Es hätte alles so einfach sein können: Ursprünglich wollte die konservative Premierministerin Theresa May den Austritt Grossbritanniens aus der EU im Alleingang durchziehen, einzig unter Berufung auf den Volksentscheid vom Juni 2016. Die Fondsmanagerin und Brexit-Gegnerin Gina Miller kam ihr in die Quere. Mit einer Klage erzwang sie die Mitsprache des Parlaments.
Nach zweieinhalb quälenden Jahren, die das britische Volk noch tiefer gespalten haben als zuvor, fand am Dienstagabend die Abstimmung über den mit der EU ausgehandelten Austrittsplan statt. Obwohl May wie eine Löwin für ihren Deal gekämpft hatte, fiel er im Unterhaus wie erwartet durch. Wie soll es nun weitergehen? Sieben Szenarien stehen zur Debatte.
Der einfachste Weg wäre, den EU-Austritt zu stoppen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Weg im Dezember freigemacht. Er urteilte, dass die Briten das Austrittsgesuch nach Artikel 50 der EU-Verträge einseitig zurückziehen können, ohne Zustimmung der übrigen 27 Mitgliedsstaaten. Das Königreich wäre weiterhin Teil der Europäischen Union.
Theresa May allerdings hat stets betont, dass der Volksentscheid sakrosankt sei («Brexit means Brexit»). Das mehrheitlich EU-freundliche Unterhaus könnte die Initiative ergreifen und für einen Rückzug votieren. Doch dieses Szenario wäre wegen der Abstimmung von 2016 eine riskante und fragwürdige Übung.
Prognose: Sehr unwahrscheinlich
May könnte nach ihrer Niederlage die Hände in den Schoss legen und auf einen ungeregelten Austritt am 29. März zusteuern, trotz der potenziellen Kollateralschäden. Es ist die liebste Variante der Brexiteers, der Austritts-Hardliner in der konservativen Partei. Eine Zustimmung des Parlaments wäre laut britischen Medien wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig. Es ist jedoch kaum denkbar, dass das Unterhaus ein solches «Crash»-Szenario hinnehmen würde.
Prognose: Wenig wahrscheinlich
Theresa May muss dem Parlament nach dem Nein zu ihrem Brexit-Deal innerhalb von drei Sitzungstagen einen «Plan B» vorlegen. Die Abstimmung darüber ist nach aktuellem Stand für den 31. Januar vorgesehen. Vermutlich wird die Regierungschefin versuchen, bei der EU weitere Zugeständnisse herauszuholen. Die Bereitschaft dürfte beim heutigen Stand gering sein.
Wahrscheinlicher ist, dass May das Austrittsdatum in Absprache mit Brüssel hinausschiebt, vorerst bis Juli, vielleicht auch länger. Der Zeitgewinn soll dabei helfen, doch noch eine mehrheitsfähige Lösung zu finden. Die Briten müssten in diesem Fall wohl an der Europawahl im Mai teilnehmen.
Prognose: Die realistischste Option
A referendum, two prime ministers, a US president, buses, speedboats and that ubiquitous pint.
— Victoria Derbyshire (@VictoriaLIVE) 15. Januar 2019
It’s #BrexitVote – a massive day for UK politics - but how did we find ourselves here?
Watch @RobertCoxwell tell the #Brexit story. pic.twitter.com/r4vIiEEmBS
In der britischen Politik kursieren verschiedene Szenarien für einen Austritt mit möglichst wenig Nebenwirkungen. Dazu gehört das Modell «Norwegen plus», eine Mitgliedschaft im EWR bei gleichzeitigem Verbleib in der Zollunion, um die irische Grenze offenzuhalten. Dafür wären aufwändige Verhandlungen notwendig und damit eine Verschiebung des Austrittsdatums.
Dieses Szenario wird nicht nur von der Regierung abgelehnt. Es wäre die dümmste Lösung. Grossbritannien wäre damit eine Art EU-Mitglied ohne Stimmrecht, mit automatischer Übernahme von EU-Recht und Personenfreizügigkeit und ohne eigene Handelsverträge. Dass trotzdem darüber debattiert wird, zeigt, wie verfahren die Lage im Königreich ist.
Prognose: Unwahrscheinlich
Die Premierministerin könnte die Flucht nach vorne ergreifen und Neuwahlen ansetzen. Einen Sieg könnte sie als Mandat für ihren Brexit-Deal interpretieren und so das Parlament unter Druck setzen. Sie braucht dazu eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus. Die Wahlen würden frühestens 25 Tage danach stattfinden. Eine Verschiebung des EU-Austritts wäre auch in diesem Fall zwingend.
May könnte die Wahlen tatsächlich gewinnen, sofern sie noch einmal als Tory-Vorsitzende antritt. Ob dies die Blockade in Westminster auflöst, scheint zweifelhaft. Bereits die Neuwahlen vom Juni 2017 änderten nichts an der Tatsache, dass eine Mehrheit der Abgeordneten den Austritt aus der EU ablehnt. Sie scheinen zunehmend gewillt, der Regierung die Stirn zu bieten.
Prognose: Möglich
Labour-Chef Jeremy Corbyn will die Regierung durch ein Misstrauensvotum stürzen und Neuwahlen provozieren. Die Abstimmung darüber soll bereits am Mittwoch stattfinden. Beobachter halten seine Erfolgschancen für gering. Der ewige EU-Gegner Corbyn steht in der eigenen Partei zunehmend unter Druck, denn die Labour-Basis ist mehrheitlich pro-europäisch.
Falls der Antrag durchkommt, hätte die Regierung 14 Tage Zeit, um eine neue Mehrheit zu bilden, allenfalls mit einem neuen Premierminister. Im Erfolgsfall kann sie weitermachen und den Brexit vorantreiben. Andernfalls wird ein neues Unterhaus gewählt. Ob Labour mit Jeremy Corbyn als Spitzernkandidat gewinnen kann, scheint zumindest fraglich.
Prognose: Der Antrag wird scheitern
Das wäre der wohl eleganteste Ausweg. Allerdings lehnen sowohl Theresa May wie Jeremy Corbyn ein zweites Referendum zumindest bislang ab. Und gemäss den heutigen Regeln müsste die Regierung eine solche Volksabstimmung beantragen. Deshalb kursieren Szenarien, wonach EU-freundliche Abgeordnete von Tories und Labour sie per Antrag durchsetzen könnten.
Bei einem erneuten Ja zum Brexit müsste das Parlament wohl klein beigeben. Laut aktuellen Umfragen würden die EU-Befürworter gewinnen. Die Mehrheitsverhältnisse sind jedoch knapp, und ein solcher Ausgang könnte die Stimmung weiter vergiften. Viele EU-Gegner würden sich betrogen fühlen. Wohin das führen kann, zeigt die Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox durch einen Rechtsradikalen kurz vor der Abstimmung 2016.
Prognose: Möglich, aber riskant