06.09.2020, 10:2409.09.2020, 16:27
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Ich musste staunen, als ich kürzlich eines Abends an dem hier vorbeispazierte:
Bild: obi/watson
An der Forchstrasse in Zürich stand da nonchalant ein mir völlig unbekanntes Auto parkiert. Vom Styling und von der Ausstattung her tippte ich auf späte Fünfzigerjahre bis Mitte Sechzigerjahre. Aufgrund der Heckmotor-Auslegung tippte ich zudem auf VW-Chassis und/oder Porsche-Technik. Okay. Doch die Marke?
Bild: obi/watson
Enzmann? Nie gehört. Ein paar Gehminuten und eine Wikipedia-Recherche später stellten sich einige meiner Vermutungen als richtig heraus: Von 1956 bis 1968 gebaut, Monoblock-Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff auf einem VW-Chassis verschraubt. Herkunftsland: Schweiz.
Doch, doch: Die Schweiz hatte – und hat – eine Automobilindustrie. Zumindest wenn wir mal eine sehr lose Definition von ‹Industrie› zulassen. Klar, etliche Schweizer Automarken bauten, ähnlich wie Enzmann, ihre Chassis und Motoren nicht selbst, sondern verbauten Bestehendes von grösseren Herstellern. Doch seit mehr als 120 Jahren entsteht hierzulande automobile Innovation.
120 Jahre. Oh ja. Denkt manch' einer beim Thema «Schweizer Automarken» vielleicht gerne an sowas hier ...
... (das ist ein Promofoto vom neuen EV-Superding Piëch Mark Zero), sieht die statistische Erfolgsrealität der Schweizer Autoindustrie eher so aus:
Denn in den Kinderjahren des Automobils Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte der Zwanzigerjahre gaben die Schweizer Hersteller so richtig Gas (öh ... obwohl der oben gezeigte Tribelhorn aus Feldbach ZH aus dem Jahr 1918 bereits ein Elektroauto war). Popp, Henriod, Excelsior, Pic-Pic – etliche Marken entstanden zwischen Genf und St.Gallen. Rennen wurden gefahren, Rekorde gebrochen, Taxiflotten beliefert. Lassen wir also 19 Schweizer Automarken, von 1896 bis heute, Revue passieren!
Dies ist eine willkürliche Auswahl mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Wikipedia etwa listet 71 ehemalige und bestehende Schweizer Automarken auf.
Ajax
- Zürich
- 1906-1910
- Hauptbetätigungsfeld waren Autos für die Zürcher Automobildroschken-Gesellschaft und ähnliche Taxiunternehmen in München und Wien.
Albar
- Buochs NW
- 1978-1993
- Hersteller von Beach Buggies auf Basis des VW Käfers – aber auch von Coupés und Sportwagen wie zum Beispiel dem hier gezeigten Albar Jet von 1978.
Belcar
- Wollerau SZ
- 1955-1957
- Eine in Lizenz hergestellte Brütsch Mopetta, ein Microcar aus Deutschland. Genau ein Fahrzeug ist bis heute erhalten geblieben.
Berna
- Bern, später Olten SO
- 1902-2003
- Autos wurden wirklich nur in den Anfangsjahren des Unternehmens hergestellt (im Bild ein Modell aus 1902), weshalb obige Jahreszahlen etwas irreführend sind. Als Lastwagen- und Bushersteller blieb der Name bis Ende des 20. Jahrhunderts im Schweizer Alltag präsent.
Diavolino
- Oberkulm AG
- 1984-1986
- Es ist genau das, wonach es aussieht: Ein Microcar mit Jeep-Optik.
Dufaux
- Genf
- 1904-1907
- Die Brüder Charles und Frédéric Dufaux begannen 1904 in Genf mit der Produktion von Automobilen. Der hier gezeigte Rennwagen hatte einen 12,7-Liter-Achtzylinder-Reihenmotor und stellte im Herbst 1904 mit 115 km/h einen Rekord über einen Kilometer mit fliegendem Start auf.
Egg & Egli
- Zürich
- 1896-1904
- Von der Geburt des Automobils an mit dabei! Nebst oben gezeigtem Dreirad konstruierte die Zürcher Manufaktur auch einige Exemplare eines vierrädrigen Automobils, deren Motor im Heck montiert war.
Enzmann
Bild: obi/watson
- Schüpfheim LU
- 1956-1986
- Vom Landarzt und Hobby-Konstrukteur Dr. Emil Enzmann entworfene Sportwagen auf Basis von VW-Chassis und -Motoren.
