Die «Arena» war wieder mal ausgerückt, notfallmässig. Bestieg sie letztes Mal das Jungfraujoch, um daunengesichert in einer Eishöhle über den Klimawandel zu räsonieren, hielt man nun mit Blaulicht Einzug in einer Apotheke, um eine der drängendsten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu thematisieren: die Gesundheitskosten.
Eine Umfrage des Vergleichsdienstes Moneyland ergab vor einigen Tagen: An erster Stelle auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung liegen die Krankenkassenprämien. Noch vor der Altersvorsorge, dem Klimawandel und der Arbeitslosigkeit beschäftigen hierzulande die Kosten im Gesundheitswesen. Kein Wunder, die Prämien steigen von Jahr zu Jahr, die Belastung fürs Portemonnaie wird immer grösser.
Aber wer ist verantwortlich für die steigenden Kosten? Die Pharmalobby, die die Medikamentenpreise hoch hält? Die Patienten, die wegen jedem Wehwechen in die Notaufnahme eilen? Oder ein Überangebot an Spitälern, das jedes Jahr Millionen verschlingt? Und: Was tun, wenn's schmerzt?
Das wollte Sandro Brotz von sieben Politikern am Freitagnachmittag in einer Apotheke in Buchs wissen. Brotz bot zu Beginn der Sendung den Gästen Traubenzucker an. Soviel vorweg: Er hätte ihnen stärkere Aufputschmittel verschreiben sollen.
Für SP-Nationalrätin Barbara Gysi war klar: Die Krankenkassen-Lobbyisten im Parlament verhindern eine gerechte Politik. «Der Lobbyismus im Parlament ist extrem. Wenn gewisse Politiker mehr Geld durch Lobbytätigkeiten erhalten als durch die Entschädigung als Politiker, dann sind sie nicht mehr unabhängig.»
Die Standpauke war an FDP-Ständerat Josef Dittli gerichtet, der pro Jahr 140'000 Franken vom Krankenkassenverband Curafutura kassiert. Dittli gab sich unberührt und sang ein kurzes Hohelied auf das Schweizer Milizsystem, in dem alle Interessen abgedeckt seien – selbstverständlich auch diejenige des Gesundheitsbereichs.
BDP-Politiker Lorenz Hess, der sich mit seinen 140'000 Franken von Visana im gleichen Lohngefüge wie Dittli bewegt, mahnte zur Vorsicht: Man dürfe diese Lobbysache nicht allzu heiss kochen. Schliesslich könne er im Parlament ja auch nur eine Stimme einbringen – und die Kollegen könne er ja auch nicht bekehren, schliesslich wüssten alle, aus welchem Lager er stamme.
Der Dritte im Bunde der Bürgerlichen, SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, kritisierte etwas überraschend die Lobbytätigkeit im Parlament – wenn auch nur zaghaft: «In den letzten 10, 15 Jahren hat das Lobbying Überhand genommen», es gebe im Parlament Mandatssammler, auch in seiner Partei, das sei stossend. SP-Frau Gysi drückte es pointierter aus und verzichtete dabei auch gleich auf das Kamera-Sie: «Deine Vertreter kassieren einen Franken nach dem anderen», warf sie Aeschi vor.
Nationalrätin Ruth Humbel, Gesundheitsapostelin der CVP, brach eine Lanze für die Tätigkeiten der Lobbyisten: «Gäbe es die Lobbyisten nicht, müsste man in der Gesundheitskommission Pflichtkurse einführen» – derart tief sei das Fachwissen. «Da wird ins Blaue hinausgeplaudert, ohne Hand und Fuss.»
Dann schwenkte Brotz um auf das Thema Eigenverantwortung. Viermal pro Jahr geht die Durchschnittsschweizerin ins Spital. Zu oft? SP-Politikerin Gysi verneint: «Im Gegensatz zum Ausland gehen die Leute bei uns kaum zum Arzt.» Ohnehin sei sie der Auffassung: «Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig».
