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Per Autostopp um die Welt

Autostopp in China: Strassen top, Ambulanzen Flop

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Per Autostopp um die Welt – Woche 29: Von Ürümqi (China) nach Xi'an (China)
2800 Kilometer in etwas weniger als zwei Wochen sind viel, sehr viel. Aber die wunderschönen Landschaften haben uns die langen Autostopptage versüsst.
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Per Autostopp um die Welt

In China zu zweit trampen ist super (der Ambulanz nach einem Unfall zuschauen zu müssen, ist hingegen Horror)

Ich bin nicht mehr alleine unterwegs! Seit rund zwei Wochen ist meine Freundin Lea zu Besuch. Gerne hätte ich in dieser Kolumne nur darüber geschrieben, wie toll das Autostöppeln zu zweit in China funktioniert. Leider kam es aber auch zu einem unerfreulichen Zwischenfall ...
19.12.2015, 11:2519.12.2015, 13:15
Thomas Schlittler
Thomas Schlittler

Diese Woche zwischen Ürümqi und Xi'an hat gut angefangen ...

Ich stehe nicht mehr alleine am Strassenrand! Seit rund zwei Wochen ist meine Freundin Lea zu Besuch.
Ich stehe nicht mehr alleine am Strassenrand! Seit rund zwei Wochen ist meine Freundin Lea zu Besuch.
Thomas schlittler

29. Etappe: Hier ging's lang

Mit Lea geht's ruckzuck ...

Eines vorweg: Autostöppeln zu zweit gibt in China Anlass zu Freudensprüngen. Mit nur 15 Fahrern kommen wir 2800 Kilometer Richtung Südosten bzw. Richtung Wärme. Yeah!
Eines vorweg: Autostöppeln zu zweit gibt in China Anlass zu Freudensprüngen. Mit nur 15 Fahrern kommen wir 2800 Kilometer Richtung Südosten bzw. Richtung Wärme. Yeah!
Bild: Thomas Schlittler

Sogar das Fotoshooting müssen wir abbrechen, weil ein Auto hält ...

Wir müssen nie länger als 20 Minuten warten. Und weil schon wieder jemand anhält, können wir nicht einmal das Autostopp-Fotoshooting anständig beenden.
Wir müssen nie länger als 20 Minuten warten. Und weil schon wieder jemand anhält, können wir nicht einmal das Autostopp-Fotoshooting anständig beenden.
Bild: Thomas Schlittler

Die vorläufige (positive) Bilanz dieser Woche:

  • Wir sind mit nur 15 Fahrern 2800 Kilometer Richtung Südosten vorwärtsgekommen.
  • Dabei mussten wir nie länger als 20 Minuten warten.
  • Mehrere Fahrer haben uns zum Essen eingeladen.
  • Der 31-jährige Unternehmer Lu Liang hat uns in seine Heimatstadt Fufeng mitgenommen, um uns seiner Frau und seiner sechsjährigen Tochter vorzustellen.
  • Die drei zeigten uns einen buddhistischen Tempel, teilten mit uns ein wahres Festmahl und liessen sich schliesslich nicht davon abhalten, uns ein schickes Hotelzimmer zu bezahlen.

Und das sind die Bilder unserer Fahrer diese Woche:

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Per Autostopp um die Welt – Woche 29: Von Ürümqi (China) nach Xi'an (China)
Von Ürümqi: Unser erster Fahrer ist Shi Kuang Li (Schreibweise willkürlich). Er lädt uns zum Mittagessen ein und erzählt uns lachend, ...
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Leider kam dann zwischendurch alles ein bisschen anders:

All das wurde leider überschattet von einem Verkehrsunfall, der sich auf dem Weg zum Tempel direkt vor unseren Augen ereignete:

Ein Traktor mit viel zu viel Holz auf seinem Anhänger weicht bei einer belebten Kreuzung weit auf die linke Fahrbahn aus, um ein parkiertes Auto zu umfahren. Mehrere der tennisballdicken Baumstämme, die weit über die Ladefläche hinausragen, erfassen dabei mit voller Wucht einen alten Mann, der am Strassenrand mit dem Beladen seines kleinen Lieferwagens beschäftigt ist.

Der alte Mann hat den Blick von der Strasse abgewandt, die Holzprügel treffen ihn deshalb völlig unvorbereitet. Der gebrechliche Körper wird durch die Luft geschleudert und bleibt regungslos auf der Strasse liegen. Sofort bildet sich eine Menschentraube um das Unfallopfer. Auch unser Fahrer Lu Liang und seine Frau steigen aus. Er ruft sofort einen Krankenwagen.

