Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative (SBI) will, dass die Schweizer Verfassungsbestimmungen gegenüber dem Völkerrecht Vorrang haben. Dieser Grundsatz wird bei einem Ja zur SBI in der Bundesverfassung (BV) verankert. Es dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangen werden, die der Bundesverfassung widersprechen. Besteht ein Konflikt zwischen einem bestehenden völkerrechtlichen Vertrag und der Verfassung, geht die BV in jedem Fall vor. Ausgenommen davon wären einzig die «zwingenden Bestimmungen» des Völkerrechts.
Steht ein völkerrechtlicher Vertrag im Widerspruch zur Verfassung, muss der Bundesrat ihn nachverhandeln, damit er den Vorgaben der BV entspricht. Scheitern diese Nachverhandlungen, muss der Vertrag gekündigt werden. Laut dem Initiativtext bleiben auch jene Abkommen, deren Genehmigung dem Referendum unterstand, für Gerichte und Behörden massgebend.
Dieser Passus steht jedoch im Widerspruch zur eigentlichen Stossrichtung der Initiative. So ist völlig unklar, ob etwa das Freizügigkeitsabkommen mit der EU nachverhandelt werden müsste. Die Initianten widersprechen sich in diesem Punkt teilweise selbst. Experten warnen deshalb vor Rechtsunsicherheit.
Eine abschliessende Definition gibt es nicht und auch die Bundesverfassung lässt die Frage offen. Nach Ansicht des Bundesrats gehören zu den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts insbesondere das Gewaltverbot, das Folter-, Völkermord und Sklaverei-Verbot und die Grundzüge des humanitären Völkerrechts. Diese verbieten Angriffe auf Leib und Leben, die Gefangennahme von Geiseln, die Beeinträchtigung der persönlichen Würde sowie Verurteilungen und Hinrichtungen ohne Urteil durch ein ordentliches Gericht.
Auch die «notstandsfesten Garantien» gemäss Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zählen für den Bundesrat dazu. Sie umfassen das Verbot von willkürlicher Tötung, Folter, Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit. Ausserdem halten sie den juristischen Grundsatz «nulla poena sine lege» fest, auf Deutsch «keine Strafe ohne Gesetz».
Hinter der Initiative steht als einzige grosse Partei die SVP. Sie wird unterstützt von der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS).
Die SVP kritisiert das Fehlen einer klaren Regelung bei Konflikten zwischen Verfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Initiative schaffe hier Klarheit und Rechtssicherheit. Die Schweiz verliere an Souveränität, weil internationale Gremien – Stichwort «fremde Richter» – den Geltungsbereich des Völkerrechts laufend ausweiteten. Als Reaktion darauf setzten Schweizer Politiker und Gerichte in letzter Zeit mit Verweis auf internationale Verträge Volksentscheide nicht mehr oder nur mangelhaft um.
Als Beispiel dient der SVP die 2010 angenommene Ausschaffungsinitiative. Bei der Umsetzung nahmen Bundesrat und Parlament Abstriche am Verfassungstext bewusst in Kauf. So wollten sie vermeiden, gegen nicht zwingendes Völkerrecht wie Teile der EMRK oder das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zu verstossen. Ein solcher Fall liesse sich mit der SBI verhindern: Sie sichere das Stimmrecht der Schweizer Bürger und schütze die direkte Demokratie. Die Menschenrechte seien durch die Initiative nicht tangiert. Sie seien bereits in der Bundesverfassung festgeschrieben und würden von Gesellschaft, Behörden, Gerichten und allen politischen Parteien respektiert und berücksichtigt.
SP, Grüne, GLP, BDP, CVP, EVP und FDP haben sich alle gegen die Initiative ausgesprochen. Auch die Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften lehnen sie ab, ebenso wie eine breite Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter auch die Operation Libero.
Die Selbstbestimmungsinitiative schaffe Verwirrung und führe zu Rechtsunsicherheit, sagen ihre Gegner. Die Initiative sei schwammig formuliert und liesse bezüglich der Umsetzung viele Fragen offen. Die Forderung der SBI, völkerrechtliche Verträge nachzuverhandeln sei illusorisch, insbesondere bei multilateralen Abkommen wie etwa der EMRK oder dem WTO-Vertrag. Der Kündigungsautomatismus bei gescheiterten Nachverhandlungen gefährde die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vertragspartnerin.
Die Initiative schütze die direkte Demokratie nicht, sondern gefährde sie: Die Behörden erhielten das Recht und den Spielraum, wichtige völkerrechtliche Verträge «nötigenfalls» zu kündigen – ohne die Stimmbevölkerung dazu zu fragen. Ausserdem sei die SBI ein Angriff auf die Menschenrechte. Ohne es offen zu sagen, wollten die Initianten die Kündigung der EMRK erreichen. Dabei schütze die EMRK als «Mindeststandard» die Menschenrechte und Grundrechte auch in der Schweiz. Die Möglichkeit, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als obersten Hüter der EMRK zu gelangen, biete Schutz vor staatlicher Willkür.