«Am Anfang haben wir euch per Hand zerlegt, das Blut in Wannen aufgefangen, die Gliedmassen aus den Gelenken gelöst, mit grossem Kraftaufwand, die Metzgerinnen haben es uns beigebracht. Wir haben geschwitzt, gezerrt und gezogen, uns fehlte die Erfahrung, zu zögerlich waren wir auch. Und dazu all die Haare. Rund um Bauchnabel, in Nasenlöchern, an Arschbacken, drahtige, wuselige Haare. Die haben uns den Rest gegeben.»
So beginnt Mareike Fallwickls Kurzgeschichte «Tamina Blue». Eine rasende Kurzgeschichte, ein poetisches Manifest, das im Takt mörderischer Sägen die allerschönsten Wortfetzen ausspuckt. Ein herrlich blutiges Gedicht, das auf 20 kleinen Seiten des neuen Magazins DAS GRAMM erschienen ist.
Fallwickl schreibe immer ein bisschen zu laut, klagte ein Kritiker in der «Frankfurter Allgemeinen», die Bilder seien zu bunt, die Gefühle zu gross. Nun, für «Tamina Blue», für jene gnadenlose Geschlechterkampfschrift, kann es kaum theatralisch genug sein. Es bleibt einem gar nicht viel anderes übrig, als den Pathos jener furchtlosen Österreicherin zu feiern. Und ja, ihre Sägen sind wirklich laut. Sie kreischen.
«Sie kreischen, wir füttern. Mit Weichteilen füttern wir und mit Fingern, mit Bindegewebe, kleinen Knorpeln, dunkler Haut und heller Haut, daran kleben die Haare, so viele Haare.
Wir sind eine Entsorgungsmaschinerie. Wir stehen niemals still.»
Wer sich jetzt fragt, «Sapperlot, wen lässt denn die gute Mareike da bloss zerlegen?», dem sei gesagt: Du kannst «Tamina Blue» bei unserer Verlosung ganz am Ende des Artikels gewinnen.
Aber erstmal wollen wir mit der Verfasserin dieses rabiaten Textes selbst sprechen.
Frau Fallwickl, warum sollte man Ihre Kurzgeschichte «Tamina Blue» lesen?
Mareike Fallwickl: Weil sie scharf und völlig unsubtil auf die Missstände aufmerksam macht, denen Frauen ausgesetzt sind. Weil sie das «Was wäre wenn» zu Ende denkt und zeigt: So könnte es aussehen, wenn das Machtverhältnis kippt. Weil die Geschichte viele Leser:innen zum Nachdenken gebracht hat.
Warum sollte man überhaupt Literatur lesen?
Um zu lernen. Um den eigenen Horizont zu erweitern. Um sich zu bilden, andere Sichtweisen einzunehmen, sich fremden Kulturen zu nähern und über den Tellerrand zu schauen, um das Menschsein zu verstehen und kein intoleranter Saubeutel zu sein.
Welches ist Ihr bestimmendes Lebensgefühl?
Gelassenheit.
Ihr grösstes Versäumnis?
Es gibt keines. Ich habe nichts versäumt, denn es gab nie eine Liste an Dingen, die ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte erledigen müssen. Ich nehme alles, wie es kommt, und jeder Schritt – egal in welche Richtung – gehört zum Lebensweg.
Was mögen Sie an Ihrem Mann?
Er ist ein echter Partner auf Augenhöhe. Wir teilen uns die Betreuung unserer Kinder 50:50, damit sind wir die Einzigen im gesamten Freundes- und Bekanntenkreis. Er hält es aus, dass er manchmal schon um sieben Uhr morgens mit mir über ein feministisches Thema sprechen muss, und er hat den besten Humor der Welt.
Ihr Lieblingswort?
Ha! Wie hat Leonard Cohen so schön gesagt: «Ich verdiene mein Geld mit Worten, ich traue ihnen nicht.»
Beenden Sie den Satz: Österreich ist ...
... ein reiches Land und zu dumm, seine eigenen Privilegien zu erkennen.
Sie können sich ein neues Zeitalter wünschen. Wie heisst es und was bringt es mit sich?
Es heisst Matriarchat und bringt alles mit sich, was ich in «Tamina Blue» beschreibe.
Was ist von Buchpreisen zu halten?
Es fasziniert mich, dass Menschen Systeme erschaffen, in denen die einen sich über die anderen erhöhen und sie bewerten, beurteilen. In allen Bereichen tun sie das, in der Musik, in der Literatur, bei Körpern und jeder Art von kreativem Prozess. Dabei ist das Schöne an Körpern, dass sie individuell verschieden sind, und der kreative Prozess sollte Spass machen dürfen, frei sein von der Beeinflussung von aussen. Ich kann das deshalb nicht ernst nehmen.
Wenn Sie einen toten Menschen wieder zurück ins Leben holen könnten, wer wäre das?
Christine Nöstlinger, damit sie noch ein paar so grossartige Kinderbücher schreibt.
Worauf ist eher Verlass: Gene oder Erziehung?
Tatsächlich ist das die Frage, die mein erster Roman «Dunkelgrün fast schwarz» stellt. Wird ein Kind zum Arschlochkind durch die Erziehung der Eltern oder ist manchen eine gewisse Bösartigkeit angeboren? Darüber hab ich eine mehr als 400 Seiten lange, spannende Geschichte geschrieben.
Möchten Sie sich selbst noch eine Frage stellen, die Ihnen nie jemand stellt, die Sie aber gerne endlich mal beantwortet haben wollen?
Mareike, kannst du noch irgendwas anderes gut ausser lesen und schreiben? Ja, mit meinen Kindern mit Vollkaracho die Wasserrutsche runterfetzen.