Die Enttäuschung war gross nach dem Entscheid des Parlaments zu der für den 11. Mai erwarteten Corona-Warn-App. Und die Verwirrung noch grösser, wie Reaktionen in der watson-Kommentarspalte und bei Twitter zeigen.
Warum sind unsere National- und Ständeräte nur solche «Bremser»? Erfolgt die offizielle Lancierung tatsächlich erst im Juli? Was hat es mit der von Gesundheitsminister Alain Berset in der Debatte erwähnten «Testphase» auf sich?
Digitalaffine Politikerinnen und Politiker wie die Nationalrätin Judit Bellaiche zeigen sich im Nachgang konsterniert, ob der aus ihrer Sicht unbegründeten Kritik.
Sowohl Gegnerinnen als auch Befürworter der Corona-App hätten ihn mit Mails bestürmt, schildert Nationalrat Balthasar Glättli. Er sah sich darum zu «ein paar Klarstellungen» veranlasst, die er via Instagram-Video verbreitete.
Ihre Argumentation: Das Parlament habe nie gewollt, dass sich der Start des digitalen Contact Tracing verzögere, sondern nur vom Bundesrat verlangt, klare Rahmenbedingungen zu schaffen (siehe unten). Und zudem sei auch nicht das Parlament an der Verzögerung schuld.
Offenbar ein Kommunikationsproblem. Der Gesundheitsminister, respektive seine Fachleute beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), sollen dafür verantwortlich sein.
Demnach war gar nie geplant, die App am 11. Mai zu lancieren, wenn der «Lockdown» aufgehoben wird. Nur wollte das niemand der Bevölkerung beibringen. Zur Erinnerung: BAG-Generaldirektor Pascal Strupler hatte zuvor gesagt, dass die App bis am 11. Mai fertig gestellt werde.
Dem «Tages-Anzeiger» verriet nun Gregor Lüthy, Leiter der BAG-Kommunikationsabteilung, das man durch den Parlamentsentscheid «etwas mehr Zeit» erhalte. Zeit, die sowohl die App-Entwickler noch gut brauchen können, als auch die Verantwortlichen beim Bund und den Kantonen.
watson hat beim BAG nachgefragt.
Dazu schreibt uns Katrin Holenstein von der Kommunikationsabteilung des BAG:
Sie könne nichts zur Grösse der Testgruppe sagen, teilt die BAG-Sprecherin weiter mit.
«Begrenzter Nutzerkreis», das heisst, dass die App sicher nicht – wie etwa die SBB-Preview-App – bereits von allen bereitwilligen Smartphone-Usern installiert werden kann.
Dazu kann die BAG-Sprecherin nichts sagen. Nur: «Wir werden mit dem Start der Testphase informieren.»
Auch dies deutet daraufhin, dass es sich am Anfang um einen sehr begrenzten Personenkreis handeln dürfte.
Generell gilt für das Testen von iPhone-Anwendungen: Apple lässt über seine «TestFlight» genannte Entwickler-Plattform maximal 10'000 externe Tester pro App zu.
Bei Android sind geschlossene Tests mit Gruppen bis zu 100 Usern möglich. Bei offenen Tests mit grösseren Gruppen muss die App im Google Play Store verfügbar sein. Das heisst laut Google allerdings auch, dass die App für alle auffindbar ist und auch in den Suchergebnissen auftaucht.
Zur Erinnerung: DP-3T hat schon App-Tests mit einer Gruppe von 100 Schweizer Soldaten durchgeführt.
watson hat auch bei DP-3T angefragt, wie die Testphase ablaufen soll. Eine Antwort steht aus.
Wie beurteilt das BAG die Befürchtung, dass sich die offizielle Lancierung der App massiv verzögere und frühestens im Juli (auf breiter Basis) verfügbar sei?
Das BAG versucht zu relativieren:
Nach derzeitigem Wissensstand ist festzuhalten: Gemäss dem aktuellen technischen Stand ist das digitale Contact Tracing keine «Wunderwaffe», die eine zweite Ansteckungswelle verhindern könnte. Die Bluetooth-basierte Proximity-Tracing-App ist noch nicht massentauglich, sie muss sich erst einmal in aussagekräftigen Praxistests bewähren.
