Nebel
DE | FR
International
Sport

Basketball Schweiz: Donald Trump hat die Karriere von Joel Wright gestohlen

Bild

Trump stahl diesem Basketballer die Karriere – in der Schweiz will er sie sich zurückholen

Basketballprofi Joel Wright startete gerade so richtig durch. Dann machte ihm Donald Trump einen Strich durch die Rechnung. In der Schweiz sucht er den Neuanfang – und setzt seine gesamte Zukunft auf eine Karte.
15.10.2018, 16:0820.12.2018, 15:44
Corsin Manser
Folge mir
Nico Franzoni
Folge mir
Mehr «International»

Gleich fünf Mal hintereinander versenkt Joel Wright den Basketball von der Dreipunktelinie. Hier steht ein Ausnahmekönner, das wird in diesem Training schnell klar. Das Werfen ist aber eigentlich gar nicht das, was Wright am liebsten tut. Am meisten fasziniert ihn das Fliegen, das Dunken. Den Ball mit einem satten Sprung in den Korb zu donnern. «Ich liebe dieses Geräusch, ich liebe dieses Gefühl», schwärmt er. Er, der wegen seiner Sprungkraft «Air Jamaica» genannt wird.

Wer lieber Video schaut als liest:

Mehr 2018? Hier entlang:

Das Beste 2018
AbonnierenAbonnieren

Seine Flugfähigkeiten haben Wright weit gebracht. Es ist gerade mal zwei Jahre her, da strömten 30'000 Fans ins Stadion, um ihn fliegen zu sehen. Wright war so populär, dass er Bodyguards brauchte und in seine Hotelsuite bestellen konnte, was er wollte. Essen, Massagen, Frauen. Doch das war damals in Manila, als Wright 26 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn war.

Heute ist die Realität eine andere. Den Basketballcourt teilt er sich mit Mittelschülern, die Wohnung mit zwei Teamkollegen. An die Heimspiele kommen keine 1000 Zuschauer, der Lohn ist siebenmal tiefer. Sein Zuhause ist keine vibrierende Metropole auf den Philippinen mehr, sondern eine graue Provinzstadt im Unterwallis. «Air Jamaica» ist in Monthey gelandet. 

Wie kam es zu diesem Karriere-Sinkflug? Hatte Wright die Koordinaten falsch eingestellt und sich im Hoch die Flügel verbrannt? Ist er den Verlockungen des grossen Geldes erlegen? Die Antwort ist eine andere. Sie hat mit seiner Herkunft, mit einer illegalen Einreise – und vor allem mit Donald Trump zu tun.

Joel Wright ist einer von 800'000 jungen Menschen, die einen Grossteil ihres Lebens in den USA verbrachten und deren Träume sich quasi über Nacht in Luft auflösten. Joel Wright ist ein «Dreamer» – und das ist seine Geschichte: 

Der Start

Wright ist neun Jahre alt, als er erstmals US-Boden betritt. Seine Mutter ist schon vor ihm nach New York ausgewandert. Geflüchtet vor der Armut und der Gewalt in Jamaikas Hauptstadt Kingston.

Wright als Baby in Kingston, Jamaika.
Wright als Baby in Kingston, Jamaika.bild: Zvg

«Ich habe zwar nur neun Jahre in Kingston gelebt», erzählt Wright, «aber ich habe so viele schlimme Sachen gesehen.» Eines Morgens sei er am Fussballspielen gewesen, als ein Auto vorbeifuhr und jemand aus dem offenen Fenster seinen Cousin erschoss. «Vor meinen Augen haben die den einfach umgelegt.»

Abseits der grossen Touristenressorts ist Jamaika auch heute noch eines der unsichersten Länder der Welt. Im Jahr 2016 hatten nur Honduras, El Salvador und Venezuela eine höhere Mordrate.

Der Schein trügt: Jamaika ist auch heute noch eines der unsichersten Länder der Welt.shutterstock

Als die Situation immer prekärer wird, verlässt auch Wright das Land. Er fliegt von Kingston nach New York. Organisiert hat die Reise seine Mutter. «Sie sagt mir bis heute, dass ich mit einem falschen Pass eingereist bin», erzählt er. Ob das stimmt, wisse er allerdings auch nicht. Jedenfalls sei es vor 9/11 deutlich einfacher gewesen, in die Staaten einzureisen, als heute.

