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Danny Kurmann (51) und Chris McSorley (55) haben in den letzten 15 Jahren unzählige Konflikte auf dem Spielfeld ausgetragen. Nun treten beide ab: Danny Kurmann, der profilierteste Schiedsrichter des Landes, wird Schiedsrichterchef des Internationalen Eishockeyverbands, Chris McSorley, einer der gewieftesten NLA-Bandengeneräle aller Zeiten, zieht sich ins Büro zurück und wird bei Servette Sportchef. Zeit für ein versöhnliches Gespräch.
Wir haben die beiden vermeintlichen Rivalen eingeladen und zwei Männer getroffen, die schon fast beste Freunde sein könnten.
Chris McSorley, Danny Kurmann, die Beziehung zwischen Ihnen haben wir immer als eine Art Hassliebe gesehen ...
Chris McSorley: Halt, das stimmt so nicht. Es war eine professionelle Beziehung. Die Emotionen sind nie über das Eisfeld hinausgegangen ...
Danny Kurmann: ... was auf dem Eis passiert, bleibt auf dem Eis. Nun ja, nicht ganz. Es ist ja auch in die Medien gelangt.
McSorley: Ja, klar. Als Coach brauche ich die Medien, vor allem in den Playoffs. Das ist meine einzige Möglichkeit, die Schiedsrichter zu beeinflussen. Aber es hat eigentlich nie funktioniert.
Kurmann: Es stimmt, Chris und ich hatten Auseinandersetzungen. Das liegt ja schon in der Natur der Sache. Er will unbedingt gewinnen, während es meine Aufgabe ist, den Spielregeln Nachachtung zu verschaffen. Oft hatte er recht, aber oft hatte auch ich recht. Es war nicht immer einfach, teils sogar sehr gespannt. Ich habe meinen Namen mehrfach in unschönen Zusammenhängen in den Genfer Zeitungen lesen müssen. Aber letztlich hat sich unser Verhältnis vor drei Jahren entspannt, als wir uns beim Spengler Cup ausgesprochen haben. Sogar meine Frau, die Chris dort ebenfalls getroffen hatte, meinte danach, dass er ja gar nicht so schrecklich sei. Bis dahin hatten wir uns nur als Schiedsrichter und Coach, nicht aber als private Personen kennengelernt. Ich habe dieses persönliche Zusammentreffen mit einem sehr guten Gefühl verlassen.
McSorley: Das ging mir genauso. Danny ist ja immer für die heissen Spiele nominiert worden und da ging es immer hoch zu und her. Der Spengler Cup gab den lockeren Rahmen, um sich einmal anzunähern. Rückblickend muss ich sagen: Ich hätte die Konfrontation mit einem so erfahrenen Schiedsrichter nicht so oft suchen sollen.
Wieso ist es erst so spät, nach mehr als zehn Jahren, zu diesem «Friedensgipfel» in Davos gekommen?
McSorley: Ja, Danny, warum eigentlich? Wir waren wohl beide immer zu sehr engagiert, so dass wir nicht über ein «Hallo» irgendwo in einem Kabinengang oder auf dem Parkplatz hinausgekommen sind. Das ist eigentlich schade.
Kurmann: Es ist wirklich schade. Wir hätten das Gespräch schon früher einmal suchen sollen. Aber so einfach ist es eben nicht, wir trafen uns ja nur immer zu den Spielen und da sind die Rollen bereits verteilt.
Sie hätten doch Danny Kurmann einmal anrufen können.
McSorley: Nein, das geht nicht.
Kurmann: Das erlaubt die Liga nicht und das ist ja auch richtig so. Es würde nicht helfen.
Und umgekehrt?
McSorley: Nein, auch das ist nicht üblich. Aber als wir zuletzt in Genf schwierige Zeiten hatten, habe ich von Danny eine Aufmunterungs-SMS bekommen. Das hat mich sehr gefreut.
Kurmann: Aber da war die Saison für uns beide bereits gelaufen, und ich dachte, es sei an der Zeit. Meine Zeit als Schiedsrichter kommt mir inzwischen ein wenig vor wie der Militärdienst: Wir haben vieles gemeinsam erlebt, aber wir behalten nur noch die schönen Momente in der Erinnerung. Nach meinem Rücktritt hat mich sogar Bob Hartley angerufen, ein wirklich harter Hund als Trainer, und wir haben ein längeres, persönliches Telefongespräch miteinander geführt. Inzwischen stelle ich mit Freude fest, dass es nicht nur Anfeindungen, sondern auch viel Respekt gibt. Ich hätte es nach all diesen Jahren durchaus verstanden, wenn viele über meinen Rücktritt froh gewesen wären.
