Wirklich überraschend kommt die Nachricht nicht: Gareth Southgate erklärte zwei Tage nach dem verlorenen EM-Final gegen Spanien seinen Rücktritt als Nationaltrainer Englands. Schon vor dem Endspiel in Berlin wurde spekuliert, dass Southgate selbst im Siegesfall abtreten könne, er selbst sprach von einem Zyklus, der sich seinem Ende nähere. Acht Jahre sind eine sehr lange Zeit für einen Trainer – auch bei einem Nationalteam.
2016 stieg U21-Nationaltrainer Southgate zum Coach der Three Lions auf. Zuvor war England an der EM enttäuschend im Achtelfinal gegen Island ausgeschieden. Southgate nahm den Scherbenhaufen zusammen und formte aus hervorragenden Einzelspielern ein Team, das grossen Erfolg hatte. An seiner ersten WM führte Southgate England erstmals seit 1990 in den Halbfinal, bei der EM 2021 erreichte sein Team zum ersten Mal den Final, den es aber im Penaltyschiessen verlor.
Trotzdem musste sich Southgate aufgrund seines unattraktiven, risikoarmen und auf die Defensive fokussierten Spielstils viel Kritik – auch unter der Gürtellinie – gefallen lassen. Er hole nicht genug aus dem grandiosen Kader heraus, lautete einer der häufigsten Vorwürfe. Southgate schaffte es mit England nämlich nie, den letzten Hang zu erklimmen und den ersten grossen Titel seit der WM 1966 zu gewinnen.
Deshalb macht er jetzt einem anderen Platz, dem dies gelingen soll. Das sind die Kandidaten für die Nachfolge des 53-Jährigen.
Schon am Montagabend wurde von einer kurzen Liste an möglichen Trainern des englischen Fussballverbands (FA) berichtet, die Southgate im Falle eines Rücktritts beerben könnten. Fünf Namen standen darauf:
Er scheint eine logische Lösung zu sein. Zwar lässt Thomas Tuchel keinen zügellosen Offensivfussball spielen, wie ihn die Spanier an der EM teilweise gezeigt haben, doch verfolgt Tuchel mit seinem Pressing und schnellem Umschaltspiel einen modernen Ansatz. Bei Chelsea hat er mit dem Triumph in der Champions League ausserdem gezeigt, dass er in wichtigen Spielen alles aus seinem Team holen kann.
Der 50-jährige Deutsche gilt trotz seines gescheiterten Engagements bei Bayern München als einer der taktisch besten Trainer der Gegenwart und könnte mit seinem Fussball gut zu England passen. Ausserdem bestehe von seiner Seite gemäss der Sun grosses Interesse an dem Job, schon 2022 solle er sich England demnach angeboten haben.
Auch er ist seit Ende Saison ohne Klub. Nach nur einer Saison entschied Chelsea, sich vom 52-jährigen Argentinier zu trennen, was unter anderem bei Jürgen Klopp für Unverständnis sorgte. Mauricio Pochettino ist ein Trainer, der zu seinen Spielern eigentlich immer ein gutes Verhältnis pflegt und so auch für gute Stimmung in der Kabine sorgen kann. Das kann während einer Europa- oder Weltmeisterschaft entscheidend sein.
Pochettino setzt ebenfalls auf hohes Pressing und eine hohe Intensität. Sollte er der neue Trainer Englands werden, könnten sich die Fans zumindest auf attraktiven Fussball freuen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Pochettino der richtige Trainer ist, um ein Team über die letzte Hürde zu bringen. Ausserhalb Frankreichs, wo er PSG trainierte, gewann er noch keinen Titel.
Und noch ein Chelsea-Trainer: Graham Potter solle ebenfalls auf der Kandidatenliste der FA stehen. Der 49-Jährige ist seit April 2023 ohne Job, stünde also ebenfalls sofort bereit. Obwohl er bei Chelsea scheiterte, leistete er davor bei Brighton sehr gute Arbeit und begeisterte mit seinem variablen System. Aufgrund seines offensiven Ansatzes wäre eine Verpflichtung von Potter ein klarer Schnitt für England.
Jedoch fehlt dem Engländer die Erfahrung auf höchstem Niveau und in Drucksituationen, wie sie ihn als Coach der Three Lions spätestens zur WM 2026 erwarten würde. Dennoch gilt er gemäss der Buchmacher knapp vor Pochettino als Favorit.
Der aktuelle Newcastle-Trainer ist der einzige Kandidat, der nicht einfach so zu haben wäre. Der englische Fussballverband müsste Eddie Howe vom Saudi-Klub loseisen, was angesichts seines angeblich bis 2027 gültigen Vertrags teuer werden könnte. Dem 46-Jährigen gefalle es sehr gut bei den Magpies, doch würde er sich gut überlegen, den Job als Nationaltrainer abzulehnen.
