Tabellenführer! Ja, okay, aber so richtig ernst wird Biel trotzdem nicht genommen. Es macht nach wie vor einen Unterschied, ob ein Titan wie der SCB und die ZSC Lions oder der Biel die Tabelle anführt.
Stehen die Stadtberner oder die Zürcher ganz oben, dann werden sie auch als Titelfavoriten gehandelt und sie bleiben es auch in der Krise. Schliesslich ist der SCB vom 8. Platz aus schon mal Meister geworden. Und die ZSC Lions zweimal vom 7. Platz aus.
Bei Biel wird nach wie vor die Frage gestellt, wie lange die Herrlichkeit wohl noch dauert. Und die Resultate werden anders interpretiert: eine Niederlage eines «grossen» Leaders gegen einen Aussenseiter, beispielsweise gegen die Lakers, wird stets als «Betriebsunfall» taxiert. Bei einem vermeintlich «Kleinen» wie Biel hingegen als Anzeichen für die unvermeidliche Rückkehr ins Mittelmass. Biel ein Titelanwärter? Nein, da sind noch zu viele «Wenn» und «Aber».
Und doch ist Biel nicht mehr Mittelmass. Der EHC Biel hat sich heimlich, still und leise in den zehn Jahren seit dem Wiederaufstieg von 2008 vom Aschenputtel in eine Prinzessin verwandelt, die auf einer Meisterfeier tanzen kann. Biel knüpft wieder dort an, wo es zu Beginn der 1980er Jahre (letzte Titel 1981 und 1983) einmal war.
Beinahe unbemerkt deshalb, weil es die Bieler verstanden haben, ihr Unternehmen geduldig, beharrlich und ohne Lärm in allen Bereichen zu erneuern.
Vom Aufstiegs-EHC von 2008 sind nur noch drei wichtige Persönlichkeiten dabei: Manager Daniel Villard, Verwaltungsrat Sandro Wyssbrod und Captain Mathieu Tschantré.
Aber alle, die aus der Führungsetage von Bord gegangen sind, haben ihr Wissen weitergegeben und stehen immer noch, wenn gewünscht, für gute Ratschläge zur Verfügung. Biels reichhaltige Hockey-Kultur wird unterschätzt.
Noch wird die Wahrnehmung des Hockeyunternehmens Biel durch die Erinnerungen an den Kultsportchef und Kulttrainer Kevin Schläpfer (2006 bis zur Entlassung am 14. November 2016) geprägt.
So wie einst der Abenteurer Christoph Kolumbus für die Spanier Amerika entdeckt, so hat Kevin Schläpfer als Sportchef und später als Trainer die Bieler zurück in die höchste Liga geführt.
Aber so wie damals Kolumbus nicht dazu in der Lage war, das von ihm erschlossene Land zu verwalten, so war der Rock’n’Roller Kevin Schläpfer kein Trainer, um aus Biel einen Titanen zu machen. Erst Antti Törmänen ist der grosse Trainer, den eine grosse Mannschaft braucht. Erst unter dem weltläufigen Finnen hat sich Biel von Kevin Schläpfer emanzipiert und den nächsten Schritt nach ganz oben gemacht.
Die neue Arena erschliesst neue Einnahmequellen und damit die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den «grossen Sprung». Die Bieler haben zwar keinen Milliardär als Mäzen. Aber eine Gruppe von Männern und Frauen mit abgeschlossener Vermögensbildung sichert das Unternehmen finanziell ab und macht es so stabil wie die ZSC Lions, Lugano, der SC Bern oder Zug.
Am eindrücklichsten personifiziert Sportchef Martin Steinegger den Wandel Biels vom abenteuerlichen «Lotter-Unternehmen» der 1990er Jahre (mit 13-jähriger Verbannung in die NLB) zur Hockey-Vorzeigefirma: Der Bub des Eismeisters war mit 22 Jahren jüngster Captain der Liga. Als er 1994 zum grossen SC Bern wechselt, muss der SCB die Ablösesumme in der Nacht bar in einem Koffer nach Biel bringen (also im besten Wortsinn schwarz), damit der von den Gläubigern bedrängte Klub wichtige Rechnungen unter der Hand begleichen kann.
Martin Steinegger wird in Bern ein Titan und kehrt nach dem Wiederaufstieg im Frühjahr 2008 nach Biel zurück. Bis zu seinem Rücktritt 2012 hält er als Verteidigungsminister die Mannschaft auf dem Eis zusammen. Seither rekrutiert er das Personal als Sportchef. Kürzlich hat ein grosser Präsident im kleinen Kreis gefragt: «Bei Biel passt jeder Transfer. Wie macht das der Steinegger?»