Doch das ist dem Neunjährigen zu diesem Zeitpunkt sowieso alles ziemlich egal. Er ist erst einmal einfach froh, seine Mutter wiederzusehen. Wright geht in Brooklyn in die Schule, lebt sich ein, wird zum Teenager.

Im Alter von 13, 14 Jahren merkt er, dass er ein durchaus talentierter Basketballspieler ist. «Ich wurde verdammt gross auf einmal. Ursprünglich habe ich ja eigentlich mehr Fussball gespielt.»

Das Basketballfieber packt den jungen Mann. Stundenlang übt und spielt er in einem Park in Brooklyn. «Ich lernte, wie man dunkt und probierte neue Moves.» Schnell wird er zum Gesprächsthema im Quartier. «Die liebten meine Energie, ich sprang jeweils fast aus dem Park», scherzt er. «Das war auch die Zeit, als sie mir den Namen ‹Air Jamaica› gaben.»

Wright im Dean-Street Park in Brooklyn, NYC.
Wright im Dean-Street Park in Brooklyn, NYC.bild: zvg

Ein Agent wird auf Wright aufmerksam, fördert ihn. «Ich konnte auf einmal in der Halle trainieren, stand eigentlich jeden Tag auf dem Court und machte erstmals Krafttraining.» In der High School folgen die ersten Angebote. «Plötzlich riefen Coaches von anderen Schulen an, die mich holen wollten.»

Danach geht es stetig aufwärts. Wright geht an ein College in Texas, fällt auch dort durch gute Leistungen auf und schafft den Sprung in die NBA D-League. Die D-League, welche heute wegen des Sponsors Gatorade G-League genannt wird, hat das Ziel, Nachwuchsspieler zu fördern, die eines Tages den Sprung in die beste Liga der Welt schaffen könnten. Die NBA. 

Davon träumt auch Wright. Er gibt Vollgas, trainiert hart und spielt gut: «Das war nichts als Blut, Schweiss und Tränen.» In dieser Zeit geschieht es auch, dass Barack Obama das Daca-Dekret erlässt. Dieses erlaubt bestimmten illegalen Einwanderern, die bereits als Kind in die USA gekommen sind, Arbeit zu finden und schützt sie gleichzeitig vor einer Abschiebung. Die betroffenen Personen müssen Daca selber beantragen und dieses alle zwei Jahre erneuern, um den Schutzstatus nicht zu verlieren.

«Ohne das Daca-Programm  hätte ich gar nie bei einem D-League-Club arbeiten können.»

Für Wright verändert sich vieles zum Positiven. Er erhält eine Sozialversicherungsnummer, kann offiziell arbeiten und macht einen Fahrausweis. «Dieses Gefühl, dass ich akzeptiert werde, gab mir nochmals einen gewaltigen Schub. Mal ganz abgesehen davon, dass ich ohne das Daca-Programm gar nie bei einem D-League-Club hätte arbeiten können.»

Wright bei Texas State.printscreen: youtube

Der Sprung in die NBA will vorerst nicht klappen. Doch im Sommer 2016 tut sich eine andere Möglichkeit auf. In der von der NBA organisierten «Summer League» spielt Wright für ein Team mit den besten Jungs der D-League. «Ich hatte einen guten Lauf, spielte gegen NBA-Teams wie die Houston Rockets oder die Memphis Grizzlies.»  

Und da sei plötzlich diese Frau dagewesen. Ein Scout aus den Philippinen, die die Summer League beobachtet habe. «Sie wollte mich unbedingt haben und kontaktierte meinen Agenten.» 

Philadelphia 76ers' Maodo Lo drives around D-League Select's Joel Wright during the second half of an NBA summer league basketball game, Wednesday, July 13, 2016, in Las Vegas. (AP Photo/Joh ...
Summer-League-Spiel in Las Vegas. Zweikampf gegen Maodo Lo von den Philadelphia 76ers.Bild: AP/AP

Wright ist sofort Feuer und Flamme für die Idee. Die «Star Hotshots» aus Manila machen ihm ein ausgezeichnetes Angebot. «Als ich das erste Mal hörte, was sie mir zahlen wollen, drehte ich völlig durch.» Zusammen mit seinem Agenten organisiert er im Rahmen des Daca-Programms eine Ausreiseerlaubnis, die ihm ermöglicht, innerhalb von 30 Tagen wieder in die USA einzureisen. Viel zu kurz, wie sich bald herausstellen sollte. Doch das ist Wright zu diesem Zeitpunkt egal. «Alles kam zusammen, meine Träume schienen mit einem Mal Realität zu werden.»

