Frau Sommaruga, wird das Elefantengehege im Zoo wirklich geschlossen, wenn das Stimmvolk das Geldspielgesetz am 10. Juni ablehnt?
Simonetta Sommaruga: Sicher nicht gleich am nächsten Tag. Aber Tatsache ist, dass ausländische Internet-Casinos ohne das neue Gesetz viel Geld aus der Schweiz abziehen, ohne sich an unsere Regeln zu halten. Sie müssen nichts machen, um suchtgefährdete Personen zu schützen. Und vor allem liefern sie keinen einzigen Rappen für die AHV und gemeinnützige Projekte wie beispielsweise etwa Tierparks ab.
Glaubt man den Plakaten der Befürworter, geht es bei einem Nein nicht nur den Elefanten an den Kragen. Konzerte sollen abgesagt werden und Spielplätze verlottern. Das ist doch pure Angstmacherei!
Der Bundesrat führt keine Abstimmungskampagne. Aufgabe des Bundesrats ist es, über das Geldspielgesetz zu informieren. Dieses ist pragmatisch: Es lässt Geldspiele auch im Internet zu. Gleichzeitig verlangt es, dass auch die Internet-Casinos eine Bewilligung brauchen und kontrolliert werden.
Finden Sie die angesprochenen Kampagnen-Sujets geglückt?
Es ist nicht an mir, die Kampagne zu beurteilen. Fakt ist: Schon heute fliessen mehr als 250 Millionen Franken pro Jahr aus Casino- und Lotteriespielen ins Ausland ab – an Online-Firmen in Malta und Gibraltar. Dieses Geld fehlt dann in der Schweiz der AHV und den Vereinen.
Fakt ist aber auch: Die Lotterien in der Schweiz machen so hohe Umsätze wie noch nie – 2016 fast drei Milliarden Franken. Auch die Erträge der Casinos sind jüngst wieder gestiegen. Ein Nein zum Gesetz wäre also kaum das Ende der Gemeinnützigkeit.
Die AHV hatte 2007 noch 450 Millionen Franken aus den Casinos bekommen, letztes Jahr waren es 275 Millionen – also beträchtlich weniger. Bei den Lotterien ist es sehr kurzsichtig zu sagen: «Im Moment läuft es noch gut, also müssen wir auch nichts machen.» Denn die Konkurrenz aus dem Ausland ist gross und es fliessen schon heute Millionen ins Ausland. Aus unseren Lotteriefonds werden unzählige Projekte in den Bereichen Sport, Kultur oder Bildung finanziert. Diese Unterstützung wollen Bundesrat und Parlament nicht aufs Spiel setzen.
Nur, wer ein echtes Casino mit Sitz in der Schweiz betreibt, darf künftig auch Online-Spiele anbieten. Alle anderen Firmen nicht. Macht das Sinn?
Ja. Das Parlament hat sich bewusst dafür entschieden, mit den 21 Schweizer Casino-Betreibern zusammenzuarbeiten, die schon seit Jahren eine Konzession haben. Bei ihnen wissen wir, dass sie den Spielerschutz ernst nehmen und tatsächlich Geld abliefern für die AHV. Und wir können das auch kontrollieren. Zudem: In sechs Jahren werden sämtliche Konzessionen erneuert, dann kann sich jeder bewerben, der unsere Bedingungen erfüllt.
Keine Chance auf eine Lizenz haben jene Online-Pioniere, die die Spiele entwickelt und dabei Innovationsgeist bewiesen haben. Derweil geniessen die Schweizer Casinos faktisch eine Profitgarantie. Ist das nicht unfair?
Nein. Unfair ist, dass sich heute die grossen Online-Casinos nicht an unsere Gesetze halten müssen. Sie haben ihren Sitz in Steueroasen, wo sie kaum Abgaben zahlen. Demgegenüber müssen Casinos in der Schweiz bis zu 80 Prozent der Erträge abgeben für die AHV.
Nach Ihrer Logik müsste Netflix in der Schweiz ein Kino eröffnen, damit es seine Online-Dienste hierzulande anbieten darf.
Wer diesen Vergleich bemüht, bringt etwas mächtig durcheinander: Kinos und Netflix sind gewöhnliche Angebote. Das Glücksspiel-Gewerbe hingegen ist seit jeher und aus guten Gründen stark reguliert. In der Schweiz waren Casinos bis in die 90er-Jahre verboten, Online-Spiele sind bis heute illegal. Mit dem Gesetz werden sie jetzt erlaubt. Aber wir wollen im Internet dieselben Regeln durchsetzen wie in den traditionellen Casinos.
Wer keine Lizenz erhält, wird künftig mit Netzsperren blockiert. Die Gegner warnen vor Internet-Zensur.
Inzwischen ist Herr Silberschmidt (Präsident der Jungfreisinnigen, Anm. d. Red.) ja schon wieder zurückgekrebst. Ich war ehrlich erstaunt, als ich diese Woche im «Tages-Anzeiger» gelesen habe, dass er Netzsperren nun doch manchmal sinnvoll findet. Die Haltung des Bundesrats ist klar: Damit wir unsere Regeln im Internet durchsetzen können, brauchen wir Netzsperren. 17 europäische Länder setzen sie bereits ein – mit Erfolg.
Die Befürchtung ist, dass bald noch weitere Seiten gesperrt werden, etwa Plattformen für Musik- oder Filmstreaming. Der Manager von DJ Bobo forderte dies bereits lautstark.
Über Netzsperren entscheidet aber nicht der Manager von DJ Bobo, sondern es entscheiden Parlament und Bevölkerung. Der Bundesrat hat bereits festgelegt, dass es im Urheberrecht keine Netzsperren gibt. Denn einen Plattenladen kann jeder eröffnen. Casinos hingegen sind mit Risiken verbunden. Spielsucht kann beruflich und privat ganze Existenzen zerstören. Darum stellt die Schweiz für Casinos strenge Regeln auf.
