Alles was war, zählt nicht mehr. Öfter als im richtigen Leben gibt es im Sport immer wieder eine neue Chance. Wenn der neue Trainer André Rötheli (47) in der Liga-Qualifikation vier Spiele hintereinander gegen die Rapperswil-Jona Lakers gewinnt, ist Kloten gerettet. So einfach ist das. Nur vier Siege.
Die Chancen, dass ihm dieses Kunststück gelingt, stehen gut. So sehr die Mannschaft auch zerrüttet und verunsichert sein mag: der gordische Knoten kann er mit einem einzigen Streich lösen.
Das Beispiel des gordischen Knoten passt gut zu Kloten und zu André Rötheli. Der «gordische Knoten» bezeichnete einst in der Antike die kunstvoll verknoteten Seile am Streitwagen von König Gordios.
Es schien so unmöglich, diesen Knoten zu lösen wie jetzt Kloten zu retten. Viele kluge und starke und reiche Männer hatten es versucht. Alle scheiterten. So wie viele kluge und starke und reiche Männer schon vergeblich versucht haben, Kloten zu retten und zu sanieren.
Alexander der Grosse löste das Problem auf verblüffend einfache Art und Weise. Er durchtrennte den Knoten mit einem einzigen kräftigen Schwerthieb. Heute bedeutet die Redewendung «den gordischen Knoten lösen» die Lösung eines scheinbar komplizierten und unlösbaren Problems mit einfachen Mitteln.
Trainer Kevin Schläpfer (48) wusste sehr wohl, wie der gordische Knoten in Kloten gelöst werden kann: durch die Torproduktion von Denis Hollenstein (28) und Vincent Praplan (23).
Vincent Praplan hat bei der letzten WM in 8 Partien 4 Tore erzielt. In Kloten war es in den letzten 11 Spielen noch ein einziges. Denis Hollenstein hat in seiner besten Saison (2016/17) in 50 Partien 23 Mal getroffen und zum WM-Silber von 2013 in 10 Spielen 4 Tore beigesteuert. In den letzten 9 Partien für Kloten hat er nicht mehr getroffen und in den letzten 28 Partien viermal. Gleich oft wie an der WM 2013.
Die beiden wichtigsten Feldspieler der Klotener gehören zu den besten Flügelstürmern mit Schweizer Pass. Sie geniessen allerhöchste Anerkennung: Denis Hollenstein hat bei den ZSC Lions einen hoch dotierten Fünfjahresvertrag (!) bekommen und Vincent Praplan wird nächste Saison für San José in der NHL, der besten Liga der Welt stürmen.
Kevin Schläpfer hat deshalb oft gesagt: «Wenn Hollenstein und Praplan ihre Tore machen, dann ist alles kein Problem. Dann gewinnen wir die Liga-Qualifikation». Das ist auch der Grund, warum er nie Massnahmen ergriffen hat. Es gab nur den schüchternen Versuch, Denis Hollenstein und Vincent Praplan zwischendurch nicht in der gleichen Linie laufen zu lassen. Die fehlende Torproduktion dieser beiden Stürmer hat Kevin Schläpfer letztlich den Job gekostet.
André Rötheli muss das Eishockey in Kloten nicht neu erfinden. Er muss nur dafür sorgen, dass Denis Hollenstein und Vincent Praplan wieder Tore zelebrieren. Sonst gar nichts. So einfach ist es.
Wenn wir also wissen wollen, ob sich Kloten retten kann, müssen wir die Frage beantworten, ob André Rötheli seine beiden Stürmerstars dazu bringt, wieder ins Tor zu treffen. Als neutrale Beobachter können wir sagen: Wenn Kevin Schläpfer dazu nicht in der Lage war, dann ist es André Rötheli erst recht nicht. Immerhin gilt Kevin Schläpfer immer noch als «Hockeygott». Weil er zweimal Biel in beinahe aussichtsloser Lage in der Liga-Qualifikation vor dem Abstieg errettet hat.
André Rötheli hat keinerlei vergleichbaren Verdienste als Trainer. Ja, er war überhaupt noch nie während einer ganzen Saison Cheftrainer eines NLA-Teams. Und doch bringt er alle Voraussetzungen mit, um Kloten zu retten.
