Vor rund einem Jahr fuhr ich ein paar Wochen lang einen dieser Fullsize-Pickup-Trucks. In der Mietauto-Suchmaschine war mir ein Chevrolet Silverado zum Preis eines Ford Fiestas angeboten worden. Ich beschrieb das Erlebnis in folgendem Artikel:
Meine damals 11-jährige Tochter war begeistert. Und auch ich, der sich bisher wie die meisten Europäer herablassend über die Amis mit ihren doofen übergrossen Benzinschluckern mokierte, musste zähneknirschend feststellen: Mann, ist das ein angenehmes Fahrgefühl!
Ja, irgendwie begann ich die Amis mit ihrer Liebe zu Trucks ein wenig zu verstehen. Im Südwesten der USA, wo Platzprobleme kein Thema sind und die Distanzen riesig, ist das Fahrgefühl eines solchen Vehikels ungemein angenehm.
Fein. Nun aber das hier:
the hood of this Silverado is at the same level as the top of the Lexus GX's windshield 🥲 pic.twitter.com/X8716rpR19
— snow & sleet death (@heatxdeath) December 15, 2020
Fotos, welche die lächerliche Übergrösse dieser Maschinen im Vergleich zu normalen PKWs aufzeigen, gibt's viele. Auch während meiner Reise gab es den einen oder anderen Lacher beim Parkieren.
Newer trucks are huge fr pic.twitter.com/RObdVga7Fb
— Griff (@reallycooIguy) December 15, 2020
Fairerweise muss man sagen, dass der Mazda MX-5, der da neben dem Ford-Monstrum steht, ein doch eher kleines Sportwägeli ist ...
... Aber schauen wir doch nochmals das erstgezeigte Foto genauer an! Der weisse Truck ist ein 2020er Chevrolet Silverado HD ...
... und links daneben steht ... ein Lexus GX.
Ein SUV.
Nein, kein Kleinwagen, sondern ein im Gelände durchaus fähiger Offroader mit einem 4,6-Liter-V8-Motor, Platz für 7 Personen und ein Gewicht um die 2,3 Tonnen. Und mit seiner Gesamthöhe von 1 Meter 90 reicht er knapp bis zur Motorhaube des Silverado.
Und nichts, auch keine schöne Erinnerung an gemeinsame USA-Ferien mit der Tochter, kann mich vom Gedanken abhalten:
Hey, jetzt ist's aber langsam gut, oder, liebe Amis?
Längst stellen Trucks und SUVs in den USA den grössten Anteil aller Privatfahrzeuge dar. Da kann Ford noch so sehr mit seinem E-Mustang herumweibeln – richtig Geld gescheffelt wird mit den Verkäufen Abertausender F-150-Trucks. Weltweit hat sich in den letzten zehn Jahren der Besitz von SUVs verdoppelt (auch in der Schweiz sind sie ähnlich populär). Wenn die Zahlen dieser Fahrzeugklasse weiter so steigen, wird die gesamte Emissionsreduzierung durch Elektrofahrzeuge wieder aufgehoben.
Das weiss man seit geraumer Zeit. Aber: In den letzten zehn Jahren ist nicht nur der Anteil Trucks gestiegen, sie sind vor allem auch RIESIG geworden. Die Motorisierung wurde immer sparsamer, effizienter, emissionsärmer ... doch bei steigendem Gesamtgewicht gehen diese Fortschritte flöten. Die Wirtschaftswissenschaft nennt es das Jevons-Paradoxon: Technischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung eines Rohstoffes erlaubt, führt zu einer erhöhten Nutzung dieses Rohstoffes, anstatt sie zu senken.
Trucks have been getting bigger, more energy & space consuming, more polluting, and much deadlier to everyone around them, including kids. Not because most of us actually need bigger vehicles, but as ego boosts, status symbols & “indicators of male virility.” HT @PickledEntropy pic.twitter.com/vnE08Hxhgk
— Brent Toderian (@BrentToderian) December 13, 2020
Hier spricht der renommierte kanadische Städteplaner Brent Toderian. Trucks sind immer grösser geworden – und zwar nicht, weil die meisten von uns mehr Platz oder Zugkraft bräuchten, sondern ... naja, sprechen wir's doch aus: «als Ego-Booster, Statussymbole und ‹Indikatoren männlicher Potenz›».
Und ich denke, Toderian liegt mit seiner Meinung leider nicht ganz falsch. Sieben Tonnen – so viel beträgt die Anhängelast vom obigen Silverado 2500 HD. Das ist eine ganze Menge frisch gefällter Baumstämme. Aber die wenigsten Mega-Truck-Besitzer sind Holzfäller oder Grossrancher (analog benötigt kein Waffenbefürworter sein halbautomatisches Sturmgewehr wirklich für die Jagd oder für Selbstverteidigung).
An alle anderen: Chillet's mal, okay?
Rant fertig ... fast. Ich bin ja kein Freund von Verboten. An sich soll jeder das fahren, was ihm Freude bereitet, sofern es halbwegs sozialverträglich ist. Privatauto-Besitz ist nun mal von emotionalen Faktoren bestimmt. Letztlich fahren auch Tesla-Fahrer ihre Autos, weil sie sie geil finden. Wenn ein Vehikel den Fahrer sich gut fühlen lässt, dann haben die Autobauer ihre Arbeit gut gemacht. Ich kann mir bloss kaum ausmalen, wie schlecht es einem gehen muss, dass ein Silverado HD her muss, um dies wieder gut zu machen. Vielleicht brauchen Truck-Fahrer wieder mal eine warme Umarmung.