Schiedsrichter sind in unserem Hockey ein beliebtes Thema. Wer als Chronist nach einem Spiel durchs Stadionrestaurant läuft, dem wird immer wieder mal von aufgebrachten Matchbesuchern aufgetragen «jetzt mal was zu diesen Schiris zu schreiben.»
In den Medien sind die Unparteiischen jederzeit für eine billige Polemik gut. Das «Volk» ist immer auf der Seite jener, die Schiedsrichter kritisieren. Je kerniger, desto besser.
Sind unsere Schiedsrichter nun gut oder sind sie es nicht? Sie sind gut. Sie machen Fehler wie jeder Spieler auch. Aber sie machen nicht mehr Fehler als – ja, als NHL-Schiris.
Bereits nach zwei, drei NHL-Partien live im Stadion wird klar: NHL-Schiedsrichter sind auch nur Menschen. Behinderungen oder Halten werden bestraft, die keine sind, und dann wieder übersehen, rüde Stockschläge, sogar solche gegen den Torhüter, werden nicht geahndet. Wenn etwas in der NHL in etwa auf gleichem Niveau ist wie bei uns, dann sind es die Schiedsrichter.
Aber wie kommt es, dass bei uns die Spielleitung immer wieder ein Thema ist und in Nordamerika nur in absoluten Ausnahmefällen? Der Unterschied liegt in der «Sheriff-Kultur». Gesetzliche Autoritäten werden in Nordamerika, vor allem in den USA, ganz anders respektiert als bei uns. Was sich etwas populistisch als «Sheriff-Kultur» bezeichnen lässt.
Niemandem fällt es ein, während eines Spiels Gegenstände aufs Eis zu schmeissen oder gar zu randalieren. Die Ordnungskräfte würden sofort rigoros durchgreifen. In einigen Stadien sitzen während des ganzen Spiels ganz unten Aufpasser, die mit dem Gesicht zu den Zuschauern gewandt wie Schiesshunde aufpassen, dass sich ja jeder anständig verhält. Und Gnade dem, der ins unerbittliche US-Justizsystem gerät.
Auf dem Eis sind die Schiedsrichter in der NHL die Sheriffs. Die Vertreter des Gesetzes. Die grösste Differenz zu unseren «Zebras»: sie treten viel, viel selbstsicherer auf. Ihre Körpersprache ist besser. Sie signalisiert allen unmissverständlich: ich bin im Recht. Ich habe Recht! Ich weiss, was ich tue! Hütet euch, mir zu widersprechen! Da kommt nie auch nur ein Spurenelement des Selbstzweifels auf.
Die Spieler und die Coaches respektieren die Entscheidungen. Abfällige Gesten der Spieler nach einem «Strafbefehl», die dem Publikum die Unfähigkeit der Schiedsrichter signalisieren, sind bei uns durchaus üblich. Sie sind in der NHL sehr, sehr, sehr selten. Captains, die beim Schiedsrichter demonstrativ reklamieren oder Erklärungen einfordern wie bei uns: Gibt es in der NHL so nicht.
Das Publikum reagiert auch in NHL-Stadien ab und an auf Schiedsrichterentscheide. Jedoch bei weitem nicht so emotional und so lautstark wie bei uns.
Der Respekt vor dem Gesetz ist auch in der Berichterstattung spürbar. Spieler, Coaches und Manager denken nicht einmal daran, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Schiedsrichterleistung als Entschuldigung anzuführen oder auch nur Andeutungen zu machen. Sie würden sich in der nordamerikanischen Leistungskultur lächerlich machen. Und weil Spieler, Coaches und Manager die Refs nicht kritisieren, tun es auch die Chronistinnen und Chronisten nicht. Auch in dieser Beziehung gilt die «Sheriff-Kultur»: Wer in offizieller Funktion (Spieler, Coaches, Manager,Teambesitzer) die Unparteiischen in Frage stellt, wird von der Liga harsch gebüsst. Die Liga steht bedingungslos hinter ihren Gesetzeshütern.
In der NHL sind die Schiedsrichter zudem in den Stadien räumlich strikte von Spielern, Coaches, Managern und Medienvertretern getrennt. Dass ein Coach oder ein Manager (bei uns Sportchef) seinen Zorn verbal in einem Kabinengang gegenüber einem Schiedsrichter auslässt (was bei uns schon mal vorkommt), ist in Nordamerika völlig undenkbar und würde für den Sünder hohe Bussen und Sperren (ohne Lohnzahlung) nach sich ziehen.
Das alles bedeutet jedoch keineswegs Narrenfreiheit. Auch bei den Schiedsrichtern gilt das Leistungsprinzip. Wer die regelmässigen Fitnesstests nicht besteht oder die Leistungen nicht erbringt, verliert seinen Job so schnell wie ein Spieler ins Farmteam relegiert werden kann.
