Um Ambris Situation besser verstehen zu können, beginnen wir nicht mit einer Polemik oder vergnüglichen Wortspielereien, sondern mit staubtrockener Statistik: Ambri hatte die Saison so schwach begonnen wie seit 5 Jahren nicht mehr: 7 Punkte aus 9 Partien.
In früheren Jahren war ein solcher Start ein Grund zu heftiger Polemik. Zu Forderungen der Tessiner Medien nach Kurswechsel und Trainerentlassung.
Doch nun ist es anders. Trainer Luca Cereda und sein gleichaltriger Sportchef Paolo Duca blieben unbestritten. Trotz hohem sportlichem Wellengang segelt Ambri mit einer sanften Brise durch den Hockey-Herbst – und hat sich inzwischen mit drei Siegen (in Genf, Kloten und gegen Lausanne) in den vier letzten Spielen auf Platz 8 vorgearbeitet. Ambri rockt im Kampf um den letzten Playoff-Platz. Wie ist das möglich?
Im letzten Frühjahr hat Präsident Filippo Lombardi nach der schmählichen Verbannung in die Liga-Qualifikation gegen NLB-Meister Langenthal dem Wahn abgeschworen, besser zu sein als Lugano. Ambri hat zu seinen Wurzeln, zu seiner Identität zurückgefunden und das Vereinsschiff Männern des Vertrauens aus dem eigenen Tal übergeben.
Luca Cereda und Paolo Duca. Männer, die in der eigenen Juniorenbewegung gross geworden sind. Die das Eishockey und Ambri kennen. Und Präsident Filippo Lombardi, der charismatische Selbstdarsteller, hält sich erstmals vornehm zurück und heizt die Stimmung nicht mit unüberlegten Statements an.
Ambri hat wieder eine eigene Identität entwickelt. Und die knappen Mittel sinnvoll investiert. Nicht in teure Schweizer Spieler. Die eigenen Nachwuchsspieler bekommen eine Chance und werden von vier Ausländern unterstützt. Luca Cereda, der Trainer des Farmteams, ist nun Cheftrainer in Ambri. Er kennt die jungen Spieler.
Diese klug ausgearbeitete Strategie der Rückkehr zu den eigenen Werten hat der grosse Hockeyphilosoph Roland von Mentlen – er lebt in der Leventina – vor gut einem Jahr mitentwickelt. Er war, welch eine Ironie des Schicksals, einst als Sportchef der Architekt der vier Meistertitel des EHC Kloten (1993, 1994, 1995, 1996).
Der Saisonstart mit einem Derby-Sieg in Lugano (4:3) war wie die Hochzeitsnacht vor einer langen Ehe. Inzwischen ist der Alltag eingekehrt. Von den acht nächsten Spielen gewann Ambri nur noch eines (gegen Langnau) und das zweite Derby ging verloren. Aber eben: das Krisenspektakel ist ausgeblieben und die Stabilisierung ist wieder gelungen.
Sportchef Paolo Duca sagt: «Die Leute haben unseren neuen Kurs verstanden. Niemand sagt jetzt, so gehe es nicht weiter und man müsse wieder alles ändern.» Das ist ein gutes Zeichen.
Die Botschaft der Vernunft, der Rückkehr zu den Ursprüngen ist angekommen. Und das hat viel mit Trainer Luca Cereda und Sportchef Paolo Duca zu tun. Sie vertreten die neue Philosophie glaubwürdiger als jeder Präsident oder Verwaltungsrat. Weil sie diese neue Philosophie im Hockey-Alltag vorleben. Das neue Ambri personifizieren. Weil sie sich nicht durch Vetternwirtschaft vereinnahmen lassen, sondern das Leistungsprinzip für alle durchsetzen. Wenn die Anhänger Ambris ehrlichen Männern wie Luca Cereda und Paolo Duca nicht mehr vertrauen – wem dann noch?
Wie lange dieses Verständnis anhält, wie viele Niederlagen die neue Kultur erträgt – niemand weiss es. Aber die Einsicht, dass dieser neue Weg der einzige ist, der noch bleibt, setzt sich ganz offensichtlich durch.
Nach seinem fünfjährigen Gastspiel in Zug (bis 2007) hat Paolo Duca die letzten zehn Jahre in Ambri als charismatischer Captain geprägt, ehe er im letzten Sommer direkt von der Kabine ins Büro des Sportchefs wechselte. Er ist jetzt nicht mehr Captain der Mannschaft. Er ist der Kapitän des Vereinsschiffes, der den sportlichen Kurs steuert. Die ersten 100 Tage im Amt, die jedem erst einmal kritiklos zugestanden werden, sind nun vorüber und die erste Bilanz ist eine positive.
Duca hat die heikle Torhüterfrage klug gelöst: Benjamin Conz ersetzt Sandro Zurkirchen. Und er hat auch bereits seine Rolex auf dem Transferwühltisch gefunden. Flügelstürmer Dominic Zwerger (21). Mit 12 Punkten aus 14 Partien Ambris bester Spieler mit Schweizer Lizenz.
Duca hat den ehemaligen HCD-Nachwuchsspieler mit österreichischem Pass und Schweizer Lizenz direkt aus dem kanadischen Juniorenhockey geholt. Die Konkurrenz hat ihn übersehen.
«Nein, so ist es nicht» sagt Ambris Sportchef. «Andere kannten und wollten ihn auch. Er hat sich aus sportlichen Gründen für uns entschieden. Wir haben ihm keine Position in der Mannschaft fest zugesagt oder Eiszeit versprochen. Aber wir haben ihm die sportlichen Perspektiven bei uns aufgezeigt und die haben ihn überzeugt. Er kann sich bei uns weiterentwickeln. Wir sind ein Ausbildungsclub. Das ist unsere Chance, wenn wir einen Spieler zu uns holen wollen.»
Paolo Duca und sein Trainer haben bisher alles richtig gemacht. Sie zeigen einen gangbaren Weg der Vernunft, des Sparens mit Verstand auf. Ambri hat sich nach langen Jahren der Ausbeutung durch nordamerikanische Hockey-Imperialisten – am schlimmsten war letzte Saison der italienisch-kanadische Operettensportchef Ivano Zanatta – die Freiheit im Denken und Handeln zurückerkämpft.
Wenn es gelingt, bis Ende Saison nicht von diesem neuen Kurs abzuweichen und den Ligaerhalt zu schaffen, dann ist es nicht nur ein Erfolg für Ambri. Dann ist es auch grosser Sieg für unser Eishockey.