Erik Hagerman lebt allein auf einer Schweinefarm in Ohio. Er ist kein Schweinezüchter. Und er ist kein Spinner.
Der 53-Jährige verzichtet seit bald eineinhalb Jahren auf Nachrichten. Seit dem 8. November 2016, um genau zu sein. Das war der Tag, an dem Donald Trump gewählt wurde.
Der Schock sass tief.
Der Journalist Sam Dolnick hat Hagerman im Mittleren Westen besucht und für die «New York Times» einen faszinierenden Artikel über das «No-News»-Experiment geschrieben.
Das Einreiseverbot für Muslime. Die Russland-Affäre und die Geheimdienste. Der geschasste FBI-Direktor. Charlottesville und die Nazis. Das Schusswaffen-Massaker von Las Vegas ...
Hagerman weiss nichts davon.
Um alle Nachrichten fernzuhalten, habe der 53-Jährige eine Festung um sich selbst errichtet, schreibt Sam Dolnick. «Winzige kleine Informationsboote können gefährlich sein.»
Zwar lebe Hagerman zurückgezogen auf einer Farm und arbeite an Kunstwerken. Doch fahre er jeden Tag in die nächste Stadt, setze sich ins immer gleiche Lokal («Donkey Coffee») und zeichne in sein Notizbuch. Die Baristas, respektive das Servierpersonal, seien instruiert, ihn beim Small Talk nicht mit neuesten Geschehnissen aus dem White House zu belästigen.
Hagerman komme früh, bevor alle Ledersessel mit plaudernden Gästen gefüllt sind. Und er trage öfters Kopfhörer, um nicht versehentlich fremde Gesprächsfetzen aufzuschnappen.
Allerdings hört er keine normale Musik, sondern «White Noise», also eine Geräuschkulisse. Das Problem bei Songs sei, das dazwischen immer mal wieder eine Pause liege. Und da könnte es passieren, dass er versehentlich etwas aufschnappe.
So wie damals, als er bei einem Passanten mit Zeitung das Konterfei von Kim Jong Un entdeckte. Irgendwas musste mit Nordkorea im Busch sein. Was wohl? Keine Ahnung.
Hagermann verrät, dass er ursprünglich nur ein paar Tage auf sämtliche Good und Bad News verzichten wollte. Doch daraus wurde ein ernsthaftes Experiment. «The Blockade.»
Wie fühlt es sich an, so ganz ohne News?
Hagerman sagt, er habe sich an ein Gefühl gewöhnt, das er schon sehr lange nicht mehr gespürt hatte: «Ich langweile mich», erzählt er. Und fügt an: «Aber es nervt nicht.»
In den Anfängen habe er auch ein schlechtes Gewissen gespürt. Doch das habe sich mit der Zeit gelegt ...
Spannendes Detail: Erik hat einen Zwillingsbruder. Kris Hagerman ist ein Top-Manager im Silicon Valley. Er leitet die bekannte IT-Sicherheitsfirma Sophos.
Während seiner News-Blockade besuchte Erik seinen Bruder in San Francisco. Ein Treffen, das mit besonderen Vorkehrungen und strengen Abmachungen vorbereitet werden musste. Der Fernseher durfte nie eingeschaltet werden, alle Familienmitglieder – inklusive Kindern im Teenager-Alter – waren instruiert. Wenn Freunde von Kris zu Besuch kamen, verzog sich Erik in ein anderes Zimmer. Ziemlich kurios, aber machbar.
Auf Nachfragen des Journalisten hin verrät Erik, dass es schon Informationsboote gebe, die die Blockade passieren dürfen. So lese er regelmässig die Kunstrezensionen im «New Yorker». Und er schaue sich die Basketball-Spiele der Cleveland Cavaliers im Fernsehen an. Aber ohne Ton.
«New York Times»: The Man Who Knew Too Little (2018)
Bleibt anzumerken, dass auch Erik während Jahrzehnten im Corporate America tätig war. Er arbeitete für Walmart, Disney und den Sportartikelkonzern Nike. Sein beeindruckender Berufstitel: Senior Director of Global Digital Commerce. Als er genügend Geld auf der hohen Kante hatte, stieg er aus.
Hagerman sei privilegiert, ein solches Leben zu führen, hielt seine Schwester gegenüber dem Journalisten fest. Er könne sich eine Welt konstruieren, in der nur sehr wenig von dem, womit er nicht zu tun habe, überhaupt zu ihm durchkomme.