Der Höhenflug

Im Alter von 26 Jahren reist Wright zum ersten Mal aus den USA aus. 9 Jahre hat er in Jamaika gelebt, deren 17 in den Staaten. Bis er wieder zurückkehrt, wird es mehrere Monate dauern. Aus dem geplanten Kurztrip wird eine Odyssee, die ihn via Malaysia und Israel bis nach Saudi-Arabien führt.

Der Auftakt in sein Auslandabenteuer könnte besser nicht sein. In Manila erwartet man den Gast aus den Staaten bereits sehnlichst. «Die waren alle da, um mich am Flughafen abzuholen. Wärmer kannst du nicht empfangen werden.» 

Wright wird behandelt wie ein König. «Basketball ist der populärste Sport in den Philippinen, die gaben mir sogar Bodyguards.» Die Trainingsanlagen, die Organisation, die Coaches: Alles ist hochprofessionell. 

Wright wird in Manila als Held empfangen. Die Kinder tragen Wright-Shirts.bild: Zvg

Der Club stellt Wright einen persönlichen Fahrer und eine Suite in einem Luxushotel zur Verfügung. «Das war schon krass, ich hatte von dem Zimmer eine geniale Aussicht über die Stadt. Wenn ich Hunger hatte, konnte ich einfach die Rezeption anrufen, die haben mir dann das Essen hochgebracht. Natürlich alles auf Kosten des Clubs.» 

Wright ist kein Kind von Traurigkeit. Daraus macht er kein Geheimnis. Er kostet das Leben in den Tropen in all seinen Annehmlichkeiten aus. Auch an weiblicher Begleitung fehlt es ihm nicht. «Ich spürte so viel Liebe da», lacht er. Hinzu kommt: Ein fürstliches Salär von 25'000 US-Dollar pro Monat. «Air Jamaica» im Höhenflug.

Doch trotz all der Verlockungen, die so ein Leben als Überflieger mit sich bringen, verliert Wright den Fokus aufs Wesentliche nicht. Er erobert die Herzen auch auf dem Basketballcourt. Vor teilweise über 30'000 Zuschauern bringt er Topleistungen. Im Shirt der «Star Hotshots» erzielt er pro Spiel im Schnitt 28,6 Punkte. Ein herausragender Wert. «Mann, das hat wirklich Spass gemacht», schwärmt der 1.95-Meter-Mann.

«Air Jamaica» in seinem Element beim Manila Clasico.
«Air Jamaica» in seinem Element beim Manila Clasico.youtube

Wrights Vertrag läuft nur gerade drei Monate, dann ist die Saison auf den Philippinen fertig. Doch bereits flattert das nächste Angebot herein. 

«Ein Team in Malaysia hat mir 7000 US-Dollar angeboten, nur um die Vor-Saison zu spielen, welche nur zwei Wochen dauert.»

Mit vielen guten Erinnerungen und mit dem Gefühl, eines Tages wieder hierhin zurückzukehren, verlässt Wright die Philippinen in Richtung Kuala Lumpur. Auch in Malaysia wird er wie ein Superstar behandelt. Und es kommt gar noch besser.

Cholet, ein Team aus der obersten französischen Liga, will Wright für eine Saison verpflichten. Das Salär: 120'000 US-Dollar pro Jahr. «Ich war so aufgeregt, alles lief wie am Schnürchen.»

Was er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt: Über ihm hat sich längst ein Unwetter zusammengebraut. 

Die Turbulenzen 

Wright packt also seine Sachen zusammen, fährt an den Flughafen in Kuala Lumpur. Das Flugticket nach Frankreich ist bereits gebucht, sein Agent hat das übernommen. Doch dieser hat geschlampt: Dem Team in Frankreich hat er erzählt, Wright sei ein US-Amerikaner mit jamaikanischen Wurzeln. 