Auch FDP-Vertreter Dittli wollte nicht von einer Mitschuld der Patienten reden. Aber Prävention sei angebracht: «Vielleicht braucht es da eine grosse Kampagne». Dittli verlangte dann mutig ein sogenanntes «Patienten-Empowerment» und steigerte den Unterhaltungswert der Sendung an diesem Punkt minim, weil er den Begriff in einem derart kruden Englisch aussprach, dass es an die Sprachkenntnisse gewisser hiesiger Chefredaktoren erinnerte.
Spital-Anthropologe Aeschi hingegen war überzeugt: Um die eidgenössische Eigenverantwortung sei es zwar gut bestellt, die importierte aber lasse zu wünschen übrig: «Leute aus einem anderen Kulturkreis gehen öfters zum Arzt», diagnostizierte Aeschi.
An diesem Punkt begann man sich angesichts des ausbleibenden Spannungsgehalts der Sendung auch ein wenig Gedanken zu machen, ob die Aufnahmeleitung mit der Positionierung der Gäste in der Apotheke vielleicht subtile Botschaften vermitteln wollte. Hinter Barbara Gysi stapelten sich Ibuprofen-500-Packungen, Ruth Humbel warb unbeabsichtigt für Perskindol, Thomas Aeschis breite Schultern konnten das Cystinol nicht verdecken und hinter dem Hosenbein von GLP-Mann Martin Bäumle zeichnete sich die Sonnencrème ab.
Doktor Brotz, nicht überzeugt, dass die Therapie an diesem Punkt vielleicht einen anderen Ansatz nötig hatte, wollte wissen: Führt die Schweizer Spitzenmedizin zu einer Luxus-Medizin?
Ja, dieses Problem sei vorhanden, meinte BDP-Hess nachdenklich. «Es stellen sich dabei auch moralisch schwierige Fragen», zum Beispiel, ab welchem Alter und Gesundheitszustand eine Behandlung keinen Sinn mehr mache. Ähnliche Fragen warf die Farbe von Herrn Hess' Kittel auf: Wie alt ist das? Ist es moralisch vertretbar? Macht das noch Sinn?
Aus der zweiten Reihe reklamierte GLP-Mann Bäumle derweil die Schweizer Eigenverantwortung – lange Zeit im Sharing-Modell zwischen FDP und SVP betrieben – für seine eigene Partei: Zuerst in die Apotheke zu gehen, sei wesentlich günstiger als zum Arzt. «Die GLP ist die einzige Partei, die das noch so sagt.» Und den ethischen Fragen, die sich stellen, wenn eine Applikation eine Million kostet und das Leben um drei Monate verlängert – und das nicht einmal lebenswert – müsse man sich stellen, so Bäumle.
In der Schweiz gibt es laut dem Bund 281 Spitäler, Brotz drückt es poetischer aus: «Jedem Täli sein Spitäli.» Muss man vielleicht zwecks Kosteneinsparung einigen Täli ihr Spitäli wegnehmen? FDP-Mann Dittli ortet Handlungsbedarf. Es gebe ein Wettrüsten bei den Kantonen. Eine Haltung, die Ruth Humbel unterstützt: «Spitäler bedeuten für die Kantone einen Standortvorteil.» Gysi erwiderte, dass man im ganzen Land eine gute Gesundheitsversorgung haben wolle, deshalb könne man nicht einfach nach Belieben Spitäler schliessen. Grenzwächter Aeschi schliesslich stellte fest: «Das Problem sind die Ärzte, die aus dem Ausland kommen.»
Zwischenfazit: Alle müssen ihren Beitrag leisten. Die Ärzte, die zu teure Medikamente verschreiben, die Krankenkassen, die ihre Prämien jährlich steigern, die Pharmafirmen, die ihre Medikamente überteuert verkaufen, die Patienten, die ihren Schnupfen im MRI auskurieren, die Spitäler, die übers Land wuchern, die Ausländer, die janusgesichtig als Ärzte und als Patienten gleichermassen die Kosten nach oben treiben. Und die Zuschauer, die sich diese Sendung antun müssen.
