Als Murat Yakin in der letzten Woche sein Kader für die Spiele gegen Nordirland (Freitag, 20.45 Uhr in Belfast) und Luxemburg (Dienstag, 20.45 Uhr in St.Gallen) bekannt gab, waren einige Überraschungen dabei. Gleich vier Neulinge berief der Schweizer Nationaltrainer, darunter in Lucas Blondel und Silvan Gartenmann zwei Spieler, die in der Schweiz bis vor Kurzem gänzlich unbekannt waren. Es ist zu erwarten, dass Yakin in den vier Testspielen – im Juni steht eine Amerika-Reise mit Spielen gegen Mexiko und die USA an – ordentlich experimentiert.
Und das macht auch Sinn. Schliesslich ist die Nations League vorbei – der Abstieg zeigt, dass Änderungen und frischer Wind von Vorteil sein könnten – und beginnt die WM-Quali für 2026 erst im Herbst. Wann sollte ein Nati-Trainer also testen, wenn nicht jetzt? Zumal Abwehrchef Manuel Akanji verletzt ist und Captain Granit Xhaka wegen der Geburt seines dritten Kinds fehlt. Ohne die beiden wäre die Schweiz an der WM ohnehin aufgeschmissen. Deshalb geht es in den Spielen gegen Nordirland und Luxemburg nicht unbedingt um das Ergebnis.
Obwohl gegen Gegner von diesem Kaliber von der Nati eigentlich nichts anderes als Siege erwartet werden, wären selbst Niederlagen kein Grund, in Panik zu verfallen. Solange die Spiele während dieser Länderspielpause und der USA-Reise wichtige Erkenntnisse für die in einigen Bereichen ungewisse Zukunft bringen.
An der EM bildeten Manuel Akanji, Fabian Schär und Ricardo Rodriguez in allen fünf Spielen eine hervorragend funktionierende Dreierkette. Schär ist nach der Europameisterschaft im letzten Sommer aber aus dem Nationalteam zurückgetreten, ausserdem setzte Yakin zuletzt wieder auf eine Viererkette. Daher braucht der aktuell abwesende Akanji einen neuen Partner in der Innenverteidigung. Wer kann also die Position neben dem Abwehrchef füllen?
Yakin erklärte, bis zum Start der WM-Qualifikation möglichst viele Optionen testen zu wollen. Mit 14 Gegentoren in sechs Spielen liess die Nati in der Nations League jegliche defensive Stabilität vermissen. Nico Elvedi, der mit Akanji lange das Innenverteidiger-Duo bildete, wurde dieses Mal nicht nominiert – wohl auch, weil er in seinen drei Einsätzen im letzten Herbst nicht immer überzeugen konnte. Dennoch bleibt der 28-Jährige von Mönchengladbach eine Option.
Ebenso wie Aurèle Amenda, der bei seinem Debüt gegen Serbien (1:1) eine gute Figur machte, bei Frankfurt aber viel zu wenig Spielpraxis hat. Der ebenfalls erst 21-jährige Albian Hajdari steht wohl vor seiner Nati-Premiere und könnte sich in diesem Fall erstmals empfehlen. Spannend dürfte auch sein, wie sich der in der Vorwoche eingebürgerte Stefan Gartenmann einbringt. Der gebürtige Däne bringt mit 28 Jahren einiges an Erfahrung mit und hat gemäss Yakin grosse Leaderqualitäten. Bei Eray Cömert ist hingegen schwer vorstellbar, dass er in Zukunft eine grosse Rolle in der Nati spielt.
Am prädestiniertesten für die Rolle neben Akanji, und in dessen Abwesenheit möglicherweise gar für den Posten als Abwehrchef, ist derzeit vielleicht Cédric Zesiger. Der 26-Jährige wurde vom Winterwechsel zum FC Augsburg regelrecht beflügelt. In acht Spielen stand er bisher auf dem Feld – der Bundesligist ist noch immer ohne Gegentor. Damit stellte der 1,94-m-Hüne gar einen Rekord ein. Gut möglich, dass er den Schwung gleich ins Nationalteam mitnimmt.
Mit Xherdan Shaqiri hat die Schweiz ihren Mann für die magischen Momente verloren. Fallrückzieher gegen Polen, Hattrick gegen Honduras, Siegtor in der 90. Minute gegen Serbien oder zuletzt ein traumhafter Schlenzer gegen Schottland. All das brachte der 1,65 m grosse Zauberfuss im Schweizer Trikot und wurde so zum besten Skorer der Nati-Geschichte (32 Tore, 34 Assists). Ihn zu ersetzen, wird nicht einfach.
Einer, der regelmässig mit Shaqiri verglichen wird, ist Alvyn Sanches. Auch er hat schöne Tore im Repertoire und verfügt über eine gute Technik sowie Übersicht. Natürlich wäre vermessen, von dem 22-jährigen Mittelfeldspieler von Lausanne-Sport zu erwarten, dass er Shaqiris Lücke schliesst. Kann der Nati-Neuling aber immerhin eine Prise Magie einbringen, wäre das schon eine ordentliche Hilfe.
Nicht nur in der Innenverteidigung, sondern auch auf den Aussenpositionen dürfte Murat Yakin experimentieren. Dazu ist der 50-Jährige auch gezwungen. Der langjährige Nati-Rechtsverteidiger Silvan Widmer ist in Mainz nur noch Ersatz, Edimilson Fernandes konnte im Schweizer Trikot nur selten überzeugen und Kevin Mbabu, der seit dieser Saison in Dänemark spielt, ist bei Yakin schon länger kein Thema mehr. Ausserdem verzichtete der Trainer auf Leonidas Stergiou, der in Stuttgart auch aufgrund von Verletzungen wenig zum Einsatz kam.
