Sport
Fussball

Viele Nati-Stars haben Wurzeln im Ausland, das war nicht immer so

Switzerland's Smilla Vallotto in action during a training session of the Swiss women's national soccer team in Thun, Switzerland, Thursday, July 17, 2025. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Aufgewachsen in Norwegen, der Vater ein Schweiz-Italiener: Smilla Vallotto steht sinnbildlich für die Nati.Bild: keystone

Die Hälfte der Nati hat Wurzeln im Ausland: «Weiss nicht, was an mir schweizerisch ist»

Ob Kosovo, Italien, Norwegen oder Senegal: Die Spielerinnen im Schweizer Nationalteam vereinen verschiedenste Kulturen. Das war – im Gegensatz zu den Männern – lange Zeit anders.
18.07.2025, 16:5818.07.2025, 16:58
Raphael Gutzwiller / ch media
Mehr «Sport»

Smilla Vallotto lächelt. «Das ist eine echt harte Frage!» Was an ihr ist norwegisch, was italienisch und was schweizerisch? «An mir ist italienisch, dass ich Temperament habe. Vielleicht sehen Sie das nicht, da ich so ruhig wirke. Aber meine Familie sieht das an mir, wenn ich auf dem Feld emotional werde und gestikuliere. Norwegisch an mir ist, dass ich sehr gechillt bin als Person. Und schweizerisch? Ich weiss gar nicht.» Dann blickt sie zu ihrer Teamkollegin Nadine Riesen, die neben ihr auf dem Podium bei der Medienkonferenz sitzt. «Sag du, was an mir ist schweizerisch?» Riesen antwortet: «Du lachst sehr viel. Das ist schweizerisch!»

Switzerland's Nadine Riesen, right, speaks beside Switzerland's Smilla Vallotto, left, during a press conference of the Swiss women's national soccer team in Thun, Switzerland, Tuesday, ...
Nadine Riesen musste für Vallotto in die Bresche springen.Bild: keystone

Smilla Vallotto mit ihrer norwegischen Mutter und ihrem schweizerisch-italienischen Vater steht sinnbildlich für die vielen Kulturen, die im Schweizer Nationalteam vertreten sind. 13 von unseren 23 Nationalspielerinnen haben Wurzeln in anderen Ländern als der Schweiz. Einige, wie Vallotto, Coumba Sow oder Meriame Terchoun vereinigen sogar mehr als zwei Nationen in sich.

56,5 Prozent der Spielerinnen im EM-Kader haben auch noch eine andere Nationalität als die Schweizerische. Damit repräsentiert das Nationalteam das Land passend. Laut Bundesamt für Statistik haben in der Schweiz 40 Prozent der Menschen über 15 Jahren einen Migrationshintergrund – Tendenz steigend.

Drei Nati-Stars sind im Ausland aufgewachsen

Gleich drei Spielerinnen in der Schweizer Nati sind den Grossteil ihrer Kindheit nicht in der Schweiz aufgewachsen. Smilla Vallotto wurde 2004 in Genf als Tochter einer Norwegerin und eines Schweiz-Italieners geboren, mit vier zügelte die Familie nach Norwegen, wo sie aufwuchs und das Fussballspielen lernte. Laia Ballesté wurde in Spanien geboren, ihre aus Neuenburg stammende Mutter wanderte bereits als Kind mit der Familie aus. Und die Thurgauerin Noelle Maritz besitzt auch den US-Pass, weil sie mit ihren Eltern die ersten zehn Jahre ihres Lebens in Kalifornien wohnte.

Bild
Bild: ch media

Die Mehrheit der Nati-Spielerinnen mit Migrationshintergrund sind aber in der Schweiz aufgewachsen, viele verfügen einen Elternteil aus der Schweiz und einen aus einem anderen Land. Andere wie Riola Xhemaili (Kosovo), Ana-Maria Crnogorcevic und Noemi Ivelj (beide Kroatien) sind in der Schweiz geboren, die Eltern sind jeweils während der Kriegsjahre im ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz eingewandert.

Vor 10 Jahren hiessen die Spielerinnen noch Betschart, Moser und Oehrli

Bereits seit vielen Jahren prägen Namen wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Breel Embolo das Schweizer Nationalteam der Männer. Bei den Frauen sind die Namen Xhemaili, Ivelj oder Pilgrim eine neuere Entwicklung. Noch vor zehn Jahren waren Doppelbürgerinnen im Vergleich zur Bevölkerung untervertreten im Schweizer Frauen-Nationalteam. Bei der erstmaligen WM-Teilnahme 2015 in Kanada trugen die Stars schweizerische Namen: Dickenmann, Bachmann, Wälti, Humm, Betschart, Moser oder Oehrli. Nur gerade sechs der 23 Spielerinnen des Teams verfügten noch über andere Wurzeln als jene der Schweiz.

