Ach, einen so freundlichen und verständnisvollen Chef hatte ich in 40 Jahren nie. Weder in der «Stifti», noch im Militär oder in irgendeiner Schreibstube. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich so nachsichtige Vorgesetzte gehabt hätte? Trainer André Rötheli sagt nach der beschämendsten Leistung des EHC Kloten in 56 Jahren Klubgeschichte kein einziges böses Wort.
Klotens Cheftrainer erklärt milde, sachlich und durchaus kompetent die Mängel seiner Mannschaft. Dass bei einem Scheibengewinn der Gegenangriff nicht schnell genug ausgelöst werde. «Es passiert gar nichts.» Dass das Positionsspiel in der eigenen Zone ungenügend sei. Man verliere die defensive Seite bei den Duellen (gemeint ist die dem eigenen Tor zugewandte Seite). «Das müssen wir abstellen.» Er bemängelt die fehlende Konsequenz im Abschluss. Und als er gefragt wird, ob er einen Check gesehen habe, räumt er ein, dass die Härte fehlte.
Wer ihm so zuhört, wie er da im Kabinengang souverän und klug analysiert, fasst wieder Mut und macht sich getröstet auf den Heimweg: kein Problem. Kloten steigt nicht ab.
Auch die Spieler sind nicht beunruhigt. Tommi Santala bringt den Klassiker: Es sei erst ein Spiel verloren. Es gehe weiter. Ja, ja, es sei keine gute Leistung gewesen. Aber er gibt sich überzeugt, dass die Wende noch möglich ist. Captain Denis Hollenstein sieht es durchaus richtig: «Wir haben zu viele Fehler gemacht und der Gegner hat sie ausgenützt.»
Alles tönt so, als sei es irgendeine Niederlage im Alltag der Qualifikation. Von Dramatik oder Krisenstimmung oder Panik oder tiefer Besorgnis keine Spur. Die mieseste Leistung seit 56 Jahren – aber die Klotener merken es nicht. Haben sich alle schon so an miserable Leistungen gewöhnt, dass niemand mehr sieht, wie tief die Mannschaft gesunken ist? Wirkt André Rötheli deshalb wie ein Meteorologe, der in einem TV-Studio das milde Frühjahrswetter draussen erklärt und nicht merkt, dass es längst stürmt und schneit? Oder ist es die Ruhe, vielleicht doch noch die Rettung bringt?
Wenden wir uns noch dem Spiel zu. Kloten hat gegen die SCRJ Lakers 1:4 verloren. Die Leistung ist beschämend. Miserabel. Die schwächste Leistung der Klubgeschichte. Eine andere Beurteilung ist auch bei grösstem Wohlwollen nicht möglich. Weil es ja gilt, die Bedeutung dieser ersten Partie der Liga-Qualifikation in Bezug zur Leistungsbereitschaft zu stellen. Und die war gleich null. In jeder Beziehung. Null. Einfach null. Null Vorbereitung. Null Konzentration. Null Leidenschaft.
Die Klotener kassieren das 0:1 bereits 75 Sekunden nach Spielbeginn und das 0:2 gar nur 30 Sekunden nach der ersten Pause. Es ist ihnen offenbar nicht möglich, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren und bei Spielbeginn bereit zu sein.
Erstaunlich ist diese «Null-Leistung» auch deshalb, weil Kloten rein hockeytechnisch – also läuferisch und stocktechnisch – über vier Linien durchaus die bessere, talentiertere Mannschaft ist. Meistens befinden sich die Zürcher in der Vorwärtsbewegung. Meistens sind sie im Scheibenbesitz und häufiger findet das Spektakel vor dem Kasten von Melvin Nyffeler statt (34:24 Torschüsse).
Aber Spieler, die aus einer optischen Überlegenheit einen Ertrag erzielen wollen, brauchen ein paar Eigenschaften, die nicht im Zusammenhang mit ihrem Talent stehen. Sondern mit ihrer Berufseinstellung: Konzentration, Mut und Leidenschaft beispielsweise. Bei Kloten gilt auch in dieser Beziehung: Null, null und null.
Klar, Rapperswil-Jona ist ein Siegerteam. Das ist sofort zu sehen, ja zu spüren. Die Jungs sind voller Selbstvertrauen und Energie. Sie machen praktisch keine Fehler und dominieren die Zweikämpfe. Es ist ein sehr gut organisiertes, defensiv gut gestaffeltes Lauf- und Tempoteam, das sein Spiel blitzschnell ausfächert und die geraden Laufwege sucht.
Aber mit Härte und Intensität, mit ein bisschen Rumpel-Hockey und ein paar gezielten Provokationen, wäre es recht einfach, diesem Spiel den Strom abzustellen. Eigentlich ist die Verteidigung der Lakers bloss aus Sperrholz. Aber die Klotener spielen so, wie es der Aussenseiter mag – ohne Intensität, ohne Checks. Kloten spielt auf eigenem Eis das Spiel der Rapperswil-Jona Lakers. Unfassbar.
