«Wo ist Walter?», die beliebte Kinderbuchreihe, muss in Russland umbenannt werden. «Wo ist Vlado?», heisst es in Togliatti.
Es ist der Tag nach dem kümmerlichen 0:1 der Schweiz im WM-Achtelfinal gegen Schweden. Der Tag der Erklärungen und Analysen. Aber Vladimir Petkovic, der Chef der verunglückten Mission, der Mann, der die fehlende Leidenschaft im Spiel verantwortet, hat keine Lust darauf.
Petkovic bleibt gestern unsichtbar. Gut, das passt durchaus ins Bild; Petkovic versteckte sich schon seit Beginn der WM- Vorbereitung mit beachtlichem Erfolg. Er beschränkte sich auf die obligatorischen Termine der FIFA. Und wenn er sich dann noch vor Beginn der WM zum Satz hinreissen lässt, dass die Schweiz «mit dem Einzug in den Achtelfinal nicht zufrieden ist», dann folgt schon bald die Korrektur, er sei «nicht richtig verstanden worden». Worauf man sich die betreffende Antwort nochmals anhört und merkt: Man hat Petkovic deutlich und richtig verstanden.
Das kommunikative Bild, das Petkovic abgibt, muss keinen Zusammenhang haben mit der Leistung der Schweizer auf dem Feld. Und doch gibt es gewisse Auffälligkeiten. Die Schweiz spielte so verhalten und emotionslos, wie sich ihr Trainer gibt. Die Frage ist: Gelingt es dem Trainer intern besser, das Feuer zu wecken?
Im Bezug auf die WM sind Fragezeichen angebracht. Als die Emotionen rund um das Spiel gegen Serbien extrem waren, konnte Petkovic das Team nicht beruhigen. Zumindest funktionierte sein Ansatz nicht, einfach alles wegzuwischen mit dem Hinweis, die Politik sei im Sport kein Thema. Danach, vor dem Achtelfinal, als es darum ging, die Leidenschaft zu entfachen, wirkten seine Spieler matt.
Vor vier Jahren verliess die Schweiz die WM-Bühne mit einem gewissen Stolz. Ottmar Hitzfeld hatte es geschafft, die Mannschaft nach der Krise in der Vorrunde (2:5 gegen Frankreich) aufzurichten. Das Spiel gegen Argentinien war ein tolles Beispiel, was mit viel Herz möglich ist und wie sehr das die Stimmung beeinflusst.
Vor zwei Jahren war die EM spielerisch gut. Im Achtelfinal gab es den magischen Moment mit Xherdan Shaqiris Tor, auch der Sturmlauf davor und danach war aufwühlend.
Doch nun muss die Schweiz mit hängenden Köpfen nach Hause fahren. Ohne Stolz. Stattdessen mit der Erkenntnis, dass kein magischer Moment in Erinnerung bleiben wird. Dafür war das 1:1 gegen Brasilien zu glückhaft. Dafür gerieten nach dem Sieg gegen Serbien zu sehr Nebenschauplätze in den Fokus – wohlgemerkt selbstverschuldet durch den Doppeladler-Jubel. Es ist auch diese Entwicklung in die falsche Richtung, die Petkovic und dem Verband Sorgen bereiten müsste.
Es gäbe also einiges zu klären mit dem Trainer. Doch dazu kommt es nicht. Der Verband könnte Petkovic auf die Sprünge helfen. Warum er es nicht tut, bleibt sein Geheimnis.
Statt Petkovic betritt also SFV-Präsident Peter Gilliéron die Bühne. Ziemlich bald einmal sagt er: «Vladimir Petkovic bleibt garantiert Nationaltrainer. Er hat so viel Gutes geleistet, dass seine Person kein Thema ist. Sonst hätten wir ja auch seinen Vertrag nicht vorzeitig verlängert.» Bis Ende 2019 läuft er. Wenn die EM-Qualifikation gelingt, verlängert er sich bis zum Turnier in verschiedenen Städten ganz Europas.
Gilliéron lobt seinen Trainer mehrfach. Was mag er konkret an seiner Arbeit? «Alles.» Und gibt es auch Punkte, in denen er sich verbessern muss? «Nein. Und wenn es die gäbe, dann würde ich das ihm unter vier Augen sagen.»
Die Identität, die Petkovic der Schweiz verpassen will, ist jene des grossen, mächtigen Favoriten, der nur auf sich selbst schaut. Immer den Ball will. Der sich nicht darum kümmert, wer der Gegner ist.
Die Absichten sind toll, und es gibt keinen Grund, in Qualifikationsspielen gegen Andorra, die Färöer Inseln oder sonst wen anders zu denken.
Nur sollte dann auf der grössten Bühne immerhin ein Plan B zu sehen sein. Es sollten Impulse möglich sein, wenn die gewählte Strategie offensichtlich nicht funktioniert.
Den Schweizern fehlte nicht nur die Leidenschaft. Sie litten auch darunter, dass der Gegner ihr Spiel mühelos durchschaute. Elemente der Unberechenbarkeit, auch taktischer Natur, gab es nicht. Umso bemerkenswerter, wenn dann die Analyse in erster Linie doch wieder auf die (vermeintlichen) Stärken des Gegners zielt anstatt auf die eigenen Schwächen.
Es gäbe durchaus Punkte, auf die ein Trainer zu Recht hinweisen darf. Das Überstehen einer WM-Gruppe mit Brasilien, Serbien und Costa Rica ist aller Ehren wert. Und natürlich gab es auch Zeiten, da hat sich die Schweiz gar nicht erst für die WM qualifiziert. Aber das hindert niemanden daran, die nun vorhandene Ausgangslage optimal zu nutzen. Wer zu sehr in der Vergangenheit lebt, kommt nicht voran.
Die Schweiz hat eine spannende Mannschaft. Und viele weitere Talente rücken nach. Umso mehr würde es sich lohnen, genau hinzuschauen, wer welche Reizpunkte setzen kann. Vladimir Petkovic war der richtige Mann, um das Team ab 2014 weiterzuentwickeln. Nach dem jüngsten Rückschritt muss er beweisen, das auch weiterhin zu sein.