Gefühlt einmal im Monat macht dieses Bild die Runde auf Social Media:
Design is dead. pic.twitter.com/7gzQH7jkzq
— CarDealershipGuy (@GuyDealership) November 27, 2022
Okay, schauen wir uns das mal genauer an.
Zuallererst muss man konstatieren, dass das Bild veraltet ist. Es handelt sich um eine Illustration des Künstlers und Designers Adrian Hanft für einen Blog-Post ... aus dem Jahr 2015. Im Artikel geht Hanft nuanciert auf Themen wie Konsumgewohnheiten und Markenidentität ein – viel tiefgründiger als jeder Twitter-Repost von obiger Illustration. (Der Artikel ist ein Kapitel aus seinem Buch «The Art of the Living Dead», das ebenfalls 2015 herauskam.)
Zurück zu obiger Illustration, beziehungsweise zu ihrer Langlebigkeit auf Social Media: Die Aussage ist klar: Heute sehen alle Autos gleich aus. Früher gab's noch Vielfalt.
Wirklich, Jerry? Würde man ein entsprechendes Bild für eine spezifische Zeitspanne der Automobilgeschichte erstellen, käme man zu demselben Ergebnis. Bildet man Autos in identischem Grautönen ab und stellt sie nebeneinander, wird man mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede feststellen. Autohistoriker Jason Torchinsky hat die Probe aufs Exempel gemacht. Guckt:
Und hier ein paar Autos, die allesamt heute erhältlich sind, die angeblich aLLe gLeiCh aUsSeHeN:
Ergo: Das «Design is dead»-Meme ist
a) veraltet und
b) tendenziös und hält genauerer Untersuchung nicht stand.
Trotzdem findet es weiterhin Anklang.
Dafür gibt es einen eindeutigen Grund.
Der Grund, weshalb wir das Meme subjektiv als korrekt empfinden, liegt am beispiellosen Erfolg der SUV-Klasse. Und weshalb das so ist, geht auf Gesetze zurück, die zum Teil bis auf die Sechzigerjahre zurückgehen. Vorschriften überall auf der Welt – vor allem aber spezifisch die des historisch grössten Automarkts der Welt, der USA – ermutigen Autohersteller, SUVs zu bauen. Und die gesetzliche Definition eines SUVs diktiert seine Form.
In den 1960er Jahren begann man erstmals, etwa in den USA, Vorschriften zur Eindämmung von Fahrzeugemissionen zu erlassen. Ausgenommen davon waren aber sämtliche Vehikel, die für kommerzielle Zwecke gedacht waren, sogenannte «non-passenger vehicles», Nicht-PKWs. Der Grund: Die damalige Technik zur Emissionsreduktion führte dazu, dass die Motoren weniger Leistung erbrachten. Niemand wollte die Produktivität der Arbeiterschaft gefährden. Aufgrund dieser historischen Gesetze gilt bis heute ein Auto als Nicht-PKW, wenn es zum Beispiel «für den Transport von mehr als zehn Passagieren ausgelegt ist» (dann ist's nämlich ein Bus). Oder wenn es «eine offene Ladefläche» hat (das wäre ein Pickup-Truck). Oder – haha! – wenn es «capable of off-highway operation», ergo geländegängig ist.
Und «geländegängig» ist wie folgt definiert: Entweder Vierradantrieb oder ein Leergewicht von mehr als 2,7 Tonnen. Dann sind noch vorderer und hinterer Böschungswinkel (approach and departure angle), Rampenwinkel (breakover angle) sowie Bodenfreiheit vorgegeben.
Dies alles stellt für den Automobilhersteller Design-Einschränkungen dar, gewiss.
Dafür sind in diesem Segment sämtliche andere gesetzliche Vorgaben lockerer definiert: Anforderungen an den Kraftstoffverbrauch, Ausstoss, Unfallsicherheit und so weiter.
Wenn die Kategorisierung eines Fahrzeugs als «geländegängig» bedeutet, dass man nicht auf niedrigeren Kraftstoffverbrauch achten muss und auf teure Emissionskontrollen verzichten kann, dann werden Entwicklungskosten eingespart und die Autos werden profitabler.
Deshalb lieben Autokonzerne SUVs.
Und deshalb wurde der Verkauf von SUVs gefördert.
Und wenn jeder Autohersteller Fahrzeuge entwirft, die in die Kategorie passen, erhält man einen Haufen gleich aussehender Göppel.
Aber: Das dürfte sich nun ändern. Mit dem Wechsel zu Elektroautos werden die Karten wieder neu gemischt. Emissionsvorgaben fallen weg. Dafür werden andere Parameter wichtiger, wie etwa der CW-Wert, der sich immens auf die Reichweite auswirkt. Ob dies wiederum zu langweilig normiertem Autodesign führt, wird sich noch zeigen (und wäre das Thema eines anderen Artikels). Immerhin: Langweilig ist das Design des Hyundai Ioniq 5, etwa, nicht. Oder die des Honda E. Und, um auf den Anfang zurückzukommen, Design ist (noch) nicht tot.