Felber
Bild: shutterstock
- Morges VD
- 1974-1991
- Anfänglich noch mit Eigenkonstruktionen beschäftigt, spezialisierte sich Willi Felber bald auf Luxus-Aufwertungen bestehender Automodelle – etwa obiger Felber Excellence, das ein Pontiac Firebird war, der technisch unverändert belassen wurde, aber eine neu gestylte Frontpartie bekam.
Martini
- Frauenfeld TG, später Saint-Blaise NE
- 1897–1934
- Historisch gesehen die wohl erfolgreichste Schweizer Automarke, die während den 37 Jahren ihres Bestehens ziemlich alles von schicken Limousinen über Rennautos bis hin zu Omnibussen für den ÖV herstellte.
MBM
- Binningen BL
- 1960-1966
- Von Peter Monteverdi geleitete Renn- und Sportwagenmanufaktur, aus dem später die Luxusauto-Marke Automobile Monteverdi entstand (siehe unten).
Minelli
- Pfäffikon ZH
- 1961-2001
- Nachbauten des klassischen MG TFs aus dem Jahr 1953 mit moderner Ford-Technik.
Monteverdi
- Binningen BL
- 1967-1984
- Einflussreiche Boutique-Manufaktur luxuriöser GT-Automobile mit Chrysler-V8-Motoren und italienischem Styling von Fissore. In den Siebzigerjahren hatte die Marke Erfolg mit Luxusversionen des SUVs International Scout, die als Sahara und Safari verkauft wurden. Auch stellte Monteverdi für Range Rover in Lizenz eine viertürige Version her – ein Design, das nachher vom britischen Hersteller übernommen wurde.
Orca
- Breitenbach SO
- 2005-2010
- Das Supercar-Geschäft ist hart. Der Orca C 113, der knapp 850 Kilo wog und dank Audi-Power auf 360km/h kam, war einen kurzen Moment lang «nachweislich das viertschnellste Auto der Welt» (Wikipedia). Sieben Fahrzeuge wurden hergestellt.
Piëch
- Zürich
- Gegründet 2017; Produktion geplant ab 2022
- Der 2019 vorgestellte Mark Zero Concept ist ein Grand-Tourer mit Jaguar-Retro-Optik, der dank modularer Bauweise nach Belieben mit EV-, Fuel-Cell-, Hybrid- oder gar Verbrennungsmotor-Antrieb gebaut werden kann und ebenfalls als GT, Viertürer oder SUV verfügbar ist. Sagen sie. Namensgeber ist Anton Piëch, Sohn des langjährigen VW-CEOs Ferdinand Piëch und damit Ur-Enkel von Ferdinand Porsche. Firmensitz ist in Zürich – noch ist wenig bekannt darüber, wo die Produktion zukünftig vonstatten gehen soll.
Ranger
- Biel
- 1967-1972
- Bereits 1935 wurde der GM-Ableger General Motors Suisse gegründet. Bis 1975 wurden in der Fertigungsstätte in Biel insgesamt 329'864 Fahrzeuge gefertigt, allesamt Modelle aus der GM-Markenpalette von Opel, Chevrolet und anderen. Dazu kam die Eigenmarke Ranger, die auf dem Opel Rekord C und D, später später auf dem Opel Commodore A beruhte.
Rinspeed
- Zumikon ZH
- 1979
- Visionärer Hersteller mitunter exzentrischer Prototypen wie dem hier gezeigten Unterwasser-Auto sQuba aus dem Jahr 2008, das auf dem Lotus Elise basiert.
Sbarro
- Grandson VD
- 1967-heute
- Vom italienischen Designer Franco Sbarro gegründetes Unternehmen mit Namen A.C.A. (Atelier d’Etude de constructions automobiles), das Fahrzeugentwürfe herstellt, von denen die meisten Einzelstücke bleiben. Nur wenige Studien wurden in Kleinserie produziert.
Turicum
- Uster ZH
- 1904-1914
- Die Automobilfabrik Turicum AG hatte zu seiner Blütezeit im Jahr 1913 etwa 140 Mitarbeiter. Die Fahrzeuge wurden weltweit exportiert, mit Lizenzproduktionen in Frankreich und Böhmen. Trotzdem war nach etwa 1000 gebauten Fahrzeugen im Jahr 1914 Schluss. Und heute warten wir nur darauf, bis jemand das Logo für Hipster-T-Shirts benutzt.
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