Nicht jeder Kreuzbandriss muss operiert werden. Im Gegenteil: Die Experten des Swiss Medical Boards (SMB) haben 2009 festgestellt, dass eine konservative Behandlung mit früh angesetzter Physiotherapie in den allermeisten Fällen sinnvoller ist als eine Operation.
Freilich liessen die Kritiker aus der Branche nicht lange auf sich warten. Nach einer zweiten Abklärung kamen die Experten 2013 nochmals zum selben Schluss. Nicht alle Ärzte können damit leben.
«Der Bericht suggeriert klar, dass man nicht operieren soll; nur wenn alles andere nicht geht, dann kann man über eine Operation nachdenken. Das finde ich den falschen Ansatz», sagte ein Orthopäde in einer 2014 durchgeführten Studie.
Das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie wollte herausfinden, ob die regelmässigen Empfehlungen des Medical Boards von Ärzten und Spitälern tatsächlich umgesetzt werden.
Die Studie kam zu einem ernüchternden Befund. Der Kreuzbandriss wird etwas seltener, aber immer noch häufig operiert. Die Empfehlung selbst hatte – wenn überhaupt – nur wenig Wirkung.
Nun ist Medizin keine exakte Wissenschaft, Patienten können unterschiedlich auf Behandlungen reagieren. Doch gibt es Therapien, die nachweislich wenig nützen und vor allem kosten – oder schlimmstenfalls dem Patienten schaden.
Aus Qualitätsgründen, aber auch aus Kostenüberlegungen häufen sich derzeit Bestrebungen, unnötige Behandlungen ausfindig zu machen, um von ihnen abzuraten.
Vor zwei Tagen hat die Fachgesellschaft für Innere Medizin neue Guidelines für Mediziner veröffentlicht: Darunter die Aufforderung, weniger Blasenkatheter zu legen, weil dies häufig zu Spitalinfektionen führt.
Vor drei Wochen hat der Bundesrat zudem entschieden, 7,5 Millionen Franken pro Jahr für Health Technology Assessments (HTA) einzusetzen. So soll geprüft werden, ob die viel gerügte Kniespiegelung noch von den Krankenkassen finanziert werden soll. Laut Bundesrat bleibt sie ohne Wirkung. Und schliesslich gibt das Medical Board regelmässig Empfehlungen ab.
Das Problem: Über die Guidelines schnöden die Ärzte, sie seien zu banal. Und auch die SMB-Empfehlungen sind nicht wirklich verbindlich.
Kurz: Richtlinien könnten den Ärzten zwar helfen, beachtet werden sie aber selten. Dieser Befund zeigt sich nicht nur bei Kniebandrissen, auch an Prostata-Tests zweifelt das SMB: Die Messung des prostataspezifischen Antigens (PSA-Test) sei selten zur Früherkennung von Krebs geeignet.
Der PSA-Test wird höchstens empfohlen, wenn Symptome vorliegen. Das Winterthurer Institut untersuchte die Wirkung und fand, dass kurz nach der Empfehlung die Zahl der PSA-Tests sank, bald aber höher war als zuvor.
Obwohl die Ärzteschaft Richtlinien als «hilfreiche Orientierung» gutheisst, wertet sie die Therapiefreiheit höher. Und vor allem hat gemäss Ärzteverbindung FMH die Qualität immer Vorrang vor den Kosten.
Das erklärt aber nur annähernd, wieso sich Ärzte nicht an die Richtlinien halten. Die Guidelines verlangen nicht zwingend den Abbau von Leistungen. Sie zeigen notwendige Behandlungsschritte bei klaren Diagnosen wie Diabetes. Die Guideline sieht bei der jährlichen Kontrolle vier Tests vor.
Eine Studie des Krankenversicherers Helsana hat jüngst ergeben, dass nur gerade fünf Prozent aller untersuchten Ärzte sich an diese Guideline halten. Fast alle tun wohl das, was sie für richtig halten. Doch nur 70 Prozent der Patienten erhielten eine Minimalbehandlung.
Für den Versicherer Helsana ist das Resultat unbefriedigend. Denn jene Patienten, welche die volle Behandlung gemäss Guideline erhielten, landeten später seltener im Spital.
So ist denn auch die Kostenfrage relativ: Vier Tests verursachen mehr Kosten als einer. Aber immerhin kann ein Arzt, der die Vorgaben befolgt, Leiden und einen kostspieligen Aufenthalt im Spital verhindern.