Die Verantwortlichen in Cholet nehmen an, Wright besitze einen US-Pass. In diesem Fall könnte er ohne Visum einreisen, die Formalitäten und Arbeitserlaubnis vor Ort organisieren. Einem jamaikanischen Staatsbürger ist es indes nicht möglich, ohne Visum in Frankreich einzureisen.

Am Flughafen in Kuala Lumpur gerät «Air Jamaica» jäh ab der Fahrbahn. Weil er kein Visum hat, darf er die Maschine Richtung Europa nicht besteigen. «Stell dir vor, du stehst beim Check-In und auf einmal geht's nicht mehr weiter. Das hat mich fertig gemacht. Ich dachte, es sei alles organisiert.»

Joel Wright im Gespräch mit watson-Reporter Corsin Manser.
Joel Wright im Gespräch mit watson-Reporter Corsin Manser.bild: nico franzoni

Wright fährt zurück in die Stadt, bleibt dort mehrere Wochen. Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Zu langsam. Der Deal mit Cholet platzt. 

Was nun? Zurück in die USA? Nun, so einfach ist das mittlerweile nicht mehr. Denn Wright hat seine 30 Tage, die er im Rahmen des Daca-Programms hätte ausreisen dürfen, längst überschritten. «Ich hatte einfach zu viel Spass da draussen, ich lebte meinen Traum. Zudem wurde mir gesagt, dass die US-Behörden nicht so strikt seien, die würden mich wieder einreisen lassen, sobald sie meine Story hörten.»

Doch das Problem ist zunächst die Ausreise. Wright kann ohne Visum gar keinen Flieger in die USA besteigen. Also kommt sein Agent auf eine Idee. Da dieser Israeli ist, will er den Basketballer zu sich nach Tel Aviv holen. Auf der US-Botschaft in Israel soll dann das Visum für die Heimreise organisiert werden, so der Plan. 

Die Reise von Kuala Lumpur nach Tel Aviv ist wiederum kein Problem. Jamaikanische Staatsbürger können in Israel 90 Tage visumfrei einreisen. 

So findet sich Wright plötzlich am Mittelmeer wieder. Das Visum für die USA lässt sich aber auch in Israel nicht so schnell organisieren, also macht er erst mal ein bisschen Ferien, «just chilling». Doch noch einmal nimmt Wrights Reise eine unerwartete Wendung: «Willst du das Verrückteste wissen? Dann bekam ich ein Angebot aus Saudi-Arabien. Saudi-Arabien!» 

«Die offerierten mir 10'000 Dollar im Monat. Steuerfrei natürlich.»

Wright unterschreibt bei Al-Ahli, einem Verein aus der Stadt Dschiddah. Er tut dies nicht zuletzt, weil das Leben in Tel Aviv teuer ist und er keine Aussicht auf weitere Einkünfte hat.

«Air Jamaica» in der Garderobe bei Al-Ahli.
«Air Jamaica» in der Garderobe bei Al-Ahli.zvg

Die Zeit in Saudi-Arabien ist hart und setzt Wright zu. An den Gastgebern liegt das nicht. «Da waren alle so herzlich und gut zu mir.» Es ist die Furcht, vielleicht nie mehr wieder in die USA reisen zu können, die Wright innerlich zerfrisst.

«Mann, ich hatte so Angst. Ich habe nächtelang mit meinen Freunden in New York telefoniert. Ich bin ihnen so dankbar, dass sie mich in dieser Zeit unterstützt haben.» 

Auf dem Court läuft es Wright ausgezeichnet. Auch wenn im Wüstenstaat alles etwas anders ist als gewohnt. «Wenn offizielle Gebetszeit ist, wird die Partie unterbrochen und die Spieler beten», erzählt er und beginnt zu schmunzeln. «Irgendwann habe ich auch damit angefangen. Das eine Gebet konnte ich sogar auswendig aufsagen.» Er habe sich wirklich für die Menschen in Saudi-Arabien interessiert, die seien so «echt» gewesen, sagt Wright, der selber Christ ist und an Gott glaubt.

«Wenn offizielle Gebetszeit ist, wird die Partie unterbrochen und die Spieler beten»: Wright in Saudi-Arabien. 
«Wenn offizielle Gebetszeit ist, wird die Partie unterbrochen und die Spieler beten»: Wright in Saudi-Arabien. bild: zvg

Die Erlösung folgt nach drei Monaten. Nicht vom Himmel herab, sondern von der US-Botschaft. Nach monatelangem Hin und Her ist Wrights Visum für die USA eingetroffen. Die Saudis sind zwar derart begeistert vom Basketballer aus Übersee, dass sie ihm 30'000 US-Dollar pro Monat anbieten, damit er bleibt.