Es geht jetzt nicht mehr um Taktik, um Spielsysteme, um Konditionstraining, um technische und taktische Schulung. Auch alle Torheiten, Irrtümer, Versäumnisse der Klubführung spielen keine Rolle mehr. Es geht nur noch um Psychologie. Entweder kann der Trainer Psychologie oder er kann nicht. Und natürlich muss der Trainer auch ein «Hockey-Glückskind» sein.
Gegensätzlicher als sein temperamentvoller, charismatischer Vorgänger könnte André Rötheli nicht sein. Es ist wie ein gefühlter Wechsel von Roman Kilchsperger zum Dalai Lama. Und genau das ist Klotens Chance: der ruhige, bisweilen phlegmatisch wirkende Oltner, als Spieler ein sanftes Genie, bringt die unerschütterliche Ruhe, Weisheit und Gelassenheit mit, die es im Existenzkampf braucht. Und er ist ein Hockey-Glückskind. Aufstieg mit Olten in die NLA (1988), Captain bei Zugs einzigem Meistertitel (1998). 2003 wird er mit Lugano Meister, 2004 mit dem SC Bern.
André Rötheli gehörte zu jenen ganz grossen Spielern, die dem Puck nicht nachrennen, die den Puck nicht erkämpfen müssen. Die es sich leisten können, den Puck zu sich kommen, den Puck für sich arbeiten zu lassen. Ein bisschen wie Wayne Gretzky.
Und so ist es jetzt auch bei seinem bisher heikelsten Job als Trainer. Er muss nichts erzwingen. Nichts erkämpfen. So wie André Rötheli einst als Spieler den Puck für sich arbeiten liess und ihm nicht nachrennen musste, so muss er jetzt seinen beiden Stars auch nicht nachrennen. Er muss nur Denis Hollenstein und Vincent Praplan dazu bringen, für ihn, für Kloten Tore zu produzieren. Er muss nicht drohen, toben, bitten oder betteln. Er muss sie nur machen lassen.
Wer sagt, weil Denis Hollenstein und Vincent Praplan ihre Zukunft ja längst in Zürich und Nordamerika geregelt haben, sei ihnen Klotens Schicksal egal, tut beiden zutiefst unrecht.
Gute Stürmer sind sensible Spieler. Wenn sie den Trainer nicht mehr mögen, den sie Tag für Tag sehen müssen, dann verkümmern sie.
Gewährsleute melden aus Kloten übereinstimmend: Kevin Schläpfer hat den Zugang zu Denis Hollenstein und Vincent Praplan nie gefunden. Warum das so ist, spielt keine Rolle. Weil es nie der Fehler des Trainers oder der Spieler ist. Vielleicht passte Kevin Schläpfers extrovertierte, temperamentvolle, laute Art nicht ins dörfliche, eher von nordischer Kühle geprägte Hockeyklima. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Manchmal passt es einfach nicht zusammen. Das kommt im richtigen Leben vor und im Eishockey.
Nun ist Kevin Schläpfer nicht mehr da. Das alleine müsste eigentlich zu der rettenden Steigerung der beiden Nationalstürmer führen.
Ja, so einfach ist es manchmal. Auch in dieser kleinen Welt eines Hockey-Dorfes im Züribiet. Voller Intrigen, Schnurren und Schwänke, wie sie uns der wortgewaltige Poet Gottfried Keller beschrieben hat («Seldwyla»).
Katja Ebstein hat ein Lied («Theater») gesungen, das nach ein paar Handgriffen wie eine Ode an Kloten tönt. Und uns vor Augen führt, was in den nächsten Tagen dort über die Hockey-Bühne gehen wird.
«Sie setzen jeden Abend eine Maske auf und sie spielen wie die Rolle es verlangt. An das Klotener Hockey-Theater haben sie ihr Herz verkauft.
Sie sind König, Bettler, Clown im Rampenlicht. Doch wie’s tief in ihnen aussieht, sieht man nicht.
Klotener Theater, Klotener Theater, der Vorhang geht auf, das Spiel beginnt. Dann wird der Schluefweg zur Welt, Himmel und Hölle zugleich.
Und der Clown an der Bande der muss lachen, auch wenn ihm zum Weinen ist, und das Publikum sieht nicht, dass eine Träne fliesst.Alles ist nur Theater und doch auch Wirklichkeit Klotener Hockey-Theater – das Tor zur Phantasie.»