Das DP-3T-Entwicklerteam muss ja auch noch die Apple-Google-Schnittstellen implementieren und testen.
Zudem dürften Bund und Kantone mit der Organisation und Infrastruktur noch nicht so weit sein, wie es für die offizielle App-Lancierung zwingend erforderlich ist.
An der Medienkonferenz am 1. Mai sagte der Covid-19-Delegierte des BAG, Daniel Koch, es müsse noch definiert werden, wie die Proximity-Tracing-App in die Contact-Tracing-Strategie des Bundes integriert werde. Dies müsse man insbesondere mit den kantonsärztlichen Diensten anschauen.
Auf Nachfrage von watson, wie weit diese Abklärungen inzwischen fortgeschritten seien, heisst es nur:
Dazu die BAG-Sprecherin:
Das ist offen.
Die Sommersession findet vom 2. bis 19. Juni statt. Die Genehmigung des vom Parlament geforderten dringlichen Bundesgesetzes dürfte blosse Formsache sein. Die wichtigsten Forderungen sind laut Bundesrat Berset bereits erfüllt:
In einem Kommentar Anfang Woche forderte ich den Bundesrat auf, wichtige Entscheide zur App-Lancierung verständlich zu kommunizieren, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern. Das haben der Gesundheitsminister und die Verantwortlichen beim Bundesamt für Gesundheit verbockt.
Damit der Vertrauensvorschuss für die Corona-Warn-App nicht verspielt wird, ist nun Transparenz Pflicht. Dass vor der offiziellen Lancierung eine Testphase zwingend nötig ist, leuchtet selbst dem grössten technischen Laien ein. Dass wir dies nun indirekt erfahren mussten und der Bundesrat auch noch versuchte, dem Parlament den Schwarzen Peter zuzuschieben, ist eine schwache Leistung.
Falls die Kurve mit den Covid-19-Ansteckungen in den nächsten Wochen steil ansteigt, sollte niemand der fehlenden Corona-Warn-App die Schuld geben. Das dürfte dann vielmehr an der starken Lockerung der Zwangsmassnahmen und unserem unvorsichtigen Verhalten liegen.
Zur Erinnerung: Es gibt noch kein Land weltweit mit einer gut funktionierende Corona-Warn-App. Die bisher lancierten Apps, mit Asien und Osteuropa als Pionierregionen, vermochten nicht überzeugen. Sei dies in Singapur und Australien, oder Norwegen und Nordmazedonien. Aus Island hiess es zunächst, die Bevölkerung habe die staatliche App (Rakning C-19) positiv aufgenommen. Zur Effizienz liegen mir keine Informationen vor. Man muss aber wissen, dass die isländische App hierzulande keine Chance hätte, es ist ein zentralisiertes Überwachungs-System und beinhaltet GPS-Ortung.
Bleibt noch Österreich, da hat das Österreichische Rote Kreuz relativ früh die «Stopp Corona»-App lanciert, die mittlerweile über 560'000 Downloads erreicht hat. Damit sie erfolgreich eingesetzt werden könne, müssen es mehr sein, sagten die Verantwortlichen an einer Zwischenbilanz.
Es geht mir bei den folgenden Fragen in erster Linie um den zu erwartenden Testbetrieb für die Schweizer Corona-Warn-App, der laut BAG nächste Woche starten soll.
Kann mir nun jemand erklären was nun der Unterschied zwischen Testbetrieb und Echtbetrieb der App sein wird? Wenn die App (Beta) da ist, ist sie da. Google und Apple-API kann nicht ohne App genutzt werden.
— Adrienne Fichter (@adfichter) May 7, 2020
Was sind deine brennendsten Fragen rund um die Schweizer Corona-Warn-App? Lass es uns via Kommentarfunktion wissen. Und der watson-Redaktor wird die wichtigsten Anliegen den Verantwortlichen beim Bund vorlegen.