Neben den aktuellen EM-Spielerinnen Ana-Maria Crnogorcevic und Noelle Maritz waren das die damalige Torhüterin Gaëlle Thalmann (Italien), Eseosa Aigbogun (Nigeria), die in diesem Jahr den Sprung in das EM-Kader verpasst hat, sowie die heutige TV-Expertin Rachel Rinast (Deutschland) und die 2019 unter tragischen Umständen verstorbene Florijana Ismaili (Albanien).

2025-07-10 Finland v Switzerland - UEFA Women s EURO 2025 Group A GENEVA, SWITZERLAND - JULY 10: Ana-Maria Crnogorcevic of Switzerland looks on during the UEFA Women s EURO 2025 Group A match between  ...
Ana-Maria Crnogorcevic war eine der ersten Nati-Stars mit Wurzeln im Ausland.Bild: www.imago-images.de

Die höhere Hemmschwelle

Nur Zufall war diese Zahl nicht. Damals ordnete Franziska Schild, die damalige Chefin des Ressorts Mädchen- und Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband, gegenüber CH Media ein: «Die familiäre Hemmschwelle, in den Frauenfussball einzusteigen, ist für Mädchen aus anderen Kulturen sicher höher.»

Und tatsächlich gibt es diese Geschichten auch bei einigen Nationalspielerinnen. Ana-Maria Crnogorcevic, die mit kroatischen Eltern aufgewachsen ist, musste zunächst die Fussballschuhe von ihrem Vater verstecken. «Du darfst sicher nicht Fussball spielen», hatte er ihr gesagt. «Ich stürmte bei meiner Mutter so lange, bis sie mich anmeldete – heimlich. In den ersten drei Wochen konnten wir es vor meinem Vater verstecken, dann hat er es gemerkt. Er war nicht erfreut, der Ärger hat sich aber schnell gelegt», erzählt sie in einem Interview.

Ähnlich äussert sich Eseosa Aigbogun, die den Sprung ins EM-Kader knapp verpasste. Die 99-fache Nationalspielerin mit nigerianischen Wurzeln erzählte in der EM-Vorbereitung: «Mein Vater sagte mir, dass ich nicht Fussballspielen soll. Ich soll lieber Tennisspielen, weil ich ein Mädchen bin. Meine Mutter hat mich dann heimlich ins Fussball genommen. Als er dann sah, dass ich gut bin, hat er es akzeptiert.»

Swiss Eseosa Aigbogun concentrates on the ball during the women
Damit sie Fussballspielen durfte, musste sich Eseosa Aigbogun gegen ihren Vater durchsetzen.Bild: keystone

Dass solche Bedenken der Eltern aber nicht nur wegen anderer Herkunft vorkommen, zeigt die Geschichte von Alayah Pilgrim. Bei ihr war es nicht der aus Marokko stammende Vater, sondern die Schweizer Mutter, die sie zunächst nicht ins Fussballtraining lassen wollte. Pilgrim begann als Sechsjährige heimlich im Bubenteam beim FC Muri, der Trainer musste die Mutter schliesslich vom Fussball für Mädchen überzeugen.

Riola Xhemaili erhält Hassnachrichten aus der Schweiz und der Heimat

Obwohl die Schweizer Fussballerinnen das Land perfekt repräsentieren, erleben jene Spielerinnen mit ausländischen klingenden Namen auch rassistische Vorurteile. Riola Xhemaili, die mit ihrem späten Tor in der 92. Minuten gegen Finnland dafür sorgte, dass die Schweiz in den EM-Viertelfinal einzog, ist da das beste Beispiel. In den sozialen Medien erhält sie beleidigende Nachrichten, weil ihr Name nicht schweizerisch genug ist. Aus dem Geburtsland ihrer Eltern wird sie beleidigt, weil sie für die Schweiz statt für den Kosovo aufläuft.

