Als ich die Türe von Domenics Lieferwagen öffne, kommt mir dieser unverkennbare, leicht beissende Duft von Marihuana entgegen. Der 32-jährige Chauffeur gönnt sich gerade einen Joint. Domenic kifft, obwohl er im Dienst ist und hinter dem Steuer sitzt. Für ihn ist es die normalste Sache der Welt. Er hält es nicht einmal für nötig, seinen Joint zu verstecken.
Vor ein paar Wochen hätte mich ein kiffender Lieferwagenfahrer noch irritiert. Nach drei Wochen an der US-Westküste überrascht mich bezüglich Cannabiskonsum jedoch nichts mehr. Denn hier wird gekifft, was das Zeug hält. Ich sass in den Bundesstaaten Washington, Oregon und Kalifornien bisher in 21 verschiedenen Fahrzeugen. Von neun Fahrern weiss ich, dass sie Cannabis konsumieren. Wahrscheinlich sind es noch mehr, das Thema kam aber nicht immer zur Sprache.
Meine Fahrer sind nicht nur Cannabiskonsumenten, einige sind auch Anbauer, Erntehelfer oder Händler: Cowboyhut-Träger Greg in Washington drückt mir zum Abschied eine Visitenkarte seines Cannabisshops in die Hand. George besitzt im Norden Kaliforniens eine kleine Cannabisplantage, die rund 30 Prozent zu seinem Lebensunterhalt beiträgt.
Und die beiden Hippies Clayton und Thomas, mit denen ich drei Tage durch die Gegend kurve, sind auf dem Weg, um genau auf einer solchen Cannabisfarm gutes (Schwarz-)Geld zu verdienen.
Ihre Aufgabe besteht darin, die nicht erwünschten Blätter der Pflanze zu trimmen und das Produkt zum Konsum vorzubereiten. Pro Pfund bekommt ein Trimmer zwischen 100 und 200 Dollar. «Wer effizient arbeitet, kann durchaus zwei Pfund pro Tag schaffen», so Clayton.
In Washington und Oregon ist Cannabis vollständig legalisiert – Konsum, Anbau, Kauf und Verkauf. In Kalifornien dagegen braucht man für den legalen Cannabiskonsum eine ärztliche Empfehlung. Diese ist jedoch spielend leicht zu bekommen – und schon bald ist vielleicht auch das nicht mehr nötig.
Am 8. November, also am Tag der US-Präsidentschaftswahlen, stimmen die Kalifornier über die vollständige Legalisierung von Cannabis ab.
Interessant: Die Leute, die in Kalifornien mit dem Anbau von Cannabis gutes Geld verdienen, kämpfen gegen die vollständige Legalisierung. Sie befürchten, dass die Legalisierung für sie mehr Vorschriften und einen Absatzboom bringt – und dass Grossunternehmen ins Cannabisgeschäft einsteigen würden.
«In Oregon gibt es mittlerweile grosse, industrialierte Cannabisplantagen. Dort finden wir als Trimmer keine Arbeit mehr», sagt Clayton. Plantageninhaber George wiederum macht sich Sorgen, dass er mit den grossen, finanzstarken Firmen preislich nicht mithalten könnte.
Ich finde es nicht verwerflich, was Clayton, Thomas und George tun. Ich halte Cannabis nicht für eine gefährliche Droge – zumindest nicht gefährlicher als Alkohol. Leute, die täglich und in grossen Mengen Cannabis konsumieren, tendieren zwar zu Ambitionslosigkeit, sie sind aber in der Regel relaxte, angenehme Zeitgenossen. Oder anders ausgedrückt: Alkohol löst mit Sicherheit mehr Schlägereien aus und zerstört mehr Familien als Cannabis.
Das Einzige, was mich an der Cannabisindustrie in Nordkalifornien stört, ist die Tatsache, dass vieles im Versteckten abläuft. Weil Konsum und Anbau bis jetzt nur teilweise legal sind und von der Zentralregierung in Washington nach wie vor geächtet werden, hat sich ein praktisch rechtsfreier Raum entwickelt – ob es nun um die Arbeitsbedingungen der Trimmer geht oder um die Versteuerung von Gewinnen.
Wer gegen Schwarzarbeit und unversteuerte Gewinne ist, sollte sich deshalb für die Legalisierung von Cannabis einsetzen. Denn gekifft wird sowieso – überall auf der Welt. Chauffeur Domenic sagt denn auch: «Mir ist es egal, ob Cannabis vollständig legalisiert wird. Für mich macht es keinen Unterschied.»