Er macht es mit dem sicheren Gespür eines ehemaligen Leitwolfes. Er hat in Bern bei einem Grossclub gelernt, wie grosse Mannschaften funktionieren und welchen Einfluss die verschiedenen Spielertypen auf das Innenleben eines Teams haben.
Was den grossen Präsidenten inzwischen zu denken gibt: Anfänglich sind die Talente, die Biel ausgebildet oder die Martin Steinegger entdeckt hat (wie Gaëtan Haas, Matthias Rossi oder Dave Sutter) zu den Titanen weitergezogen. Heute würden wahrscheinlich alle drei bleiben. Weil Biel mit der erstklassigen Infrastruktur und den sportlichen Ambitionen eine erste Transferadresse geworden ist. WM-Silberheld Damien Riat ist im Sommer nicht nach Bern, Zürich oder Lugano gezogen. Sondern nach Biel. Und Jason Fuchs, der bei jedem NL-Klub mindestens Center Nummer zwei sein könnte, hat in Biel verlängert. Die Mischung aus dynamischer Jugend und reifem Hockeyalter (Brunner, Forster, Hiller) stimmt. Die Salär-Hierarchie auch.
Das Beispiel von Damien Brunner steht für die Gelassenheit, die grossen Teams eigen ist. Der NLA-Topskorer von 2012 (mit Zug) ist seit einer Rückkehr aus der NHL im Laufe der Saison 2014/15 (zu Lugano) den hohen Erwartungen nicht gerecht geworden. Im letzten Frühjahr hat Lugano den Vertrag mit dem sensiblen, eigenwilligen Schillerfalter vorzeitig aufgelöst und den Weg für einen Wechsel nach Biel freigemacht.
Der Transfer eines so hochkarätigen wie umstrittenen Spielers führt in der Regel zu erheblicher Unruhe. Die ist in Biel gänzlich ausgeblieben. Wir haben in Biel noch nicht ganz den wahren Damien Brunner gesehen. Trotz 5 Punkten in 8 Spielen. Das sieht er auch so: «Ich brauche Zeit um mein Spiel wieder zu finden.» Er setzte sich nicht unter Druck. Sein Sportchef sieht es genauso. Martin Steinegger sagt: «Wir geben ihm die Zeit, die er braucht.»
Das ist wahrlich die Gelassenheit, die grosse Teams auszeichnet.
Biel spielt in diesem Herbst wie eine grosse Mannschaft und immer mehr zeichnet sich ab, dass es tatsächlich eine grosse Mannschaft ist. Beim 7:3 in Davos trafen sieben verschiedene Spieler. Der Ausfall eines Leitwolfes wie Verteidigungsminister Beat Forster hat keine Auswirkungen. Und in den Playoffs, wenn es ihn dann wirklich braucht, wird er längst wieder dabei sein.
Jonas Hiller ist bereits 36. Aber Elien Paupe (23) ist eine erstaunliche Nummer 2. Er hat Biel in Bern zum Sieg gehext. Martin Steinegger schliesst nicht aus, dass Elien Paupe im Frühjahr 2020 Jonas Hillers Nachfolger werden kann.
In der Nachwuchsorganisation der Bieler finden wir unter anderen mit Verteidiger Janis Moser (18), dem Stürmer Valentin Nussbaumer (18, diese Saison in Nordamerika) und Ramon Tanner (19) drei der besten Talente unseres Hockeys gehören. Mit einem Durchschnittsalter von 26,84 Jahren gehört Biel zu den jüngsten vier Teams der Liga.
Sportliche Rückschläge sind sowieso kein Problem. Die Unternehmensführung unter Daniel Villard hat seit dem Wiederaufstieg von 2008 so viele kritische Situationen (Ligaqualifikation inklusive) gemeistert, dabei so oft Ruhe bewahrt und am Ende die richtigen Entscheidungen getroffen, dass ein Abrutschen ins Mittelfeld niemanden beunruhigen wird. Zumal alle wissen: Eine Krise läuft jetzt nach dem welschen Motto «reculer pour mieux sauter» («ein paar Schritte zurück, um dann noch weiter zu springen»).
Das eigentlich Undenkbare ist wahr geworden: Biel steht sportlich und wirtschaftlich auf Augenhöhe mit Bern, Zürich, Zug oder Lugano.
Biel ist drauf und dran, der neue Titan unseres Hockeys zu werden und den letzten Schritt zu machen: Von einem dominierenden Team der Qualifikation zu einer Meistermannschaft.
Diesen Schritt haben in diesem Jahrhundert erst Davos, Lugano, der SC Bern und die ZSC Lions geschafft. Es ist der schwierigste Schritt für ein Sportunternehmen. Noch schwieriger als jener aus dem Tabellenkeller an die Tabellenspitze.
Die Bieler stehen vor diesem schwierigsten Schritt.