Der geneigte Leser mag murren, er könne das Wort «Bandengeneral» nicht mehr hören.
Deshalb ganz kurz ein Erklärstück. Wer nur am Hockey interessiert ist, möge also den nächsten Abschnitt einfach überspringen.
Also: «General» geht zurück auf das lateinische «Generalis» (= allgemein). Daraus entwickelte sich im Mittelalter der Begriff «Generalabt». Gemeint war damit das Oberhaupt einer Ordensgemeinschaft, also ein Kloster-Manager der «generell» über allen Spezialisten und spezialisierten Gruppen in seinem Kloster stand. Die Kloster waren damals komplexe Unternehmen, die auch Bier brauten, Wein kellerten und Vieh züchteten. Schliesslich wurde das Wort für den Chef des Klosters im Hochmittelalter vom Militär übernommen und im deutschen Sprachraum auf «General» verkürzt.
Ein «Bandengeneral» ist also der Manager des sportlichen Personals einer Hockeyfirma. Er steht über den Spezialisten (den Assistenten, Torhütern, Verteidigern und Stürmern) und den spezialisierten Gruppen (Verteidigung, Sturm). Deshalb die Bezeichnung «Bandengeneral.»
SC Bern gegen die SCL Tigers war eines dieser Spiele, die komprimiert auf einen Abend eine ganze Saison, eine ganze Mannschaft, ein ganzes Hockeyunternehmen und die Bedeutung eines «Bandengenerals» erklären.
Die SCL Tigers haben seit ihrem Wiederaufstieg von 2015 schon wieder viele grosse Siege gefeiert. Auch gegen den SCB. Ein Triumph in Bern ist also noch kein Grund, die Hockey-Geschichte im Gotthelfland umzuschreiben. Allein diese Saison haben die Langnauer den Kantonsrivalen nun schon zum dritten Mal gebodigt.
Es geht um etwas ganz anderes. Um eine neue Qualität der Langnauer, die sie so ausgeprägt in diesem Jahrhundert noch nie hatten: Unbeugsamkeit. Abzulesen an diesem einen Spiel am Freitagabend im Stadtberner Hockeytempel.
Harri Pesonen (ihn thematisieren wir später noch einmal) bringt die SCL Tigers 1:0 in Führung (11. Min.). Alles läuft für seine Langnauer. Sie haben Möglichkeiten für zwei oder drei weitere Tore.
Dann bricht alles zusammen wie eine Handy-Verbindung im Tal des Krauchtalbachs zwischen Bern und Burgdorf. In nur 2 Minuten und 16 Sekunden macht der Tabellenführer aus dem 0:1 ein 2:1.
Nach so einem Schock noch einmal aufstehen? In Bern? Gegen die bestorganisierte Mannschaft der Liga? Die unheimliche, perfekte Siegesmaschine nimmt wieder Fahrt auf. Sie kann nicht mehr gestoppt werden. Geht nicht.
Geht doch. Harri Pesonen gleicht aus (49.) und in der Verlängerung fädelt er den Siegestreffer für seinen Landsmann Eero Elo ein (64.).
Nach dem Spiel spricht Heinz Ehlers von der Moral und der Charakterstärke seiner Mannschaft.
Nun ist es heute Mode, dass Spieler und Trainer nach jedem Pflichtsieg von Charakter und Moral fabulieren.
Aber erstens ist ein Lob von Heinz Ehlers, von «General Grantig» so selten wie Wolfssichtungen unter den Lindenbäumen im Rosengarten. Zweitens haben wir es in diesem Fall tatsächlich mit ausserordentlicher Moral und Charakterstärke zu tun.
Wir haben in diesem Spiel mit der Wende vom 1:2 zum 3:2 das «kleine Bild» gesehen. Es gibt aber ein noch viel eindrücklicheres, grosses Bild, das die Unbeugsamkeit dieser Mannschaft dokumentiert.
Keine Polemik. Nur staubtrockene Statistik.
Samstag, 26. Januar: Langnau verliert daheim gegen Servette 0:3. Damiano Ciaccio wehrt bloss 87,50 Prozent der Schüsse ab. Harri Pesonen bleibt, logisch bei diesem Resultat, ohne Punkte.