So ergibt sich nun die Chance für einige Neue. Auf der rechten Seite wird sich Lucas Blondel zeigen wollen. Der 28-Jährige von den Boca Juniors ist erstmals im Kreis der Nati dabei. Selbiges gilt auch für Isaac Schmidt, der auf beiden Aussenverteidigerposition eingesetzt werden kann. Ihn nominierte Yakin vor allem aufgrund seiner starken Leistungen beim FC St.Gallen, seit seinem Wechsel zum englischen Zweitligisten Leeds im vergangenen August kam er noch nicht so richtig zum Zug.
Miro Muheim kam schon im November gegen Spanien zu seinem Debüt, jedoch ist auch er im Schweizer Nationalteam noch eher neu. Der Linksverteidiger vom HSV könnte sich als Alternative zum alternden Ricardo Rodriguez herausstellen. Der 32-Jährige stand bei Betis Sevilla in weniger als der Hälfte der Spiele in der Startaufstellung. Mit Blick auf die WM im Sommer 2026 wäre es wichtig, dass Yakin sein Aussenverteidiger-Duo der Zukunft noch in diesem Jahr findet. Ansonsten gäbe es aber noch eine andere Möglichkeit …
Seit Yakin nach der EM 2021 das Zepter von Vladimir Petkovic übernahm, wechselte er häufig zwischen Dreier- und Viererkette hin und her. Zunächst setzte er stets auf vier Verteidiger, im Sommer 2023 versuchte er es dann erstmals mit drei Innenverteidigern und zwei offensiver ausgerichteten Aussenspielern. Im letzten Jahr setzte er lange ausschliesslich auf die Dreierkette – auch an der EM. Nach den Niederlagen gegen Dänemark, Spanien und Serbien in der Nations League kehrte er aber zur Viererkette zurück.
Nun stellt sich die Frage, ob dies die bessere Option ist. Klar ist: Von den Nati-Verteidigern sind sich aus dem Klub die wenigsten eine Dreierkette gewohnt. Weder Akanji bei Manchester City, noch Amenda in Frankfurt, Hajdari in Lugano oder Gartenmann bei Ferencvaros. Auch bei Elvedis Gladbach wird auf die Viererkette gesetzt. Anders sieht dies hingegen bei Cédric Zesiger aus. Der ist in Augsburg einer von drei Innenverteidigern. Bleibt die Dreierkette dank ihm also eine valable Option? Rodriguez hat in der Nati und bei Ex-Klub Torino ebenfalls schon häufig in einer solchen gespielt.
Für Yakin würden sich so auch die Optionen auf den Aussenpositionen erweitern. So setzte er neben der Dreierkette an der EM beispielsweise auch schon den zentralen Mittelfeldspieler Michel Aebischer oder den Flügelspieler Dan Ndoye ein.
Bei der AS Monaco ist Denis Zakaria seit bald zwei Jahren unwiderstehlich und als Captain unangefochtener Stammspieler. Im Nationalteam kommt er hingegen kaum zur Geltung. An der EM spielte er auch verletzungsbedingt nur 22 Minuten im Viertelfinal gegen England. Es wäre zu wünschen, wenn der 28-Jährige diesen Kontrast zwischen Klub und Land auflösen könnte.
Nun, da Captain Xhaka ausnahmsweise mal nicht dabei ist, bietet sich Zakaria die Möglichkeit, sich für eine grössere Rolle in der Nati zu empfehlen und zu zeigen, dass er auch Verantwortung übernehmen kann. Eigentlich wäre er der perfekte Nebenmann für Xhaka, da er die defensiven Fähigkeiten hat, um dem Mittelfeldmotor den Rücken freizuhalten. Ähnlich wie dies Remo Freuler bisher immer tat. Der bald 33-Jährige kann diese laufintensive Rolle nicht mehr ewig ausfüllen, mit dem 22-jährigen Ardon Jashari, der für die März-Länderspiele absagte, rückt aber bald ein weiterer Konkurrent für Zakaria auf dieser Position nach.
Natürlich ist nicht zu erwarten, dass nach den beiden Spielen gegen Nordirland und Luxemburg oder selbst nach der USA-Reise im Juni in allen Fragen absolute Klarheit herrscht. Jedoch wäre es für die WM-Quali und hoffentlich auch das Turnier in Nordamerika im nächsten Sommer wichtig, wenn sich immerhin eine Richtung abzeichnet. Schwieriger dürfte jedoch ein anderes Problem zu beheben sein: Wer schiesst in Zukunft die Tore?
Am Ende standen nach sechs Nations-League-Partien zwar immerhin sechs Tore in der Bilanz, doch fielen zwei davon im für die Schweiz und Spanien unbedeutenden letzten Spiel und kam die Nati in den ersten drei Partien nur zu einem Treffer. Die Chancenverwertung erwies sich hierbei als grösstes Problem. Zwar ist mit Breel Embolo eine einst grosse Sturmhoffnung im Kader, doch blieb der 28-Jährige mit wenigen Ausnahmen bisher lediglich ein uneingelöstes Versprechen. Zeki Amdouni, der in der Nations League die Hälfte der Schweizer Tore erzielte, musste verletzt abreisen. So verbleiben im aktuellen Kader lediglich Andi Zeqiri und Joël Monteiro als Alternativen im Sturmzentrum.
Es ist zu erwarten, dass diese Frage auch nach dem 25. März offenbleibt.
Ist aber sicher eine spannende Zeit im Moment.