McSorley: Danny, wenn es eine Hall of Fame gäbe, dann hättest du dort deinen Platz. Du hattest es ja wirklich nicht einfach. Bei einem Heimspiel hatte ich oft 7000 Fans hinter mir. Du hattest nie nur einen einzigen.
Kurmann: Es ist schon so, ich erlebte praktisch 20 Jahre lang vielfach eine schlechte Stimmung gegenüber meiner Arbeit am Arbeitsplatz. Viele Fans sehen den Schiedsrichter als Spielverderber und als Gegner ihres Teams. Ich sehe es inzwischen aber anders: Chris und ich standen lange Zeit in verschiedenen Rollen auf einer grossen Bühne. Wir sollten nicht vergessen, dass der Eishockeysport Unterhaltung ist. Nur wenige können sich rühmen, eine Ära geprägt zu haben.
Chris McSorley, haben Sie versucht, Danny Kurmann zu manipulieren?
Kurmann: Natürlich, das ist Teil seines Jobs ...
McSorley: Dannys Job ist es, das Spiel zu kontrollieren, mein Job ist es, zu gewinnen.
Und, waren Sie erfolgreich?
McSorley: Nein.
Kurmann: Chris war diesbezüglich einer der besten Coaches. Als jüngerer Schiedsrichter nahm ich es persönlich, wenn er mich während des Spiels direkt anging. Erst nach und nach verstand ich seine Rolle besser und realisierte, dass es ja seine Aufgabe als Coach ist, alles zu tun, um ein Spiel zu gewinnen. Er hatte seine Sicht der Dinge und ich meine. Schliesslich habe ich gelernt, es als Kompliment zu verstehen, wenn er die Auseinandersetzung mit mir gesucht hat.
McSorley: In den letzten drei Jahren habe ich es allerdings nicht mehr versucht.
Kurmann: Ja, unser Verhältnis hat sich entspannt. Es ist ja ein Spiel, es geht nicht um Leben und Tod. Aber das Verhalten von Chris habe ich erst nach einem langen Prozess richtig verstanden und gelernt, damit umzugehen.
Wie läuft denn der Versuch, einen Schiedsrichter zu beeinflussen?
Kurmann: Chris hat mich direkt mit Namen angesprochen. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, er zeigte seine Zähne. Das geht schon unter die Haut. Nicht jeder Schiedsrichter erträgt das gleich.
Es geht also nur darum, den Schiedsrichter direkt anzusprechen?
Kurmann: Klar, das lässt sich letztlich nicht vermeiden, wir kennen uns ja alle. Aber Chris hat das sehr präzis gemacht. Er hat sich auf den Schiedsrichter vorbereitet. Das ist smart.
McSorley: Das gehört dazu. Jeder Schiedsrichter hat eine andere Persönlichkeit. Aber Danny hat sich nicht beeinflussen lassen.
Hatten Sie das Gefühl, dass Danny Kurmann etwas gegen Sie oder Servette hat?
McSorley: Ich wusste natürlich, dass dem nicht so war. Und doch machte mich der Gedanke verrückt. Ich habe schon mal einen Spieler rausgeschickt, damit er sich zwischen Danny und Martin Plüss oder Mathias Seger stellt und die Kommunikation unterbindet. Aber noch einmal: Mir ist klar, dass er nie nach Genf gefahren ist, um uns zu schaden.
Stimmt das?
Kurmann: Ich bin nie mit dem Ziel nach Genf gefahren, um dem Klub zu schaden, da bin ich mir zu 100 Prozent sicher. Aber meine Vorbereitung bestand teilweise auch darin, mich damit zu befassen, wie ich beim anstehenden Spiel auf das Verhalten von Chris reagieren werde. Wir sagen dem «be prepared and doing your homework». Ein Fairplay-Grundsatz gilt für mich immer: Ein Coach, der sich korrekt verhält, soll dadurch keinen Nachteil haben gegenüber einem Coach, der sich nicht korrekt verhält. Es gibt dann Momente, in denen ich «Jetzt ist Schluss» sagen muss, damit dieser Grundsatz eingehalten wird.
War Chris der Schlimmste?
