Smilla Vallotto lächelt. «Das ist eine echt harte Frage!» Was an ihr ist norwegisch, was italienisch und was schweizerisch? «An mir ist italienisch, dass ich Temperament habe. Vielleicht sehen Sie das nicht, da ich so ruhig wirke. Aber meine Familie sieht das an mir, wenn ich auf dem Feld emotional werde und gestikuliere. Norwegisch an mir ist, dass ich sehr gechillt bin als Person. Und schweizerisch? Ich weiss gar nicht.» Dann blickt sie zu ihrer Teamkollegin Nadine Riesen, die neben ihr auf dem Podium bei der Medienkonferenz sitzt. «Sag du, was an mir ist schweizerisch?» Riesen antwortet: «Du lachst sehr viel. Das ist schweizerisch!»
Smilla Vallotto mit ihrer norwegischen Mutter und ihrem schweizerisch-italienischen Vater steht sinnbildlich für die vielen Kulturen, die im Schweizer Nationalteam vertreten sind. 13 von unseren 23 Nationalspielerinnen haben Wurzeln in anderen Ländern als der Schweiz. Einige, wie Vallotto, Coumba Sow oder Meriame Terchoun vereinigen sogar mehr als zwei Nationen in sich.
56,5 Prozent der Spielerinnen im EM-Kader haben auch noch eine andere Nationalität als die Schweizerische. Damit repräsentiert das Nationalteam das Land passend. Laut Bundesamt für Statistik haben in der Schweiz 40 Prozent der Menschen über 15 Jahren einen Migrationshintergrund – Tendenz steigend.
Gleich drei Spielerinnen in der Schweizer Nati sind den Grossteil ihrer Kindheit nicht in der Schweiz aufgewachsen. Smilla Vallotto wurde 2004 in Genf als Tochter einer Norwegerin und eines Schweiz-Italieners geboren, mit vier zügelte die Familie nach Norwegen, wo sie aufwuchs und das Fussballspielen lernte. Laia Ballesté wurde in Spanien geboren, ihre aus Neuenburg stammende Mutter wanderte bereits als Kind mit der Familie aus. Und die Thurgauerin Noelle Maritz besitzt auch den US-Pass, weil sie mit ihren Eltern die ersten zehn Jahre ihres Lebens in Kalifornien wohnte.
Die Mehrheit der Nati-Spielerinnen mit Migrationshintergrund sind aber in der Schweiz aufgewachsen, viele verfügen einen Elternteil aus der Schweiz und einen aus einem anderen Land. Andere wie Riola Xhemaili (Kosovo), Ana-Maria Crnogorcevic und Noemi Ivelj (beide Kroatien) sind in der Schweiz geboren, die Eltern sind jeweils während der Kriegsjahre im ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz eingewandert.
Bereits seit vielen Jahren prägen Namen wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Breel Embolo das Schweizer Nationalteam der Männer. Bei den Frauen sind die Namen Xhemaili, Ivelj oder Pilgrim eine neuere Entwicklung. Noch vor zehn Jahren waren Doppelbürgerinnen im Vergleich zur Bevölkerung untervertreten im Schweizer Frauen-Nationalteam. Bei der erstmaligen WM-Teilnahme 2015 in Kanada trugen die Stars schweizerische Namen: Dickenmann, Bachmann, Wälti, Humm, Betschart, Moser oder Oehrli. Nur gerade sechs der 23 Spielerinnen des Teams verfügten noch über andere Wurzeln als jene der Schweiz.
Neben den aktuellen EM-Spielerinnen Ana-Maria Crnogorcevic und Noelle Maritz waren das die damalige Torhüterin Gaëlle Thalmann (Italien), Eseosa Aigbogun (Nigeria), die in diesem Jahr den Sprung in das EM-Kader verpasst hat, sowie die heutige TV-Expertin Rachel Rinast (Deutschland) und die 2019 unter tragischen Umständen verstorbene Florijana Ismaili (Albanien).
Nur Zufall war diese Zahl nicht. Damals ordnete Franziska Schild, die damalige Chefin des Ressorts Mädchen- und Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband, gegenüber CH Media ein: «Die familiäre Hemmschwelle, in den Frauenfussball einzusteigen, ist für Mädchen aus anderen Kulturen sicher höher.»
Und tatsächlich gibt es diese Geschichten auch bei einigen Nationalspielerinnen. Ana-Maria Crnogorcevic, die mit kroatischen Eltern aufgewachsen ist, musste zunächst die Fussballschuhe von ihrem Vater verstecken. «Du darfst sicher nicht Fussball spielen», hatte er ihr gesagt. «Ich stürmte bei meiner Mutter so lange, bis sie mich anmeldete – heimlich. In den ersten drei Wochen konnten wir es vor meinem Vater verstecken, dann hat er es gemerkt. Er war nicht erfreut, der Ärger hat sich aber schnell gelegt», erzählt sie in einem Interview.