Ähnlich wie Southgate setzt auch Howe einen Fokus auf defensive Stabilität, doch lässt er deutlich schneller umschalten und gesteht den einzelnen Spielern mehr Freiheiten zu. Dieser Ansatz könnte auf Länderspiel-Ebene ebenfalls erfolgversprechend sein.
Bevor Gareth Southgate vor acht Jahren die A-Nationalmannschaft übernahm, trainierte er die U21 während drei Jahren erfolgreich. Seit nun ebenfalls drei Jahren steht Lee Carsley bei den englischen Junioren an der Seitenlinie. Im Juli 2023 schaffte er, was Southgate bisher immer misslang. Er führte die U21 zum EM-Titel – mit einem 1:0 gegen Spanien.
Der 50-Jährige wäre also die naheliegendste Lösung. Auch weil er unter anderem Marc Guéhi, Cole Palmer und Anthony Gordon von dort schon kennt. Spaniens Europameister-Trainer Luis de la Fuente war zuvor ebenfalls bei der U21-Nationalmannschaft tätig. Aber traut sich die FA, erneut einen eher unbekannten Namen zu verpflichten, um die ungeheuer grosse Herausforderung zu bewältigen?
Es gilt eigentlich als ausgeschlossen, dass Jürgen Klopp in diesem Sommer einen neuen Trainerposten übernimmt. Zu oft hat er bekräftigt, eine Pause zu brauchen. Trotzdem wird sein Name immer wieder für offene Stellen ins Spiel gebracht. Zuletzt übernahm er als erster Ehrenpräsident der Wohltätigkeitsstiftung des FC Liverpool wieder eine Aufgabe, doch erhoffen sich die Engländer viel mehr.
Viele wollen tatsächlich einen Deutschen an der Spitze der Three Lions sehen. «Würdet ihr nicht alles für Jürgen Klopp geben?», fragte Ex-Nationalspieler Gary Lineker in einer Gesprächsrunde. Dieser sei ja aktuell ohne Job und «wird sich schon ein bisschen ausgeruht haben». Klopp wäre wie Tuchel oder Pochettino der erste ausländische Nationaltrainer seit Fabio Capello (2008 bis 2012) und erst der dritte überhaupt. Zwischen 2000 und 2006 war Sven-Göran Eriksson verantwortlich.
Klopps Fähigkeiten stehen ausser Frage. Der Menschenfänger prägte beim FC Liverpool eine erfolgreiche Ära und brachte die schwierige Aufgabe fertig, sich als Deutscher in England zur Legende zu machen. Mit dem 57-Jährigen würde sich die FA einen echten Fan-Liebling, der sehr intensiven und aufregenden Fussball spielen lässt, ins Boot holen. Zweifel herrschen lediglich daran, ob Klopp auch ohne die tägliche Nähe zu seinem Team erfolgreich arbeiten kann.
In taktischer Hinsicht macht Pep Guardiola keiner was vor. Sechs der letzten sieben Meisterschaften in der Premier League gewann der Katalane mit Manchester City. Beim Triple-Gewinn in der Saison 2022/23 gewann Guardiola zum dritten Mal als Trainer die Champions League – der 53-Jährige hat im Klubfussball also alles erreicht und nach Barcelona auch mit den Skyblues alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.
Aktuell herrscht Unsicherheit, wie lange Guardiola noch an der Seitenlinie von Manchester City stehen wird. Sein Vertrag läuft im nächsten Sommer aus, gerüchteweise will er den Klub dann verlassen. Am Ende der letzten Saison gab Guardiola zu, «müde» zu sein, was ebenfalls dafür sprechen würde, vorerst nicht mehr auf Klubebene tätig zu sein. Könnte seine nächste Herausforderung also die Führung eines Nationalteams sein? Spekuliert wird darüber schon länger.
Sollte sich Guardiola tatsächlich dazu entscheiden, scheint England die logische Wahl zu sein. Bei Spanien sitzt de la Fuente fest im Sattel und in England ist der ManCity-Coach nun seit acht Jahren heimisch. Jedoch müsste England dann einen Interimstrainer finden, der England in der Nations League sowie zu Beginn der WM-Qualifikation betreut. Ausserdem könnte das Gehalt des zweifachen Welttrainers ein Problem darstellen.
Der englische Fussballverband hat also eine schwierige Aufgabe vor sich. Aus vielen guten Kandidaten muss der beste gefunden werden, der auch bereit ist, sich dem Druck zu stellen, den der Job als Trainer der Three Lions mitbringt. Die Suche läuft bereits, wie die FA gegenüber Sky bestätigte. Wann eine Entscheidung zu erwarten ist, ist noch nicht bekannt – das nächste Spiel steht für England am 7. September in der Nations League gegen Irland an.