McSorley: (Lacht) Ich? Nein, nein, der in Davos …
Kurmann: Chris hat so viel für Genf, für unser Hockey getan. Die Leute sind auch wegen ihm zum Spiel gekommen. Ich denke, er ist eine Legende. Trotzdem galten auch für ihn gewisse Leitlinien. Aber ich bin nie mit dem Vorsatz zum Spiel gefahren, Chris in den Senkel zu stellen.
War Chris McSorleys Verhalten für Sie als Schiedsrichter zu Beginn neu?
Kurmann: Ja, das war neu für uns in der Schweiz. Protestierende Coaches und Spieler waren nicht neu. Aber so gezielt wie Chris hatte das vorher keiner getan. Er war der smarteste von allen, voller Energie, und wenn er zornig war, wirkte er mit seiner Körpersprache und seinem Gesichtsausdruck wirklich einschüchternd – und er war ein guter Schauspieler. Ich musste oft auch meinen Partner verteidigen und ihm klarmachen, dass wir ein Team sind.
McSorley: Ich erinnere mich, wie ich dir einmal sagte, du sollst deinem Partner die Pfeife wegnehmen.
Haben Sie es getan?
Kurmann: Natürlich nicht. Ich habe meine Partner immer verteidigt.
McSorley: Ja, ja, der Big Brother hat dem kleinen Bruder oft aus der Patsche geholfen.
Danny Kurmann, haben Sie umgekehrt die Mannschaft von Chris McSorley für dessen Verhalten auch einmal unterbewusst bestraft? Indem sie beispielsweise eine Strafe gegen den Gegner nicht gegeben haben?
Kurmann: Nein, nie bewusst. Es wäre nicht fair. Mit der Zeit wird man auch gelassener.
Das heisst?
Kurmann: Als junger Referee ging ich mit dem Vorsatz ins Spiel, keinen Fehler zu machen. Erst nach und nach lernt man, dass dies gar nicht möglich ist und wird entspannter.
McSorley: Das macht es für den Schiedsrichter so schwer: Danny muss perfekt sein, ich muss es nicht. Wir verlieren und gewinnen, Schiedsrichter können nicht gewinnen, sie können nur verlieren. Coaches machen viele Fehler und die werden verziehen. Bei Fehlern der Schiedsrichter gibt es kein Pardon und keine Toleranz.
Haben Sie denn Fehler bewusst auch kompensiert?
Kurmann: Wenn man akzeptiert, dass man Fehler macht, dann gibt es auch keine Versuchung, zu kompensieren. Wie gesagt: Das perfekte, fehlerfreie Spiel ist nicht möglich. In unseren Stadien reagieren die Fans oft negativ auf die Schiedsrichter, schreien sofort auf, wenn einer der eigenen Spieler stürzt.
McSorley: ... das mit der Schauspielerei hat er sehr schnell herausgefunden.
Wann?
Kurmann: In den Playoff-Viertelfinals 2004 in Bern. Das war diese Serie, über die auch ein Kinofilm gedreht worden ist («Les règles du jeu», Anmerkung der Redaktion). Chris schmetterte die Bandentüre wütend zu, und ich musste ihn aufgrund dieses Verhaltens auf die Tribüne schicken.
McSorley: (Lacht) Ja natürlich, die Tür klemmte!
Kurmann: Das ist deine Story. Sogar dein Captain kam zu mir und sagte: «Gut, hast du ihn auf die Tribüne geschickt.» Nach dem Ausschluss sah ich, wie du dich höflich mit Marc Lüthi unterhalten hast; er legte gar den Arm um deine Schultern! Da wurde mir klar, dass du ein Schauspieler bist.
Chris McSorley, in der entsprechenden Filmszene machen Sie auch Danny Kurmann für die Niederlage verantwortlich. Gehört das zum Schauspiel?
McSorley: Ich habe nie die Schiedsrichter für eine Niederlage verantwortlich gemacht.
Im Film und in den Medien schon.
McSorley: Ja, natürlich, aber nie in der Kabine. Wenn ich das als Coach mache, dann liefere ich meinen Spielern die Ausrede für alles und wir haben keine Chance mehr.
Verspüren Sie auch Reue?
McSorley: Ich gebe zu: Ich habe es ja schon ab und zu übertrieben und im Rückblick würde ich gerne dies oder das zurücknehmen.
Kurmann: Ich bereue auch diesen oder jenen Entscheid, auch ich habe Fehler gemacht, die ich gerne vermieden hätte. Und Coaches wie Chris sind gut. Ja, ich denke, dass ich auch dank Chris McSorley ein besserer Schiedsrichter geworden bin.