Lea und ich beobachten das Geschehen zuerst aus dem Auto, wir wollen nicht als Gaffer im Weg stehen. Als Lea aber sieht, wie unvorsichtig die Einheimischen den alten Mann an den Strassenrand lupfen, hält sie es nicht mehr aus. Die Physiotherapeutin zwängt sich zwischen den Leuten hindurch, die hilflos auf den starren Körper hinabblicken, nimmt ihren Schal ab, um den Kopf des Unfallopfers zu stützen, und ruft mir zu: «Du hast doch eine Alu-Rettungsdecke in deinem Rucksack, oder?»

Endlich beginnt jemand, mit dem Opfer zu sprechen

Ich hole die Decke, die ich für kalte Nächte im Zelt bei mir habe, und meinen Schlafsack aus dem Kofferraum. Meine aufblasbare kleine Campingmatratze hält Lea für keine gute Idee: «Wir sollten auf die Ambulanz warten und ihn möglichst wenig bewegen.» Dann streicht sie dem Fremden sanft über die Wangen und redet leise auf ihn ein.

Er ist nicht bewusstlos, sein Gesicht bewegt sich von Zeit zu Zeit, doch er schliesst immer wieder die Augen. «Sie müssen auf Chinesisch mit ihm reden, damit er wach bleibt», sagt Lea zu mir. Ich nehme Lu Liangs Handy und spreche die Anweisung auf seine Übersetzer-App. Dann zeige ich die chinesischen Zeichen der alten Frau, die den Mann zu kennen scheint, und sich schon die ganze Zeit sorgenvoll über ihn beugt. Sie beginnt mit ihm zu sprechen.

Dann greifen drei, vier beliebige Leute sorglos nach dem gebrechlichen Körper und hieven ihn auf die Trage. Der alte Mann stöhnt mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Nach rund 20 Minuten die Erleichterung: Der Krankenwagen kommt. Der Sanitäter kniet runter und redet auf das Unfallopfer ein. Der alte Mann bewegt unter dem Schlafsack und der Notfalldecke seinen rechten Arm und deutet wortlos auf seinen Rücken. Der Sanitäter nimmt es zur Kenntnis und lässt die Bahre herbeibringen.

Hauptsache, es geht möglichst schnell

Dann greifen drei, vier beliebige Leute sorglos nach dem gebrechlichen Körper und hieven ihn auf die Trage. Der alte Mann stöhnt mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Sanitäter schaut nur zu, er greift nicht ein. Hauptsache, es geht möglichst schnell, scheint seine Devise zu sein. Ich kann fast nicht glauben, was ich da sehe.

Hast du eine Etappe verpasst? Hier findest du sie alle:

Ich bin alles andere als ein Erste-Hilfe-Experte. Aber sogar ich weiss, dass man es so mit Sicherheit nicht macht. Lea beobachtet die Szene ebenfalls fassungslos. Als dann auch noch ein Mann vom Krankenwagen zu ihr zurückgerannt kommt, um ihr den Schal zurückzugeben, sagt sie wütend: «Nein, nein, ich will ihn nicht. Stabilisiert seinen Kopf damit!»

Keiner fragt, es kommt keine Polizei

Doch es ist zu spät. Die Krankenwagentüren schliessen sich und die Menschenmenge löst sich auf. Auch wir steigen wohl oder übel wieder in unser Auto und fahren weiter. Keiner fragt uns nach dem Unfallhergang, die Polizei taucht gar nicht erst auf. Und der Unfallverursacher, der Fahrer des überladenen Traktors, ist längst nirgends mehr zu sehen.

Das Klischee bestätigt sich leider bei diesem Unglück: In China zählt das Individuum offenbar wenig.

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Luca Brasi
19.12.2015 12:41registriert November 2015
Oh, das ist aber eine traurige Geschichte! Einerseits zählt das Individuum wirklich nicht so viel, andererseits zeigen sich hier viele Probleme Chinas. Überladene Vehikel, Unkenntnis der Ersten Hilfe, Gaffertum, fehlende Expertise bei Sanitätern, etc. Das sind genau die Dinge, die mich wütend machen. Ich bin gerade ziemlich traurig das zu lesen. Die Schattenseiten Chinas und es ändert sich noch immer nichts...
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exeswiss
19.12.2015 13:56registriert Januar 2015
einfach nur genial der blog, danke für das update thomas.
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kEINKOmmEnTAR
19.12.2015 20:32registriert Januar 2014
Liegt das nicht eher an deiner weiblichen Begleitung das du überall mitkamst? 😎
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