Doch ebenso gut hätten sie ihr Angebot irgendwo in den menschenleeren Dünen zwischen Medina und Dschiddah in den Wüstenwind schreien können. Wright hat dafür kein Gehör, hat sich längst entschieden. «Das Visum für die USA war nur noch elf Tage gültig. Ich wollte unbedingt nach Hause. Ich hatte Angst, dass ich meine Familie sonst vielleicht nie mehr sehen würde.»

Im März 2017 erhält «Air Jamaica» endlich Starterlaubnis für New York. Doch das Schlimmste steht erst noch bevor. Der Fluglotse hat gewechselt. Seit einigen Wochen sitzt Donald Trump in der Schaltzentrale.

Immer fokussiert: Joel Wright aka «Air Jamaica».nico franzoni

Der Crash

Die Einreise in die USA verläuft problemlos. «Nachdem ich denen meine Geschichte erklärt hatte, liessen die mich schnell rein», sagt Wright. Er ist überglücklich, seine Familie und Freunde wieder zu sehen. Er spürt endlich wieder Boden unter den Füssen.

Wright geniesst die Tage in New York. Er ist ständig unter Leuten und greift diesen finanziell auch schon mal unter die Arme. «Ich hatte das Privileg, viel Geld zu verdienen, nun wollte ich etwas zurückgeben. Ich hatte immer das Gefühl, es sei meine Aufgabe, anderen Leuten zu helfen.»

Wright zeigt sich überaus grosszügig, das Geld wird schnell knapper. Doch genau zum richtigen Zeitpunkt klopft bei Wright ein Team aus Belgien an und macht ein lukratives Angebot. Wright sagt zu, in einigen Wochen soll es losgehen. Er denkt sich, dass er im Rahmen des Daca-Programms eine einjährige Aus- und Einreiseerlaubnis organisieren kann.

Doch eines Abends sitzt Wright vor dem Fernseher und hört, wie Donald Trump ankündigt, das ganze Daca-Programm einzustampfen. Die Einwanderungspolitik ist dem US-Präsidenten zu lasch. Das Dekret von Obama sei sowieso illegal, behauptet er. Unterstützt wird er in dieser Argumentation von Attorney General Jeff Sessions.

FILE - In this Dec. 15, 2017, file photo, President Donald Trump sits with Attorney General Jeff Sessions during the FBI National Academy graduation ceremony in Quantico, Va. Trump’s White House couns ...
Donald Trump und Jeff Sessions: Gemeinsam kämpfen sie gegen das Daca-Programm.Bild: AP/AP

Wright wird nervös, ist verunsichert und ruft seinen Anwalt an. Dieser rät ihm, das Land nicht zu verlassen, es könnte schwierig werden, wieder zurückzukehren. Schweren Herzens beschliesst der Basketballer, trotz Vertrags nicht nach Belgien zu reisen. Seine Reputation in Europa ist damit im Eimer.

Der einstige Überflieger, dessen Energie sie überall immer so geliebt haben, fühlt sich mit einem Mal wie gelähmt. «Ich hatte keine Kontrolle mehr über mein Leben, meine Karriere.»

Nie habe er ein Verbrechen begangen, nie im Knast gesessen, habe immer versucht, das Richtige zu machen, sagt Wright. 

«Und nun kommt Trump und will mir erzählen, dass ich nicht mehr das machen darf, was ich liebe, nur um friedlich in mein Land zurückzukehren?»

Wright geht es immer schlechter, finanziell ist er komplett ausgeschossen. Er schläft bei Freunden auf der Couch, weiss nicht, woher die nächste Mahlzeit kommen soll. «Das war so beschämend», erinnert sich Wright. 

An einem Abend, als sich die Ohnmacht besonders gross anfühlt, schreibt Wright auf Facebook über seine Situation als Dreamer. Es ist knapp eine Woche vergangen, seit Trump das Daca-Programm offiziell für beendet erklärt hat.

