Im Nationalrat ist der Drops gelutscht: Ja zum «Inländervorrang light» nach kontrovers und emotional geführter #MEI-Debatte
Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative hat am Mittwoch die Emotionen im Nationalrat hoch gehen lassen. Überraschungen blieben aus. Die Mehrheit stimmte für den «Inländervorrang light», der mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist.
Während der gut sieben Stunden dauernden Debatte schenkten sich die gegnerischen Lager nichts. Zur Diskussion stand ein Umsetzungskonzept der Staatspolitischen Kommission, das stark von den Anträgen des Bundesrats abweicht.
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz (BE) bezeichnete dieses als einen in «Hochglanz verpackten Verfassungsbruch». Damit würden der Volkswille klar missachtet und die direkte Demokratie beerdigt. SP-Sprecher Cédric Wermuth (AG) entgegnete, das Parlament tue nichts anderes, als einen Normenkonflikt zu lösen.
Die Vertreter von FDP, SP, BDP und GLP zeigten keinerlei Neigung, die Bilateralen einer wortgetreuen Umsetzung zu opfern. Er habe keinen Auftrag, «dieses Land und seinen Wohlstand an die Wand zu fahren», sagte BDP-Präsident Martin Landolt (GL). Die SVP ihrerseits verlängerte die Redezeit ihrer Redner mit Zusatzfragen um ein Vielfaches. Die Emotionen gingen derart hoch, dass Ratspräsidentin Christa Markwalder (FDP/BE) zu gegenseitigem Respekt aufrufen musste.
Warum der Inländervorrang «light» ist
Dagegen nehmen sich die Beschlüsse des Nationalrats geradezu unspektakulär aus. Vorgesehen sind drei Stufen von Massnahmen. Zunächst muss der Bundesrat dafür sorgen, dass das inländische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt wird. Überschreitet die Zuwanderung trotzdem einen bestimmten Schwellenwert, können Arbeitgeber verpflichtet werden, offene Stellen dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zu melden.
Eine Pflicht, Inländer anzustellen, gibt es aber nicht. Der Vorrang besteht laut Kommissionssprecher Kurt Fluri (FDP/SO) allein darin, den inländischen Arbeitskräften einen zeitlichen Vorsprung auf die Konkurrenz aus dem Ausland zu verschaffen.
Die EU und ihr «faktisches Vetorecht»
Auch einseitige Massnahmen standen zur Diskussion. CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) hatte vorgeschlagen, dass der Bundesrat befristete Abhilfemassnahmen beschliessen kann, wenn mit der EU innerhalb von 60 Tagen keine Einigung zu Stande kommt. Ohne diese Möglichkeit werde der EU faktisch ein Vetorecht eingeräumt, argumentierte er.
Der Nationalrat lehnte Pfisters Vorschlag mit 98 zu 93 Stimmen bei 5 Enthaltungen ab. Auch die SVP, die sich für eine Umsetzung mit Kontingenten und einem strikten Inländervorrang eingesetzt hatte, fand mit ihren Anträgen keine Mehrheit. Ihrer Ansicht nach wird die Initiative mit den Beschlüssen des Nationalrats nicht umgesetzt. «Wir haben nichts», stellte Parteipräsident Albert Rösti (BE) am Ende der Debatte fest. Darum stehe auch ein Referendum nicht zur Diskussion.
Angenommen hat der Nationalrat einen Antrag Pfisters, Kurzaufenthalter, die die Schweiz nach höchstens neun Monaten wieder verlassen, von allfälligen Abhilfemassnahmen auszunehmen. Auch das vom Bundesrat vorgeschlagene härtere Regime in der Sozialhilfe fand eine Mehrheit: Ausländerinnen und Ausländer, die zur Stellensuche in die Schweiz kommen, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Mitglieder der kleinen Kammer haben bereits Zweifel an der Verfassungsmässigkeit der Umsetzung geäussert. Die Debatte im Ständerat dürfte den Startschuss geben für die Diskussion über die Anpassung des Zuwanderungsartikels. Basis dafür könnte ein allfälliger Gegenvorschlag zur RASA-Initiative sein. Der Bundesrat muss bis Ende Oktober entscheiden, ob er einen solchen vorschlagen will.