Wie ist das alles möglich? Wie kann es sein, dass die Spieler in der ersten Partie, in der die ganze 56-jährige Geschichte ihres Arbeitgebers auf dem Spiel steht, so auftreten, als sei alles eigentlich egal? Als gelte es einfach, nun halt diese Spiele auch noch hinter sich zu bringen?
Wie kann es sein, dass auch zwei Trainerwechsel rein gar nichts bewirkt haben? Wie kann es sein, dass sich nicht einmal ausgewirkt hat, dass die Klotener zum ersten Mal in dieser Saison sogar einen Ausländer mehr in ihren Reihen hatten? Drei sind in der Liga-Qualifikation erlaubt. Rapperswil-Jona konnte nur zwei einsetzen. Weil Jared Aulin verletzt ist.
Vielleicht ist es halt doch ganz einfach. Wenn so viele Spieler längst ihre Zukunft anderorts geregelt haben, kommt es so heraus. Es ist zwar im ganzen Land bekannt, sei aber noch einmal erwähnt. Weil es ganz offensichtlich eine zentrale Rolle spielt. Denis Hollenstein hat bereits einen Rentenvertrag über fünf Jahre bei den ZSC Lions. Vincent Praplan einen Zweijahresvertrag bei den San José Sharks in der NHL. Daniele Grassi – er fehlte verletzt – und Matthias Bieber haben ihre Zukunft mit dem SCB geregelt. Torhüter Luca Boltshauser und Robin Leone werden nach Lausanne zügeln.
Immer und immer wieder wird zu recht betont, Eishockey sei der letzte wahre Mannschaftsport. Namen seien nur auf dem Dress aufgenähte Buchstaben. Erst recht in den Playoffs oder in einer Liga-Qualifikation.
Wenn wichtige Spieler schon bei einer anderen Mannschaft unter Vertrag stehen, dann sind sie juristisch ja bei einer anderen Mannschaft. So einfach ist die Erklärung: Luca Boltshauser, Denis Hollenstein, Vincent Praplan, Matthias Bieber und Robin Leone sind längst schon bei einer anderen Mannschaft.
Kloten braucht ein «Schockerlebnis», das die Spieler aufrüttelt, hellwach macht und signalisiert: so geht es nicht weiter. Einen Weckruf wie diese legendäre Kaffeewerbung:
Bei jedem anderen Hockeyunternehmen der Welt würde jetzt Vincent Praplan – 0 Tore, 0 Assists, Minus-2-Bilanz – auf die Tribüne geschickt. Wenn miserabelste Leistungen über Wochen toleriert werden und keine Konsequenzen nach sich ziehen, dann zerfällt die Leistungskultur. Auch Captain Denis Hollensein – 0 Tore, 0 Assists, Minus-2-Bilanz – gehört dringend auf die Tribüne. Kloten hat in den Playouts ein einziges Spiel gewonnen – als Denis Hollenstein wegen einer Sperre auf der Tribüne sass.
André Rötheli wird gefragt, ob diese Leistung nun Konsequenzen habe und Vincent Praplan auf die Tribüne müsse. Davon will der Trainer nichts wissen. «Das ist ausgeschlossen.» Das bringe nur noch mehr Frust und Verunsicherung in die Mannschaft. Nach dem Motto: Nur ja jetzt alle schonend behandeln. Wenn André Rötheli Kloten mit seiner sanften, ruhigen Art doch noch rettet, dann wird er als der Mann mit den besten Nerven in unsere Hockeygeschichte eingehen.
Zumindest eine erfreuliche Perspektive gibt es für die Klotener: schlimmer kommt es nicht mehr. Am Samstag werden sie in Rapperswil-Jona besser spielen. Und falls es dann auch wieder nicht reichen sollte, bleibt noch die Möglichkeit, einen Wundertrainer zu verpflichten: Tomas Tamfal.
Tomas Tamfal? Ja, er bringt alle Voraussetzungen mit. Er hat bereits einmal in Kloten gearbeitet und weiss wie kein anderer Trainer, wie der SCRJ zu bezwingen ist: Am 16. Februar 2013 hat er Kloten zu einem 12:0-Sieg über die damals noch in der NLA spielenden Lakers geführt. In einem wichtigen Spiel. Es ging um die Playoffs. Vor der Partie war Kloten auf Rang 9, unmittelbar vor den Lakers. Heute arbeitet Tomas Tamfal als Assistent bei den Ticino Rockets in der Swiss League und hätte gerade Zeit auszuhelfen.
Ja, das waren noch Zeiten: Vier Tage nach dem 12:0 gegen die Lakers wurde Tomas Tamfal gefeuert und durch Felix Hollenstein ersetzt. In diesen letzten Jahren des Grössenwahns (2014 reichte es ein letztes Mal fürs Finale) konnte es sich die Klotener leisten, einen Trainer zu schmähen und entlassen, der wusste, wie man die Lakers zweitstellig vom Eis fegt.
Heute würden sie den Hockeygöttern auf den Knien für einen solchen Trainer danken.