
Sag das doch deinen Freunden!
Keiner will kriminelle Ausländer. Aber je länger die Debatte dauerte, desto deutlicher wurde die Mogelpackung, die die SVP dieses Mal vorgelegt hatte. Die DSI war nichts anderes als ein Deportations-Automatismus, der selbst für bestens integrierte ausländische Mitbewohner gelten soll, wenn sie ein paar Bagatell-Delikte begangen haben. Mit schweren Verbrechern und wie man mit solchen umgeht, hatte sie nichts zu tun. Mit undemokratischer Ungleichheit für einen Viertel der Bevölkerung schon.
Es dauerte lange, bis die Diskussion in Gang kam, aber dann war sie nicht mehr zu stoppen. Die vielzitierte schweigende Mehrheit, die Anständigen, die Netten und die Differenzierten stiegen in den Ring und verschafften sich Gehör in den sozialen Netzwerken. Zuerst bezogen alte Klassenkameraden Stellung auf Facebook, irgendwann dann auch erste mutige Künstler wie «Emil» und andere, denen der Kampf gegen die DSI ein Anliegen war. Bald mussten auch weniger mutige Künstler wie «Bligg» nachziehen, die schlicht zu einer Stellungnahme genötigt wurden. Die DSI wurde zur demokratischen Gretchenfrage. Keine Meinung zu haben galt nicht, keine Stellung zu beziehen, war feige.
Was die SVP in der Folge in den sozialen Medien erlebte, war nichts anderes als ein permanenter Shitstorm der Differenzierung. Dreistigkeit und Stümperhaftigkeit der Vorlage schlugen nicht mehr denen entgegen, die die untauglichen Vorschläge zu relativieren versuchten, sondern wirkten gegen deren Urheber, die sich plötzlich verteidigen mussten.
Die vermeintlich einfachen Lösungen wurden von Tausenden von Stimmen zerzaust und zerlegt. Ein freundlicher Secondo nagelt die SVP-Spitzen in der SRF-«Arena» in Slow-Motion an die Wand und lieferte damit einen viralen Brüller. Der Zürcher SVP-Nationalrat Zanetti wird im Klassenzimmer gefilmt, wie er von einem Maturanden als dreister Lügner in den Senkel gestellt wird, der nicht mal die Verfassung kennt. Und in den Kommentarspalten auf Facebook und den Online-Portalen gab eine Vielzahl mündiger und informierter Bürger den sonst so gut organisierten rechten Einpeitschern plötzlich differenziert Kontra.
Die Trolle wurden entlarvt und weggeschrieben – bis sie zuletzt fast verstummten.
Die Medien nahmen die Bälle jeweils dankbar auf. Gesteuert haben sie die Debatte ebensowenig wie die klassischen Politiker oder deren Parteien. Die SVP und ihre Anhänger wurden in der viral verbreiteten Debatte argumentativ regelrecht umzingelt. Und je differenzierter und kompetenter die Debatte wurde, desto verlorener und inkompetenter wirkten die SVP-Exponenten. Das Volk, das sich schlau gemacht hatte und selbst das Mikrofon ergriff, hat sich als übermächtiger Gegner erwiesen.
Aus Sicht der SVP-Strategen bergen der Verlauf des DSI-Wahlkampfs und das Abstimmungsergebnis zwei Horror-Erkenntnisse.
Wie die SVP mit dieser schweren Niederlage umgehen wird, hat sie bereits angedeutet. Sie wird noch stärker versuchen, sich als einzige Opposition aufzubauen und sich als Opfer einer Diktatur der Mehrheit darzustellen. Ausserdem wird sie jeden, der sich um einen konstruktiven politischen Ansatz bemüht, als Linken verunglimpfen.
Damit verfolgt sie zwei Zwecke: Links sein soll endgültig zum Schimpfwort und ausserdem suggeriert werden, dass die gesamte Mitte, die nicht den Argumenten der 29-Prozent-Partei verfällt, in denselben – linken – Topf zu werfen ist. Das wird jedem NZZ-Journalisten so gehen, der die Konsequenzen der SVP-Politik aufzeigt, jedem ausländischen CEO, der die Schweizer Wirtschaft im europäischen Kontext schildert, und vor allem jedem Richter, der sich in seiner Auslegung eines Urteils auf unsere humanistischen Werte, auf den gesellschaftlichen Konsens und rechtsstaatliche Prinzipien beruft.
Die Verunglimpfungs-Taktik wird die SVP nicht aus der ungewohnten Defensive befreien, wenn die Stimmbürger sich auch nach der DSI weiter am Diskurs beteiligen und zur Stelle sind, wenn es darauf ankommt. Hier könnte diese Abstimmung der Beginn einer regelrechten Schweizer Grassroot-Bewegung gegen die ewiggestrige Angstmacherei und für eine lösungsorientierte Zukunftsgestaltung werden.
Denn wie gesagt: Das Volk, das sich schlau gemacht hat, ist für diejenige Partei, die von sich behauptet, das Volk zu sein, ein übermächtiger Gegner.