Abschleicher, Drückeberger, Schoggi-Job: Auch mehr als 20 Jahre nach der Einführung eines zivilen Ersatzdienstes anstelle der Wehrpflicht gelten Zivildienstleistende vielen Bürgerlichen als suspekt. Zwar wird der Zivildienst von den meisten nicht grundlegend infrage gestellt. Doch die steigenden Zahlen der Zulassungen zum Zivildienst wollen sie nicht kampflos hinnehmen.
Deshalb nahm der Nationalrat heute eine Motion seiner sicherheitspolitischen Kommission (SiK) mit 110 zu 66 Stimmen bei 6 Enthaltungen an. Wer nach Beginn der Rekrutenschule oder noch später in den Zivildienst wechselt, darf sich nach dem Willen des Nationalrats nur noch die Hälfte der bereits geleisteten Diensttage anrechnen lassen. Damit, so die Hoffnung, werde sich der Abfluss von Armeeangehörigen in Richtung Zivildienst verringern.
Zusätzlich beschloss der Nationalrat, dass Zivildienstleistende im Einsatz als solche erkennbar sein sollen. Bundesrat und Ratslinke gaben zu bedenken, dass die Einsatzbetriebe der Zivis – etwa Spitäler – spezielle Kleidervorschriften hätten, die sich nicht mit einer Kennzeichnungspflicht vereinbaren liessen. Die bürgerliche Mehrheit befand jedoch, der Zivildienst tue Gutes, also solle er auch erkennbar sein.
Der Ansturm auf den Zivildienst nahm 2009 Fahrt auf, als die obligatorische Gewissensprüfung abgeschafft wurde. Seither reicht für einen Übertritt der sogenannte Tatbeweis aus – die Bereitschaft, im Zivildienst 1,5 Mal mehr Diensttage zu absolvieren als im Militär. Danach stieg die Anzahl Zivildienstleistender stark an.
2011 gab der Bundesrat Gegensteuer, indem er per Verordnung eine Bedenkzeit von vier Wochen und eine Kürzung der Spesenentschädigungen verfügte sowie die Wahlfreiheit bei den Einsatzmöglichkeiten einschränkte. Doch nach einer kurzen Baisse stiegen die Zulassungen zum Zivildienst schnell wieder an, wie unsere Grafik zeigt.
Ob der Nationalrat mit der angestrebten Gesetzesänderung dieses Mal längerfristig Erfolg hat? Der St.Galler FDP-Nationalrat Walter Müller, Mitglied der SiK, ist davon überzeugt: «Unsere Motion hat bereits erreicht, dass das Verteidigungs- und das Volkswirtschaftsdepartement über Massnahmen diskutieren, um das Abschleichen in den Zivildienst zu erschweren.» Zusammen mit der angestrebten Reduktion bei den anrechenbaren Diensttagen werden diese Massnahmen greifen, glaubt er.
Für Müller ist der Handlungsbedarf unbestritten – er geht im laufenden Jahr von einem erneuten Anstieg der Zulassungen zum Zivildienst auf über 7000 aus. Durch den Übertritt verliere die Armee das Know-how von Leuten, in deren Ausbildung sie Zeit und Geld investiert habe: «Die zu einfache Ausweichmöglichkeit in den Zivildienst destabilisiert die Armee und gefährdet deren Einsatzbereitschaft in Krisenzeiten.»
Dieses Argument lässt die Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf nicht gelten. Die Abwanderung in den Zivildienst gefährde den Sollbestand der Armee nicht: «Das hat der Bundesrat bei jeder Gelegenheit so betont.» Auch eine Expertengruppe des Bundes sei zu diesem Schluss gekommen.
Vielmehr sei der bürgerlichen Mehrheit der Zivildienst grundsätzlich ein Dorn im Auge: «Das hat man auch bei der heutigen Debatte wieder gemerkt.» Mit der geplanten Änderung solle den Leuten der Zivildienst «madig gemacht werden».
Aber wie in der Vergangenheit würden die Massnahmen ihre beabsichtigte Wirkung auch dieses Mal verfehlen – und keine längerfristige Reduktion bei den Übertritten zum Zivildienst bringen, glaubt Seiler Graf. Denn das Problem sei nicht, dass der Zivildienst zu attraktiv sei: «Das Problem ist, dass die Armee zu unattraktiv ist».
Das hätten auch Bundesrat und Armee langsam gemerkt und versuchten, Abhilfe zu schaffen. Etwa dank verbesserter Vereinbarkeit von Militärdienst und Beruf oder durch die Möglichkeiten, sich Ausbildungskurse im Rahmen der Armee ans Studium anrechnen zu können.
FDP-Nationalrat Walter Müller widerspricht. Die Gründe für den Wechsel zum Zivildienst seien keinesfalls bei der Armee zu suchen: «Viele wechseln aus banalen Gründen, etwa weil sie nicht mehr länger das obligatorische Schiessen oder zum Zeitpunkt des nächsten WK in die Ferien wollen.»