Die NHL-Schiedsrichter sind alle Profis (auch die Linienrichter) und die Anforderungen sind hoch. Wer «NHL-Sheriff» werden will, muss die Grundschule abgeschlossen haben (High School) oder nachweisen, dass er im Ausland eine entsprechende Schulbildung genossen hat. Sodann sind fünf Jahre Erfahrung als Schiedsrichter in den höchsten Junioren-Ligen oder in einer der zahlreichen Busch- oder Farmteam-Ligen erforderlich. Darüberhinaus wird drei Jahre Erfahrung als Spieler auf gutem Amateurniveau (Junioren- und Universitäts- oder Farmteamligen) verlangt. NHL-Schiedsrichter sind also keine Nasenbohrer.
Die NHL schreibt zudem vor, dass ein Schiedsrichter mindestens eine Stunde «Pendel-Distanz» («Commuting Distance») von einer Stadt mit einem NHL-Team entfernt zu wohnen hat.
Die Bezahlung der NHL-Gesetzeshüter ist recht gut. Heads verdienen zwischen 165'000 und 360'000 Dollar pro Saison brutto. Für die Linienrichter gibt es zwischen 110'000 und 235'000 Dollar. Die Höhe des Salärs wird nach den Dienstjahren berechnet. Je länger dabei, desto besser der Lohn. Nur wer gute Leistungen bringt, bleibt lange dabei. So gesehen ist es ein Leistungslohn.
Damit sind die NHL-Refs jedoch keineswegs, wie in Nordamerika alle glauben, die mit Abstand bestbezahltesten Hockey-Schiedsrichter der Welt. Am meisten verdienen Profi-Schiedsrichter ... bei uns in der Schweiz.
In Nordamerika kassiert der Steuervogt die Hälfte eines Bruttolohnes. Bei uns dürften es je nach Wohnort höchstens zwischen 15 und 25 Prozent sein. Unsere National-League-Profis verdienen etwas mehr als 100'000 Franken pro Saison und liegen damit durchaus auf NHL-Niveau. Zumal die mit dem Lohn verbundenen Sozial- und Versicherungsleistungen bei uns besser sind und der Reisestress geringer ist als in Nordamerika. Alles in allem sind also die Profi-Schiedsrichter in der NHL schlechter bezahlt als bei uns.
Dafür müssen unsere Schiedsrichter mit härterer öffentlicher Kritik und weniger Rückendeckung durch die Liga leben. Ihre gute Entlöhnung ist auch eine «Schafseckel-Zulage».
Ist in der NHL in Bezug auf die Schiedsrichter bis auf die Entlöhnung also alles in allem viel besser als bei uns? Ist die Beziehung zwischen Schiedsrichter, Coaches und Spielern von Romantik, allergrösstem gegenseitigen Respekt oder gar Zuneigung geprägt? Nein. Ganz im Gegenteil. Amerikas Kultur ist auch im Profisport von einer gewissen Bigotterie (Scheinheiligkeit) geprägt.
Die Spieler, Coaches und Manager mögen die Schiedsrichter so wenig wie bei uns. Und umgekehrt. Sie können diese Abneigung nur nicht so ausleben wie bei uns.
Ich habe einmal in New York vor dem Hotel auf das Taxi gewartet, das mich zum Flughafen bringen sollte. Ein junger Mann gesellte sich zu mir. Wir kamen kurz ins Gespräch und einigten uns, das gleiche Taxi zu nehmen. Kosten sparen.
Diese Taxifahrt zum Flughafen war eine der unterhaltsamsten, die ich je genossen habe. Der junge Mann wusste nicht, dass ich Chronist bin. Das verheimlicht man überall auf der Welt so gut es nur irgendwie geht, wenn man etwas über Gott und die Welt erfahren möchte.
Wir kamen ins Gespräch über Hockey und ich gab mich als Hockeyfan zu erkennen. Es stellte sich heraus, dass er einer der beiden Head-Schiedsrichter war, die das Spiel am Vorabend geleitet hatten. Dass ich in der «PressBox» sass, sagte ich ihm natürlich nicht.
Herrlich, wie der junge Mann über gewisse Coaches und Spieler herzog. Was er sich während eines Spiels alles anhören müsse! Wie dieser und jener zu «bescheissen» versuchte! Weil ich ihm in allem aufs Lebhafteste zustimmte und auch meine sarkastischen Bemerkungen über diese völlig überbezahlten, arroganten Jungmillionäre machte, redete er sich geradezu ins Feuer. Weil ich von Natur aus sowieso ein zutiefst diskreter und verschwiegener Mensch bin, konnte ich der Versuchung widerstehen, daraus eine süffige Story zu machen.
In Zeiten der durch das Internet verbundenen Welt hätte es ihn sonst den Job gekostet. Und das wollte ich nicht. Schliesslich hat er die Hälfte meiner Taxifahrt bezahlt.