>> Wir haben mit einem Ticker über den Verlauf der teilweise doch sehr emotional geführten Debatte berichtet – unser Mann vor Ort war Peter Blunschi. Hier kannst du die Debatte chronologisch nachlesen:

Pfister hofft auf Ständerat
Nationalrat setzt auf «Inländervorrang light»
Das Ende naht
Auch Sommaruga erteilt Pfister eine Absage
Pardini stellt richtig
Die Anträge Pfisters und Portmanns
Talk nach dem Showdown
Im Saal geben sie sich Saures, in der Wandelhalle plaudern Hansueli Vogt ( SVP, ZH) und Corrado Pardini (SP, BE) angeregt miteinander. #MEI pic.twitter.com/bXb9akUGX5
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
Jetzt geht's ins Detail
Rösti bleibt optimistisch (für die SVP)
SVP-Chef Albert Rösti bleibt trotz abgelehnter Rückweisung guter Dinge: "Für das Volk sieht es schlecht aus, nicht für unsere Partei." #MEI
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
Business as usual
Nun stimmt der Nationalrat zum ersten Mal ab
Fluri mit seinem Schlusswort
Kurt Fluri bleibt die Ruhe selbst. Er weist die SVP darauf hin, dass sie das Referendum gegen die #MEI-Umsetzung ergreifen kann.
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
SVP-Präsident Albert Rösti (links) mit CVP-Präsident Gerhard Pfister
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz winkt mit der Bundesverfassung
Schlagabtausch Amstutz/Wertmuth
Amstutz an Wermuth: "Sie verraten ihre Arbeiterschaft!" Die wählt ohnehin SVP. Oder sie darf nicht wählen. #MEI
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
Nun Bundesrätin Sommaruga
Zur Kommission: «Sie haben intensiv an ihrem Vorschlag gearbeitet. Wenn der Verfassungsartikel nicht mit dem Personenfreizügigkeits-Abkommen vereinbar ist, müssen Sie entscheiden, welchen Weg Sie gehen möchten. Diese Frage werden Sie in den nächsten Stunden klären müssen. Ich bitte Sie, auf die Vorlage der Kommission einzutreten. Denn das Dilemma, das wir ansonsten haben, ist nicht einfacher zu lösen», so Sommaruga.
Köppel und Markwalder im Gespräch
Wermuth gibt noch einmal eine Erklärung ab
Horizon 2020 steht auf dem Spiel
Amstutz: «Das schlägt dem Fass den Boden aus»
Cédric Wermuth greift die SVP an
Nun kommt noch die SP
Des einen Freud, des andern Leid
Eric Nussbaumer (SP, BL) amüsiert sich über die SVP-Behauptung, die Zuwanderung belaste die Sozialwerke: "Die AHV hat profitiert!" #MEI
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
Isabelle Chevalley verzichtet auf Fragen aus der eigenen Partei
Tiana Angelina Moser, ebenfalls GLP-Nationalrätin: «Die Phase der wilden Fantasien ist vorbei. Der Bundesrat hat seinen Job gemacht und versucht mit der EU auf einen grünen Zweig zu kommen. Nun liegt es an uns, das Beste daraus zu machen. Den Fünfer und das Weggli gibt es dabei nicht. Kontingente zu beschränken und gleichzeitig das wirtschaftliche Gesamtinteresse zu wahren, ist nicht möglich.»
Weiter geht es mit der Selbstbefragung der SVP
watson-Redaktor Peter Blunschi ortet ein «Cabaret Fédéral»
Und dann lässt sich Amstutz auch noch von seinen Parteikollegen befragen. Cabaret Fédéral 😟😟 #MEI
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
SVP befragt sich seit zehn Minuten selber... In Australien nennt man solche vorbereiteten Fragen aus dem eigenen Lager "Dorothy Dixer" #MEI
— Heidi Gmuer (@HeidiGmuer) 21. September 2016
Gregor Rutz kritisiert die Mitte
Der Dorothy Dixer
SVP befragt sich seit zehn Minuten selber... In Australien nennt man solche vorbereiteten Fragen aus dem eigenen Lager "Dorothy Dixer" #MEI
— Heidi Gmuer (@HeidiGmuer) 21. September 2016
Unser Redaktor, der das Theater live miterlebt
Und dann lässt sich Amstutz auch noch von seinen Parteikollegen befragen. Cabaret Fédéral 😟😟 #MEI
— Peter Blunschi (@PetBlun) 21. September 2016
Die Fragen der SVP
Köppel will eine Frage stellen. Oder doch nicht?