«Ich habe zahlreiche Reaktionen auf diesen Post erhalten, auch Dreamer haben sich gemeldet, die in einer ähnlichen Situation waren», erzählt Wright. «Leute, die nicht mehr das tun können, was sie lieben.» Das Feedback und die guten Wünsche lösen etwas aus in ihm. Er schaltet wieder in den Kampfmodus. «Ich trainierte jeden Tag, ich wollte den Dreamern zeigen, dass sie niemals aufgeben sollten.»

Wright will zurück in die D-League. Schreibt die Clubs an, telefoniert mit den Agenten. Doch auch hier macht ihm die Politik des Weissen Hauses einen Strich durch die Rechnung. Weil niemand weiss, ob Wright demnächst abgeschoben wird, will kein Team ihn mehr aufnehmen. 

So geht das fast ein Jahr lang. Absage um Absage. Das Daca-Programm ist trotz Trumps Ansage noch in Kraft, da sich diverse Bundesstaaten gegen die Abschaffung gewehrt haben. Doch dieser Zustand ist nur vorübergehend, jederzeit könnte der Justizstreit zu Ungunsten der Dreamers ausfallen. Und dann wären die 800'000 Menschen auf einen Schlag nicht mehr vor einer Ausschaffung geschützt. Für die jungen Arbeitskräfte ist die Jobsuche dadurch um ein Vielfaches schwieriger geworden, da viele Arbeitgeber nicht mehr langfristig mit ihnen planen können.

Joel Wright spielte über ein Jahr kein Profi-Basketball mehr.  nico franzoni

Irgendwann im Sommer 2018 erreicht Wright ein Telefon. Ein Agent aus Genf kontaktiert ihn. Ein Club aus der obersten Liga der Schweiz habe Interesse an ihm bekundet. Und so hört Wright zum ersten Mal im Leben von BBC Monthey, einem monatlichen Lohn von 3500 US-Dollar und der Möglichkeit, seine Reputation in Europa wieder aufzubügeln. 

Der Agent hat auch den neuen Coach von Monthey vermittelt, weiss genau, was «Air Jamaica» braucht, um wieder abzuheben. Sicher kein schlechtes Angebot.

Aber für Wright steht alles auf dem Spiel. Wenn er die USA jetzt verlässt, gibt es kein Zurück mehr. Die Trump-Regierung erlässt für Dreamers keine Aus- und Einreiseerlaubnisse mehr. Der 28-Jährige müsste unter seinem jamaikanischen Pass reisen. Er müsste sich für unbestimmt oder für immer von seiner Familie in Brooklyn verabschieden. 

Das alles für eine einjährige Arbeitsbewilligung in der Schweiz, einem ihm total unbekannten Ort und einem Salär, das gerade so knapp zum Überleben reicht. Was ist, wenn er sich verletzt? Was, wenn er keinen neuen Vertrag erhält? 

Fragen, die sich Wright jetzt alle nicht stellen will. Er hat genug. Genug davon, seinen besten Freunden auf der Tasche zu liegen. Genug davon, zusehen zu müssen, wie die besten Jahre seines Sportlerlebens verstreichen. Er will seine Karriere zurück. Jenes Leben zurück, das ihm Donald Trump gestohlen hat. «Ich tat, was ich tun musste. Ich wollte wieder meinen Träumen nachjagen.»

Und so hebt «Air Jamaica» Ende August 2018 nach eineinhalb Jahren am Boden wieder ab. Ab ins Unbekannte. Zu dem Zeitpunkt, als Wright das Flugzeug besteigt, weiss er nicht einmal, dass Schweden und die Schweiz zwei verschiedene Länder sind.

Der Neustart

«Als ich den Flieger betrat, war ich zunächst einfach nur erleichtert, die USA verlassen zu dürfen», erzählt Wright. Einmal in Genf angekommen, wird Wright von seinem Agenten und einem Vertreter von BBC Monthey abgeholt. Es ist auch der Moment, als er realisiert, dass er hier nicht in Schweden gelandet ist. «Haha, darüber mussten wir lachen. Sowieso war die Stimmung bei der Ankunft sehr herzlich. Ich fühlte mich sofort willkommen. Überall waren die Leute so lieb zu mir.»