Immerhin: Im Gegensatz zu den letzten zwei Ausgaben war man dieses Mal näher am Puls des Volks. Während die Politiker vor der Kamera diskutierten, lief die Apotheke im Normalbetrieb weiter. Hier und da blieben Kunden stehen, verfolgten die Diskussion mit verschränkten Armen und skeptischem Blick.
Brotz leitete schliesslich über zur CVP-Initiative, die eine Kostenbremse vorsieht, ohne dabei konkrete Massnahmen zu nennen: «Beim Arzt würde man sagen: Das ist Pfusch», stichelte Brotz gegen Humbel. Die CVP-Politikerin wehrte sich mit dem schwammigen Argument , dass die Initiative Druck auf die Akteure erzeuge. Viel Kredit erhielt die Kostenbremse von den anderen Parteien nicht: Die Idee, dass die verschiedenen Akteure besser zusammenarbeiten sollen, sei im Grundsatz zwar richtig, urteilte Gysi. «Aber die Initiative der CVP ist eine grosse Blackbox. Und es besteht die Gefahr, dass wir eine Zweiklassenmedizin haben.»
Hess rang sich immerhin durch, der CVP ein wahltaktisch geschicktes Manöver zuzugestehen: «Man kann da ehrlich sein, das ist schön aufgelegt im Wahljahr.» Auch Dittli lobte die Form, hatte für den Inhalt aber nicht viel übrig: «Ich hätte die Initiative fast unterschrieben, so gut tönte sie.» Aber wenn man sie genauer anschaue, sehe man, dass sie «falsch und überflüssig» sei.
Neben der CVP hat auch die SP eine Initiative zum Gesundheitswesen im Köcher. Die Sozialdemokraten wollen gesetzlich festschreiben, dass maximal 10 Prozent des Haushaltseinkommens für die Prämienbelastung verwendet werden soll. Eine «Umverteilung aus ideologischen Gründen?», fragt Brotz provokativ.
Gysi weist auf die durchschnittliche Prämienbelastung von 14 Prozent des Einkommens hin, «in meinem Kanton, St.Gallen, haben wir sogar Familien, die 20 Prozent bezahlen.» Es brauche diese Umverteilung, weil die Kopfprämie ungerecht sei.
SVP-Revisor Thomas Aeschi studierte derweil in der grossen Schweizer Bilanz die wahren explodierenden Budgetposten – mit überraschendem Ergebnis: «Fangen Sie doch mal an, die Gelder in der Entwicklungshilfe und in der Asylindustrie zu reduzieren», dann könne man über die Gesundheitskosten reden, raunte er in Richtung Gysi. Gysi entgegnete, wenn Aeschi ihm helfe, das Armeebudget ein bisschen zu streichen, habe man eine gemeinsame Grundlage.
Brotz schob dem Treiben einen Riegel vor: «Am Schluss wollen Sie auch noch über den Kampfjet reden. Nein, nein, nein, das machen wir nicht.»
Dafür unternahm Brotz dann bei seiner Schlussfrage selber einen Ausflug in ein anderes Politikfeld: die Klimapolitik. Der Moderator zeigte das Foto der von Klimaaktivisten am vergangenen Mittwoch grün gefärbten Limmat und wollte von den Anwesenden wissen: «Welches war die erste politische Aktion, an der Sie teilnahmen?»
Die Antworten waren so einschläfernd wie die einstündige Debatte zuvor: Josef Dittli hatte einst in Attinghausen eine FDP-Ortspartei gegründet, Ruth Humbel als 14-Jährige für die Zulassung von Frauen bei den Verkehrskadetten demonstriert, Barbara Gysi Kleeblättchen auf die Strasse gemalt, Thomas Aeschi Äpfel verteilt und Lorenz Hess «im fortgeschrittenen Alter» an einer Gemeindeversammlung teilgenommen.
Vielleicht hat unser Gesundheitswesen ja die Politiker, die es verdient.