Amstutz der neue Giacobbo?
Die SVP-Vertreter stellen die meisten Fragen an Amstutz
Die ganze Rede Adrian Amstutz'. Wird die Demokratie beerdigt?
Führt die SVP ein Theater auf?
Als wäre es eingeübt, sagt Amstutz: «Der oberste Chef ist das Volk, das scheint man hier im Parlament vergessen zu haben.»
Toni Brunner befragt Adrian Amstutz, das irritiert
Absurd: SVP-Nationalräte stellen sich öffentlich Fragen im Parlament - «für die Fernsehzuschauer», wie Fraktionschef Amstutz sagt #MEI
— Daniel Foppa (@DFoppa) 21. September 2016
Nationalratspräsidentin mahnt zum gegenseitigen Respekt
Dieser poltert aber ungehindert weiter: «Der Angstschweiss vor Brüssel ist in diesem Saal riechbar», so Amstutz weiter.
SVP-Nationalrat Adrian Amstuz: «Das ist Verfassungsbruch»
Im Bild: Adrian Amstutz zeigt die Verfassung
Schaukampf zwischen FDP und SVP
Bisher alle für den «Inländervorrang light», die CVP unter Vorbehalten
Glättli bedankt sich bei den Schweizerinnen und Schweizern.
Balthasar Glättli: «Ich bin froh, ist hier etwas Nüchternheit eingekehrt»
«Wer die Bilateralen kündigen will, soll dies offen kommunizieren»
FDP-Nationalrat Matthias Jauslin spricht, die SVP...
«Eine schwierige Aufgabe»
«Der Inländervorrang, wie er im Vorschlag aufgeführt wird, sichert uns die Bilateralen. Doch nun liegt es an den Arbeitgebern, diesen Vorrang auch umzusetzen», so Jauslin. Auch er betont, dass das Zeitfenster für eine Umsetzung, mit der jeder zufrieden ist, zu klein ist.
Viele leere Sitze im Saal
Der Nationalrat diskutiert über die MEI und der Saal ist fast leer.#MEI
— Karin Doe (@dublerkarin) 21. September 2016
Ruth Humbel fragt sich, ob SP-Aebischer überhaupt zugehört hat
Marco Romano und Ruth Humbel von der CVP
Der Tessiner CVP-Nationalrat Marco Romano kritisiert: «Wo bleibt das Schweizer Selbstbewusstsein? Die Schweiz will selbst über die Zuwanderung bestimmen.»
Nun der Präsident der BDP
Martullo poltert, Fluri kontert, der Saal lacht
Martullo Blocher ergreift das Wort
Dazu Fluri trocken: «50 Detailvorstösse ergeben noch kein Konzept.»
Wenig Betrieb in der Wandelhalle
Noch wenig Betrieb in der Wandelhalle. Im Saal spricht Mr. "Inländervorrang light" Kurt Fluri. #MEI pic.twitter.com/GvUF8cyTNC
— Peter Blunschi (@PetBlun) September 21, 2016
Die Nationalräte der SVP nehmen Fluri in die Zange
«Die Umsetzung darf keine internationale Verträge verletzen»
«Viele Initiativen sind nicht wortgenau umgesetzt worden. Die Ausschaffungsinitiative bildet dabei keine Ausnahme», so Fluri. Als Beispiel nennt er die Zweitwohnungsinitiative. Deshalb bittet Fluri die Nationalräte, den Vorschlag anzunehmen.
Kurt Fluri, Sprecher der SPK.
Kurt Fluri
Spott auf Twitter
Heute ist grosser Sprüchetag im Nationalrat. #MEI
— hu.vollenweider (@deppenpost) 21. September 2016
Hoffen wir er hat nicht Recht.