Auch mit den Teamkollegen kommt Wright gut aus, zwei Spieler sind US-Amerikaner. Mit ihnen teilt er sich eine Wohnung, welche der Verein zur Verfügung stellt. Die ersten Stunden in der Schweiz geben Wright Mut. Geben Wright Bestätigung, den richtigen Entscheid getroffen zu haben.

Bald macht die Erleichterung jedoch einem anderen Gefühl Platz. In den ersten zwei Tagen in der neuen Wohnung beginnt der 28-Jährige erst so richtig zu realisieren, was er gerade gemacht hat. Es sei wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, beschreibt er seine Emotionen. 

«Ich kann jetzt nicht mehr nach Hause. Ich habe mich selber ausgeschafft. Jedoch nicht zurück nach Jamaika, sondern in die Schweiz, um Basketball zu spielen.»

Sollte sich Wright jemals als US-Amerikaner gefühlt haben, spätestens jetzt tut er es nicht mehr. «Ich fühle mich weder als Amerikaner noch als Jamaikaner, ich fühle mich als Immigrant.»

Es gibt Stunden, da hält er seine Situation kaum aus. Immer wieder bricht er zusammen. «Es tut weh, meine Mutter in New York anzurufen, ohne zu wissen, ob und wann ich sie wieder sehen kann. Es fühlt sich an, als würde ich auf Eis laufen.» 

Der Sport und die Mannschaft helfen ihm in diesen Momenten der Trauer und der Unsicherheit wieder auf die Beine. Er versucht, sich voll aufs Basketball zu konzentrieren, alles andere so gut wie möglich auszublenden. «Wenn immer es geht, will ich gar nicht zu weit vorausdenken. Sondern alles Schritt für Schritt nehmen. Training für Training. Spiel für Spiel.»

Gruppenfoto mit Teamkollegen in Monthey.bild: facebook/monthey --- Charles Niklaus

Bei anderen Profisportlern mögen solche Aussagen leere Floskeln sein, spricht Wright sie aus, bekommen sie Bedeutungsschwere. Wenn sein Augenmerk aus dem Basketball-Tunnel ausbricht, offenbart sich ihm eine Welt, die ihm keinerlei Sicherheiten gibt. 

Schafft er es nicht, sich durchzusetzen, sei es auch nur wegen einer Verletzung, steht er vor dem Nichts. In Jamaika kennt er niemanden, in die USA kann er nicht und Geld hat er auch keines auf der Seite. 

Über einen möglichen Misserfolg redet Wright nur, wenn man ihn darauf anspricht. Selber will er darüber nicht nachdenken. «Keinen Erfolg zu haben, ist für mich keine Option im Moment. Ich will hier keine negative Energie in die Luft setzen», sagt er.

Also sprechen wir über seine Träume und Wünsche. Spielen will Wright noch bis er 35, 36 Jahre alt ist. Das wären gute sieben Jahre. Dann will er sich irgendwo niederlassen und Familienvater werden. Im Moment ist er zwar noch Single, an weiblichen Fans mangelt es ihm aber auch im Unterwallis nicht, gibt er uns grinsend zu verstehen. 

Im Unterwallis bleiben will er indes nicht, Monthey soll als Sprungbrett dienen. «Ich hoffe, die in Frankreich oder Belgien sehen, dass ich den Schritt hierhin tatsächlich gewagt habe. Ich will meinen Ruf wiederherstellen.» Mit guten Leistungen versucht er, sich nun in den Fokus dieser Ligen zu spielen und so zu einem Engagement zu kommen. Und wenn nochmals ein Angebot aus den Philippinen reinflattern sollte? «Das wäre natürlich das Grösste.» 

Auch in Monthey am fliegen:

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Preseason action! 😤

Ein Beitrag geteilt von Joel Wright (@jflight6) am

Vorerst heisst die Realität aber Monthey. Die Mannschaft trainiert zwei Mal täglich. Einmal über Mittag, einmal abends. Wright und seine Kollegen müssen sich nach den Sportstunden der Mittelschüler richten. Die Turnhalle gehört zum Schulhaus Le Reposieux. 

Diese verwandelt sich bei den Heimspielen von BBC Monthey jeweils zum Hexenkessel. Das sagen nicht wir, sondern Wright. Zwar passen nicht wie in Manila 30'000 Menschen in die Halle. Doch die 800 Personen, die bei seinem ersten Spiel anwesend waren, hinterliessen bei Wright einen bleibenden Eindruck. «Wir haben die besten Fans der Liga, die haben alles gegeben.»