Sonntag, 27. Januar: Langnau verliert in Davos kläglich 1:5. Damiano Ciaccio schrumpft zum «Lottergoalie» mit 80,00 Prozent Fangquote. Wieder bleibt Harri Pesonen ohne Skorerpunkte. So gerät die Playoff-Qualifikation in Gefahr! Das Wort Krise macht die Runde.
Dienstag, 29. Januar. Langnau besiegt auswärts Lugano 4:2. Damiano Ciaccio wehrt 90,32 Prozent der Schüsse ab und demonstriert Unbeugsamkeit. Harri Pesonen bleibt zwar erneut punktelos. Aber seine Mitspieler treffen.
Freitag, 1. Februar. Langnau bodigt Leader SC Bern auswärts 3:2 in der Verlängerung. Damiano Ciaccio ist mit 93,75 Prozent ein Titan und besser als Leonardo Geononi (90,91 Prozent). Harri Pesonen, der zuvor drei Partien hintereinander punktelos geblieben war, lässt sich zwei Tore und ein Assist gutschreiben.
Der Finne hat nun in den fünf Direktbegegnungen dieser Saison gegen Leonardo Genoni fünf Treffer erzielt. «So? Habe ich das? Er ist ein sehr guter Torhüter und nur mit einem perfekten Schuss zu überwinden.» Und meint spasseshalber, vielleicht sei es ja so, dass er sich deshalb ganz besonders konzentriert habe.
Den Exploit hatte er ganz und gar nicht erwartet. «Ich wusste am Mittag noch nicht, ob ich überhaupt würde spielen können. Ich war krank und erst nachdem ich am Nachmittag drei Stunden geschlafen hatte, fühlte ich mich fit genug, um zu spielen.» Wahrlich ein Unbeugsamer.
Aber auch die Unbeugsamen brauchen einen General. Einen Chef, der über den Augenblick hinauszudenken vermag.
In der Verlängerung, wenn nur noch drei gegen drei Feldspieler antreten, bringt ein taktischer Schachzug von Bandengeneral Heinz Ehlers den Sieg.
Auf den ersten Blick denkt der Chronist: was ist jetzt los? Chris DiDomenico und Harri Pesonen bildeten in dieser Partie eine unheimliche Flügelzange und dominierten das Spiel zeitweise nach Belieben. Der Kanadier mit seiner Hartnäckigkeit, Energie und Intelligenz (er ist jetzt mit 29 Punkten auch statistisch der beste Spielmacher der Liga) und der Finne mit Explosivität und Zug aufs Tor.
Die zwei mahnten ein wenig – aber wirklich nur ein wenig, wir wollen ja nicht übertreiben – an das Duo Wayne Gretzky und Jari Kurri während der 1980er Jahre in Edmonton.
Also wäre es doch logisch gewesen, nun bei drei gegen drei in der Verlängerung Chris DiDomenico und Harri Pesonen gemeinsam auf den Gegner loszulassen.
Aber Heinz Ehlers schickt Harri Pesonen mit Eero Elo aufs Eis. Was soll das?
Es ist ein genialer Schachzug. Heinz Ehlers, der grantige Bandengeneral, wusste, warum er seine «Truppe» neu aufstellte. «DiDomenico und Pesonen entwickeln sehr viel Zug nach vorne und das ist bei nur drei Feldspielern gefährlich.» Deshalb habe er mit Elo einen Stürmer mit defensivem Gewissen neben Pesonen gestellt.
Es war ja tatsächlich so: Eero Elo erzielte seinen Siegestreffer nicht vorne in der Sturmspitze. Er hatte sich «in die Tiefe des Raumes» fast bis zur blauen Linie zurückgezogen und erwischte Leonardo Genoni mit einem Schlenzer.
Wenn bei den SCL Tigers der Torhüter und die Ausländer «funktionieren», dann ist der Himmel die Limite. Heinz Ehlers, der gestrenge «General Grantig» sorgt schon dafür, dass die übrigen Spieler fleissig sind.
Und wenn die Unbeugsamen sich doch beugen und die Playoffs am Ende nicht erreichen? Kein Problem. Dann erzählt der Chronist keine neue Geschichte. Dann wird er gegen den «Bandengeneral», gegen Damiano Ciaccio, Chris DiDomenico und Harri Pesonen polemisieren (= mit den Mitteln der Übertreibung, der Ironie und des Sarkasmus kritisieren).