Geneva, Switzerland, July 10th 2025: Riola Xhemaili 7 Switzerland after the UEFA Womens EURO 2025 Group A match between Finland and Switzerland at Stade de Geneve in Geneva, Switzerland. Pedro Porru / ...
Riola Xhemaila erhielt Hassnachrichten von beiden Seiten.Bild: www.imago-images.de

2024 macht sie einen Teil der Hassnachrichten auf Instagram öffentlich und sagt dazu: «Meine Wurzeln kommen aus dem Kosovo. Das wird sich nie ändern. Ich spiele für die Schweiz, weil ich dankbar bin, in so einem tollen Land aufgewachsen zu sein.» Nach ihrem so wichtigen Treffer gegen Finnland sagt sie, dass sie auch positive Nachrichten aus Albanien und Kosovo erhalten habe. Ihr spätes Tor und der damit verbundene riesige Jubel in der Schweiz sind viral gegangen. «Es ist schön, nicht nur die Schweiz sondern sogar drei Länder Stolz zu machen.»

Das Willens-Nationalteam Schweiz

Wer mit den Schweizer Nationalspielerinnen spricht, der spürt ihren Stolz das rote Nati-Trikot zu tragen. Dennoch vereinen viele Spielerinnen mehrere Kulturen in sich. Noemi Ivelj erzählt: «Ich bin pünktlich und organisiert – das ist schweizerisch. Mein Temperament sowie meine Direktheit und Ehrlichkeit sind kroatisch.» Und Shootingstar Leila Wandeler erklärt mit einem Lachen: «Das Tänzerische ist sicherlich das Senegalesische an mir. Zudem bin ich nicht so pünktlich oder organisiert. Aber ein bisschen Freiburger Blut, habe ich dann schon. Schliesslich bin ich hier aufgewachsen.»

Die Schweizer Nati im Jahr 2025 ist eine multikulturelle. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Spielerinnen unter einander viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Vallotto sprach mit der in der EM-Vorbereitung aussortierten Naina Inauen Norwegisch und mit Nationaltrainerin Pia Sundhage Schwedisch. Laia Ballesté und Viola Calligaris kommunizieren auf Spanisch miteinander. Noemi Ivelj und Ana-Maria Crnogorcevic reden Kroatisch. Dazukommen in etlichen Kombinationen Englisch, Deutsch und Französisch vor. Die Sprachenvielfalt in der Schweizer Nati ist gross.

Schliessen wir den Kreis zur 21-jährigen Smilla Vallotto. Sie wäre gut genug, auch für Norwegen oder Italien zu spielen. Dann hätte sie am Mittwochabend das erste EM-Viertelfinal in Genf bestritten. Doch die Ursprünge für den heutigen Höhenflug der Mittelfeldspielerin gehen zurück auf die Juniorinnenzeit. Als sie 15 Jahre alt ist, bemüht sich der norwegische Verband zu wenig um das Talent. Sie meldet sich selber beim Schweizerischen Fussballverband und sagt, dass sie lieber für die Schweiz spielen möchte. Vallotto ist also Schweizer Nati-Spielerin, weil sie das will. Irgendwie passend für die Willensnation Schweiz. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die besten Bilder der Fussball-EM 2025 in der Schweiz
1 / 77
Die besten Bilder der Fussball-EM 2025 in der Schweiz

Kathrin Hendrich zieht an den Haaren ihrer Gegnerin...

quelle: keystone / georgios kefalas
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Ski Aggu spricht bei Konzert auf dem Gurten Berndeutsch – oder versucht es zumindest
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
62 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Inosuke
18.07.2025 18:05registriert Februar 2021
Ich finde es etwas schade, dass man alles was etwas stier und bünzlig an einem selbst ist, als schweizerisch bezeichnet und lebensfreudige, offene Eigenschaften als ausländisch. Für mich ist das total falsch und viel mehr Charakter abhängig.
20145
Melden
Zum Kommentar
avatar
felixJongleur
18.07.2025 18:00registriert Dezember 2014
Ich freue mich über eine Zeit ohne solche Artikel weil es einfach normal ist. Für mich ist es das ehrlich gesagt schon.
15739
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gulasch
18.07.2025 18:51registriert März 2014
In eimem Land mit einem Ausländeranteil von 30% , ist doch nur normal, dass die Nati multi-kulti ist !
Ich finds super, ich mag die Schweiz in allen Facetten und Farben !
13142
Melden
Zum Kommentar
62
Inklusive Gesangseinlage von Sundhage: Nati-Stars sind nochmals herzlich gefeiert worden
Nach dem 0:2 gegen Spanien im Viertelfinal an der Heim-EM liessen sich die Schweizerinnen auf dem trotz Regen gut gefüllten Bundesplatz in Bern nochmals ausgiebig von den Fans feiern. Damit wollten sie sich für die tolle Unterstützung bedanken.
Zur Story