Den Gesamtweltcup hat er schon gewonnen, Olympiasieger wurde Marco Odermatt ebenfalls bereits in der vergangenen Saison. Doch in diesem Winter der Bestätigung war der 25-Jährige sogar noch erfolgreicher.
Der Nidwaldner wurde in Courchevel Doppel-Weltmeister in Abfahrt und Riesenslalom. Er gewann erneut die grosse Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup. Und er schaffte es, bei 21 seiner 25 Starts im Weltcup auf dem Podest zu stehen. Eine Ausbeute, die fast nicht von dieser Welt ist.
Das sind Zahlen, Errungenschaften und eine Dominanz, die an die besten Jahre von Roger Federer erinnern. Als der «Maestro» Gegner um Gegner aus dem Weg räumte und Grand-Slam-Titel zuhauf sammelte.
Am 23. September 2022 bestritt Federer am Laver Cup in London sein letztes Spiel als Profi, nachdem er bereits in den Jahren davor nur noch selten in der Lage war, anzutreten. Es war ein Abschied auf Raten dieses einst unbezwingbaren Strahlemanns, dem alles zu gelingen schien und der der grosse Stolz jedes Schweizers war, der in den Ferien im Ausland auf ihn angesprochen wurde.
Roger Federer wirkte zugleich nahbar wie unerreichbar. Wo er war, trat er sympathisch auf und fand er den Weg in die Herzen des Publikums. Aber er war zugleich ein Weltsportler, vielleicht der Weltsportler überhaupt in einer Sportart, die rund um den Globus ausgeübt und verfolgt wird. Je länger seine Karriere andauerte, desto weniger war Federer ein Star zum Anfassen.
Marco Odermatts Welt ist überschaubarer. Die Schweiz und Österreich haben den Anspruch, Ski-Nation Nummer 1 zu sein. Ausserhalb dieses kleinen Fleckens Erde steckt der Skirennsport in einer Nische. Neben Odermatts Wesen hilft ihm diese Tatsache dabei, auf dem Boden zu bleiben.
WM-Gold in der Abfahrt feierte er in einer Après-Ski-Beiz, die TV-Besuche am Abend absolvierte er leicht angesäuselt. Ein Gaudi für die Zuschauer, die einmal mehr merkten: Das ist einer wie du und ich. Mit Aussagen zum Klimaschutz setzte sich Odermatt in die Nesseln, doch mehr als ein Stürmchen im Wasserglas war das nicht. Fast im Gegenteil: Endlich ist da mal ein Sportler, der seine Meinung sagt, anstatt sich so zu äussern, dass möglichst niemand sauer wird.
«Odi» mit seinem urchigen Dialekt ist ein natürlich gebliebener Überflieger. Und das nicht im Tennis, dem immer noch das Image anhaftet, ein «Bonzen-Sport» zu sein. Sondern in dem Sport, mit dem wir uns als Schweizer identifizieren wie mit keinem anderen. Dass auch Skifahren ein teurer Spass ist, wird da gerne ausgeblendet.
Die flapsige Behauptung, eine Segelnation zu sein, war nach Alinghis Siegen im America's Cup 2003 und 2007 nichts anderes als eine Notlüge. Geboren aus der Tatsache, dass die Schweiz an den Ski-Weltmeisterschaften 2003 und 2005 nicht eine einzige Goldmedaille gewinnen konnte, 2005 in Bormio sogar ganz ohne Edelmetall blieb.
Viel zu viele Jahre musste die Schweiz untendurch und Ski-Erfolge des Erzrivalen Österreich anerkennend, aber zähneknirschend akzeptieren. Nun haben endlich wir Schweizer wieder den unwiderruflich besten Skirennfahrer der Welt.
Der Gegenwart ist Odermatt schon beinahe entsprungen. Wie einst bei Roger Federer geht es bereits darum, Rekordmarken früherer Stars zu verbessern. Wird er in seinem letzten Rennen des Winters, dem Riesenslalom am Samstag, mindestens Dritter, hat er Historisches erreicht. Dann hat Odermatt den Allzeit-Rekord von Hermann Maier von exakt 2000 Punkten ausgelöscht.
In Spanien wird das niemanden interessieren, in Südafrika noch weniger. Und auch in New York, Rio oder Tokio wird man wohl nie auf Marco Odermatt angesprochen werden, wenn man sagt, dass man «from Switzerland» komme.
Aber was kümmert uns die Welt. Wirklich zählen tut's zuhause. Und da ist kein Ende der Odi-Mania abzusehen.