McSorley: Oh, vielen Dank. Ein guter Schiedsrichter kennt nicht nur die Regeln, er hat auch ein Gespür für das Spiel – und das hattest du.
Die Unkultur der Schiedsrichterkritik gibt es in Nordamerika nicht ...
McSorley: … das sehe ich nicht so. Die Fans in der Schweiz sorgen für eine unglaublich tolle Stimmung, und sie sind durchaus fachkundig. Ich war kürzlich wieder in ein paar der lautesten Stadien in der NHL. Dort geht gar nichts, wenn auf dem Videowürfel keine Animation läuft. Das hat etwas mit der Dauer der Spiele zu tun. Eine Partie dauert bei uns in der Regel um die zwei Stunden, in Nordamerika sind es mit allen Werbepausen fast drei Stunden, alles ist lockerer und entspannter. Bei uns gibt es eine gewisse Atemlosigkeit, die dazu führt, dass die Fans das Spiel intensiver erleben und emotionaler reagieren.
Kurmann: Ich habe bei U20-WM-Turnieren in Kanada Spiele erlebt, da reagierten die Zuschauer genauso auf die Schiedsrichter wie bei uns, aber sie applaudieren dafür bei kernigen Checks – ob nun vom eigenen Spieler oder vom Gegenspieler. Aber es stimmt schon, dass das Verhalten der Zuschauer in der Schweiz einen gewissen Widerspruch in sich birgt. Zum einen wollen die Fans schöne Checks und mehr Härte sehen. Gleichzeitig fordern sie sofort eine Strafe, wenn ihr eigener Spieler gecheckt wird.
Sind die Schiedsrichter heute besser als zu Beginn Ihrer Karriere?
McSorley: Ja, auf jeden Fall. Aber das gesamte Hockey in der Schweiz hat eine schier unglaubliche Entwicklung hinter sich.
Kurmann: Es gibt auf allen Ebenen eine positive Entwicklung. Aber das macht es für die Schiedsrichter nicht leichter. Die TV-HD-Kameras sind besser, eine Szene wird mit mehreren Kameras aus verschiedenen Winkeln aufgenommen und dann diskutieren im Studio mehrere Experten minutenlang über eine strittige Szene, bis sie zu einer Meinung kommen. Dazu kommt, dass in den sozialen Medien anonyme und oft negative Emotionen geschürt und verstärkt werden. Als Schiedsrichter sehe ich aber eine Szene nur ein einziges Mal, aus einem Betrachtungswinkel, und muss in Sekundenbruchteilen entscheiden.
Die Schiedsrichter verdienen für diese schwierige Aufgabe mehr Respekt. Nun werden Sie, Danny Kurmann, Schiedsrichterchef beim Internationalen Eishockeyverband IIHF. Werden es die Schweizer Schiedsrichter nun einfacher haben, für eine WM aufgeboten zu werden?
Kurmann: Nein, es geht nur um die Leistung, die sie bringen. Wenn ein Schiedsrichter gut genug ist, dann wird er aufgeboten.
Da Sie nun für alle Schiedsrichter zuständig sein werden, brauchen Sie sicherlich einen Scout in der Schweiz. Sie könnten doch Chris McSorley fürs Scouting einspannen?
McSorley: Das wäre doch eine grossartige Idee! Jetzt können wir ja miteinander sprechen, Danny.
Kurmann: Klar, wieso nicht? Das ist tatsächlich ein wunder Punkt im Schweizer Schiedsrichterwesen. Wir haben zu wenig Scouts und Supervisors. Wir verrichten auf dem Eis unsere Arbeit und glauben, dass wir unsere Sache gut machen. Aber manchmal verrät eine Aussenansicht mehr. Ich würde mehr Feedback, nüchternes wohlverstanden, von qualifizierten Trainern begrüssen.
Ein echtes Hollywood-Ende: Die beiden Gegenspieler haben Frieden geschlossen, arbeiten zusammen und bestimmen miteinander die Schiedsrichter für die nächste WM.
McSorley: Ganz ernsthaft: Wir beide sind lange auf dieser Bühne und entsprechend unter Druck gestanden. Dieser neue Job gibt Danny die Chance, vom Darsteller zum Regisseur aufzusteigen. Dasselbe gilt ja nun bis zu einem gewissen Grad für mich als Sportchef in Genf. Aber einfach ist es deswegen nicht. Der Druck, den wir hinter den Kulissen haben, ist nicht kleiner als derjenige auf der Bühne. Er ist nur anders.