Big Data ist eine tolle Sache. Dadurch lassen sich viele Abläufe des Alltags individualisieren. Ich muss mir weniger merken und werde effizienter. Doch: Seit ich mal ein Kinderbett gegoogelt habe, begegnen mir überall Artikel und Videos zu positiver Erziehung und wohlwollende Hinweise zur ganzheitlichen Kleinkindernährung.
Darin wird dir von lächelnden Frauen «bewiesen», wie einfach es doch ist, einen Superstar grosszuziehen. Und das ganz ohne Tränen, ohne Strafen, ohne sich zu nerven, ohne Zucker und ohne zerbrochenes Geschirr.
Also, im Grunde haben diese Frauen ja recht. Ihre Argumentation folgt gesundem Menschenverstand. Dass man ein Kind nicht anschreien sollte, um es dazu zu bringen, nicht mehr zu weinen ... da steckt ja durchaus eine Logik dahinter. Sie erklären dir die Funktionsweise heranreifender Gehirne. Auch hier: tatsächlich interessant.
Aber in keinem Moment wirst du darauf vorbereitet, dass du deine Spezies manchmal hassen wirst. Dass es manchmal hart wird. Dass du versagen wirst. Dass du immer wieder mal weinen wirst. Dass es Tage geben wird, an denen du nicht die Geduld in dir findest, mit unendlichem Wohlwollen, breitem Lächeln im Gesicht und auf Augenhöhe des Kindes kniend, sieben Mal zu wiederholen:
Des Weiteren unterschlagen die meisten dieser Blogs und Ratgeber anscheinend das wichtige Kapitel mit der Überschrift: «Was jetzt folgt, ist nicht einfach: Probier's einfach und gib dein Bestes.» Auch wird eine grosse Demographie schlicht nicht angesprochen: Familien mit mehr als einem Kind. Sie sind zwar für dich da, wenn es darum geht, den kleinen Karl-Heinz zu beruhigen, der grade einen kleinen Wutanfall schiebt vor seinem Tofu-Gericht ... aber du, du musst dich mit drei kleinen Dämonen rumschlagen. Gleichzeitig.
Einer schreit rum, weil er das Essen ekelhaft findet, der andere erleidet prustend einen Lachanfall, nachdem er sich den Mais in die Nase gesteckt hat und der Grosse spielt Schlagzeug mit dem Besteck ... dieser Lärm ... und dann die Müdigkeit der letzten sechs Jahre, plus deine persönlichen Sorgen: Die liegengebliebene und längst überfällige Büroarbeit, das Loch im Socken, der Partner, der sich mal wieder verspätet, die Waschmaschine, die schon wieder spinnt. Ja, man darf es ruhig zugeben, da wird man schon mal laut. Da sagt man den Monstern schon mal, dass sie lästig seien. Vielleicht schiebt man ja auch noch ein «verdammt» mit rein.
Und jetzt kommt ihr Stepford Wives, verurteilt diese echten Menschen, weil sie nicht «liebevoll» sind. Zeigt ihnen mit eurem gütigen Lächeln, was für schlechte Eltern sie sind. Spammt sie zu mit Facebook-Ads über liebevolle Erziehung und Bildern heulender Kinder, damit sie sich auch richtig schön mies und schuldig fühlen.
Aber ein hübsches Grau, in vielen verschiedenen Abstufungen. Mit Höhen und Tiefen. Die ganze vielköpfige Familie. Mit dem Humor der ganzen Truppe und ihren Charakteren. Ihren Geschichten. Da macht man, was man kann, mit dem, was man hat. Und manchmal ist das Wut. Und manchmal Müdigkeit. Aber auch Liebe. Und Worte. Worte wie: «Entschuldige» und «Ich bemühe mich», und «Ich beruhige mich gleich wieder».
Denn tatsächlich, so ist es. Hier, in unserer Welt, hier probiert man. Man scheitert mal und dann beginnt man von Neuem. Man zweifelt und gesteht die eigenen Fehler den Kindern. Man erklärt ihnen, dass manchmal auch die Erwachsenen nicht alles hinkriegen. Aber dass man dran arbeitet.
Und man sagt ihnen auch und besonders, dass man sie liebt. So wie sie sind ... in all ihren Grautönen.