussagekräftiger. Der SCB verlor erst in der Verlängerung.
Unsere Hockey-Exponenten betonen bei allen öffentlichen Erklärungen die Bedeutung, die Wichtigkeit der Champions Hockey League. Wie ernst man diesen Wettbewerb nehme. Wie wertvoll diese Partien sportlich seien, wie sehr die Weiterentwicklung der Spieler durch internationale Spiele gefördert werde. Erst recht muss ZSC-Manager Peter Zahner die Champions Hockey League rühmen. Er ist schliesslich Verwaltungsrats-Präsident des Unternehmens Champions Hockey League, das den europäischen Klubs und dem internationalen Eishockeyverband gehört.
Alles nur Lippenbekenntnisse. Alles nur Phrasen. Niemand ist ehrlich. Alle haben ein schlechtes Gewissen. Wenn ständig die Wichtigkeit eines Wettbewerbes betont werden muss, wissen wir, dass er nicht wichtig ist. Oder hat schon jemals ein Präsident, Manager, Sportchef oder Spieler gesagt, man nehme die Playoffs ernst? Oder ist jemals ein Trainer durch Niederlagen in der Champions League in die Bredouille geraten? Eben.
Eigentlich ist das alles sehr, sehr schade. Denn die Champions Hockey League ist gut organisiert und bringt intensives, schnelles, hochstehendes Hockey. Und auch das Auge kommt nicht zu kurz. Die praktisch werbefreien Spielerleibchen sind zeitlos schön und elegant, fast wie jene in der NHL. Die sportliche Abwechslung zum Liga-Alltag müsste eigentlich alle echten Hockey-Fans freuen, ja begeistern. Eigentlich. Aber was kümmert mich Malmö, wenn doch viel wichtiger ist, die «Chäsigen» aus Langnau am Samstag so richtig vaterländisch in die Schranken zu weisen?
Inzwischen bringt die Champions Hockey League unseren Klubs nur noch finanzielle Verluste und sportlichen Imageschaden.
Es wäre ehrlicher und besser, aus diesem Wettbewerb auszusteigen.