Kennen Sie spielsüchtige Personen?
Erst kürzlich unterhielt ich mich mit einem Taxifahrer, der berichtete, wie er jeweils Spieler vom Casino nach Hause fährt. Wie manche wieder und wieder hingehen, zu Hause noch rasch ihre Uhr holen und dann auch diese verspielen. So etwas gibt mir zu denken. Es ist wirklich zentral, den Betroffenen zu helfen – gerade auch in der virtuellen Welt, wo man schon mit wenigen Klicks viel Geld verlieren kann.
Hand aufs Herz: Können Spielsüchtige im Internet überhaupt wirksam geschützt werden?
Ein hundertprozentiger Spielerschutz wird nie möglich sein. Mit dem neuen Gesetz müssen jedoch auch Online-Anbieter sogenannte Sperrlisten führen. Das heisst, wer suchtgefährdet ist, darf nicht mehr spielen. Ohne das neue Gesetz gibt es ausgerechnet im Internet nichts für den Spielerschutz.
Die Online-Anbieter widersprechen: Man kontaktiere Spieler mit problematischem Verhalten schon heute.
Nur mit dem Gesetz wird es für sie aber zur Pflicht, gegen Spielsucht vorzugehen. Egal ob im Casino oder im Internet: Spielsüchtige dürfen nicht mehr spielen. Deshalb stehen auch Suchtexperten hinter der Vorlage.
Nun, Suchtorganisationen sagen bloss zähneknirschend Ja. Sie befürchten, dass die Prävention in einem neuen Gesetz noch weniger Gewicht bekäme.
Die Suchtorganisationen sehen natürlich, dass es unter den Gegnern des Gesetzes auch Leute hat, die bei der Prävention weniger tun wollen. Letztlich ist es aber natürlich Kaffeesatzlesen, wie ein Gesetz aussähe, wenn die aktuelle Vorlage abgelehnt würde.
Glücksspiele haben laut Studien ein höheres Suchtpotenzial als Alkohol oder harte Drogen. Müsste man sie konsequenterweise nicht ganz verbieten?
Ich kenne einige Leute, denen das nur recht wäre. Allerdings würden dann viele Spieler ins Ausland ausweichen. Da ist mir unsere pragmatische Schweizer Lösung lieber.
Im Parlament stand noch eine grosse Mehrheit hinter dem Gesetz. Nun laufen Ihnen die Unterstützer davon: Die FDP, die GLP, die BDP und die Grünen sowie zahlreiche SVP-Sektionen haben die Nein-Parole beschlossen. Was ist passiert?
Das Referendum wurde von Jungparteien ergriffen sowie von Organisationen wie der Piratenpartei und dem Chaos Computer Club. Sie stellen sich auf den Standpunkt, im Internet dürfe es keine Regeln geben.
Und die Mutterparteien haben sich von dem jugendlichen Leichtsinn anstecken lassen?
(lacht) Das weiss ich nicht. Sie müssen die Parteien fragen, wie ihre Parolen zustande gekommen sind. Die FDP hat das Gesetz im Parlament ja mit grosser Mehrheit unterstützt. Die BDP war im Parlament sogar einstimmig dafür.
Ihre Sozialdemokraten stehen zwar hinter dem Gesetz, sind im Abstimmungskampf aber überraschend leise. Ärgert Sie das?
Es gibt viele Exponenten, die für ein Ja kämpfen, und zwar in fast allen Parteien. Das Unterstützungskomitee reicht von zahlreichen FDP-Mitgliedern über SVP-Nationalrat Adrian Amstutz bis zu SP-Ständerätin Pascale Bruderer. Auch Turnvereine, Schützen, grosse Sportverbände und Kulturschaffende unterstützen das Gesetz. Genauso wie die Kantone, die eng an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt waren.
Das Lobbying vor den Beratungen im Parlament war massiv. Der Vorwurf lautet, die Casino-Lobby habe das Gesetz durchgedrückt.
Das ist falsch. Das Gesetz ist ein politischer Kompromiss. Dass die verschiedensten Lobbys – von ausländischen Online-Casinos über Sportwettenanbieter bis hin zu Präventionsexperten – das Parlament in eine Richtung zu ziehen versuchen, ist ein normaler Vorgang. Das ist bei jedem Gesetz so. Speziell am Geldspielgesetz ist, dass sich die Gegner von ausländischen Anbietern ihr Referendum finanzieren liessen.
Wäre es aus Ihrer Sicht richtig, die Finanzierung von Abstimmungskämpfen aus dem Ausland zu verbieten?
Ein solches Verbot kennen wir in der Schweiz heute nicht. Wichtig scheint mir, dass die Bevölkerung über solche Geldflüsse transparent informiert ist – zu dem Thema ist derzeit ja eine Volksinitiative hängig. Im aktuellen Fall kann die Bevölkerung selbst ihre Schlüsse aus der Tatsache ziehen, dass Online-Casinos aus Malta und Gibraltar die Unterschriftensammlung mit rund einer halben Million Franken mitfinanzieren.
Waren Sie selbst eigentlich auch schon im Casino?
Ja, in meiner Jugend. Auf einer Reise im Ausland.
Mit Erfolg? Haben Sie etwas gewonnen?
Nichts Grosses, sonst würde ich mich bestimmt noch daran erinnern.
Und was würden Sie tun, wenn Sie eine Million im Lotto gewinnen?
Ich würde mein Leben so weiterführen, wie es ist …
… das heisst, Sie blieben im Bundesrat?
(lacht) Also ein Lottogewinn wäre wohl kein Grund, aus dem Bundesrat zurückzutreten.