Ganz los lässt es uns aber immer noch nicht, dass der junge Mann nun einfach komplett ohne Plan B dasteht. Wir fragen ihn, ob er nicht hoffe, dass der politische Wind in den USA irgendwann drehen werde und er eines Tages wieder nach New York zurückkehren könne.

«Nein, das denke ich nicht», antwortet Wright. Und vielleicht tut er gut daran, sich keine falschen Hoffnung zu machen. Denn die Aussichten für die 800'000 Dreamer haben sich in den vergangenen Tagen wohl nochmals verschlechtert. 

Weil die juristische Situation um das Daca-Programm zurzeit derart verstrickt ist, sieht es danach aus, als ob letzten Endes der Supreme Court einen Entscheid fällen müsste. War der oberste Gerichtshof entlang ideologischer Linien Ende Sommer noch mit 4 gegen 4 Stimmen gespalten, so kippte mit der Nomination Brett Kavanaughs die Mehrheit zu Gunsten der Konservativen.

Auch wenn Kavanaugh nicht unbedingt als Gegner des Daca-Programms bekannt ist, ist kaum anzunehmen, dass er Trump mit seiner Stimme um einen derart wichtigen Prestige-Sieg bringen würde. Wie es derzeit aussieht, dürfte das Daca-Programm unter der aktuellen Regierung über lang oder kurz kaum eine Chance haben, weiter zu existieren. 

Für Wright bedeutet das:

«Egal, ob in New York oder in der Schweiz, Sicherheiten für meinen Aufenthaltsstatus habe ich an beiden Orten nicht.»

Ihm ist es jedoch lieber, selber an seiner Zukunft zu arbeiten, als sein Schicksal in die Hände einiger weniger Politiker und Richter zu legen. Deshalb hat er den Weg in die Schweiz gewählt. Deshalb steht «Air Jamaica» an diesem Herbstmorgen auf einem Pausenplatz in Monthey und sagt: «Jetzt heisst es: alles oder nichts!»

Noch mehr «Air Jamaica»:

Die besten NBA-Punktesammler aller Zeiten

1 / 31
Die besten NBA-Punktesammler der Geschichte
Rang 29: Charles Barkley (Philadelphia 76ers, Phoenix Suns, Houston Rockets): 23'757 Punkte. Stand: 03.03.2024.
quelle: ap ny / david j. phillip
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
35 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sebultikon
15.10.2018 20:25registriert August 2018
Das ist halt der gute Mix aus suboptimalen Entscheidungen und unerwarteten Veränderungen. Aber ich denke man kann ihm nicht wirklich einen Vorwurf machen, Erfolg in jungen Jahren bringt dies halt mit sich. Umso schöner wie er sein Schicksal wieder in die eigenen Hände nimmt. Um es positiv zu sehen: Wer mal im Leben mal viel verloren hat und es schafft sich wieder aufzurichten geht gestärkt daraus hervor. Hoffe ihm gelingt nochmals der Durchbruch, solche Geschichten verdienen auch mal ein kitschiges happy end ;-).
989
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ehrenmann
15.10.2018 21:04registriert Januar 2018
Kann mir jemand sagen, ob etwas anders gelaufen wäre, wäre er nicht "dem schnellen Geld" nach Manilla gefolgt, sondern hätte es in der NBA versucht?
Hätte er dann nicht theoretisch eine Greencard mit Profivertrag bekommen, hätte Ihn jemand verpflichtet?
Es sah ja gut aus mit D League und den All Star Games
666
Melden
Zum Kommentar
avatar
Blackmilk
15.10.2018 17:14registriert September 2018
Ich zieh mir auf jeden Fall mal ein Spiel von im rein :D
4712
Melden
Zum Kommentar
35
SCB mit Spektakel-Wende zum Break in Zug – Davos ringt Lausanne nach Verlängerung nieder
Am zweiten Spieltag der ersten Runde im Playoff-Viertelfinal jubeln die Auswärtsteams. Der SC Bern in Zug und der HC Davos in Lausanne schaffen das Break.

Davos startet mit einem Break in die Playoff-Viertelfinals. Die Bündner gewinnen in Lausanne 3:2 in der zweiten Verlängerung.

Zur Story