Ähnlich äussert sich Eseosa Aigbogun, die den Sprung ins EM-Kader knapp verpasste. Die 99-fache Nationalspielerin mit nigerianischen Wurzeln erzählte in der EM-Vorbereitung: «Mein Vater sagte mir, dass ich nicht Fussballspielen soll. Ich soll lieber Tennisspielen, weil ich ein Mädchen bin. Meine Mutter hat mich dann heimlich ins Fussball genommen. Als er dann sah, dass ich gut bin, hat er es akzeptiert.»
Dass solche Bedenken der Eltern aber nicht nur wegen anderer Herkunft vorkommen, zeigt die Geschichte von Alayah Pilgrim. Bei ihr war es nicht der aus Marokko stammende Vater, sondern die Schweizer Mutter, die sie zunächst nicht ins Fussballtraining lassen wollte. Pilgrim begann als Sechsjährige heimlich im Bubenteam beim FC Muri, der Trainer musste die Mutter schliesslich vom Fussball für Mädchen überzeugen.
Obwohl die Schweizer Fussballerinnen das Land perfekt repräsentieren, erleben jene Spielerinnen mit ausländischen klingenden Namen auch rassistische Vorurteile. Riola Xhemaili, die mit ihrem späten Tor in der 92. Minuten gegen Finnland dafür sorgte, dass die Schweiz in den EM-Viertelfinal einzog, ist da das beste Beispiel. In den sozialen Medien erhält sie beleidigende Nachrichten, weil ihr Name nicht schweizerisch genug ist. Aus dem Geburtsland ihrer Eltern wird sie beleidigt, weil sie für die Schweiz statt für den Kosovo aufläuft.
2024 macht sie einen Teil der Hassnachrichten auf Instagram öffentlich und sagt dazu: «Meine Wurzeln kommen aus dem Kosovo. Das wird sich nie ändern. Ich spiele für die Schweiz, weil ich dankbar bin, in so einem tollen Land aufgewachsen zu sein.» Nach ihrem so wichtigen Treffer gegen Finnland sagt sie, dass sie auch positive Nachrichten aus Albanien und Kosovo erhalten habe. Ihr spätes Tor und der damit verbundene riesige Jubel in der Schweiz sind viral gegangen. «Es ist schön, nicht nur die Schweiz sondern sogar drei Länder Stolz zu machen.»
Wer mit den Schweizer Nationalspielerinnen spricht, der spürt ihren Stolz das rote Nati-Trikot zu tragen. Dennoch vereinen viele Spielerinnen mehrere Kulturen in sich. Noemi Ivelj erzählt: «Ich bin pünktlich und organisiert – das ist schweizerisch. Mein Temperament sowie meine Direktheit und Ehrlichkeit sind kroatisch.» Und Shootingstar Leila Wandeler erklärt mit einem Lachen: «Das Tänzerische ist sicherlich das Senegalesische an mir. Zudem bin ich nicht so pünktlich oder organisiert. Aber ein bisschen Freiburger Blut, habe ich dann schon. Schliesslich bin ich hier aufgewachsen.»
Die Schweizer Nati im Jahr 2025 ist eine multikulturelle. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Spielerinnen unter einander viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Vallotto sprach mit der in der EM-Vorbereitung aussortierten Naina Inauen Norwegisch und mit Nationaltrainerin Pia Sundhage Schwedisch. Laia Ballesté und Viola Calligaris kommunizieren auf Spanisch miteinander. Noemi Ivelj und Ana-Maria Crnogorcevic reden Kroatisch. Dazukommen in etlichen Kombinationen Englisch, Deutsch und Französisch vor. Die Sprachenvielfalt in der Schweizer Nati ist gross.
Schliessen wir den Kreis zur 21-jährigen Smilla Vallotto. Sie wäre gut genug, auch für Norwegen oder Italien zu spielen. Dann hätte sie am Mittwochabend das erste EM-Viertelfinal in Genf bestritten. Doch die Ursprünge für den heutigen Höhenflug der Mittelfeldspielerin gehen zurück auf die Juniorinnenzeit. Als sie 15 Jahre alt ist, bemüht sich der norwegische Verband zu wenig um das Talent. Sie meldet sich selber beim Schweizerischen Fussballverband und sagt, dass sie lieber für die Schweiz spielen möchte. Vallotto ist also Schweizer Nati-Spielerin, weil sie das will. Irgendwie passend für die Willensnation Schweiz. (aargauerzeitung.ch)
Ich finds super, ich mag die Schweiz in allen Facetten und Farben !