Optimierungsspiel von Emanuele Ornella für 2 bis 4 Spieler ab 8 Jahren. Spieldauer: etwa 60 Minuten. Verlag: Queen Games. Preis: etwa 60 Franken.
Im Wilden Westen versuchen die Spieler, Ortschaften mit einem Netz von Postkutschen-Strecken zu verbinden und ihre Pioniere in möglichst vielen Städten anzusiedeln.
Ein Einkommen in Dollar einsacken, Postkutschen kaufen, Strassen finanzieren und bauen, eine Postkutschen-Figur auf dem Spielplan bewegen und Passagiere in Städten ausladen.
Schöne Holzfiguren. Beim Spielen hat man wirklich das Gefühl, eine Welt aufzubauen.
Western-affine Optimierer, die ein rundum überzeugendes und abwechslungsreiches Spielerlebnis suchen.
In letzter Zeit passiert es mir immer öfters, dass ich beim Smalltalk auf Leute treffe, die keinen blassen Schimmer haben, wer um alles in der Welt John Wayne war und noch nie etwas von John Fords ikonischem Film «Stagecoach» gehört haben, in dem neun Charakterköpfe in einer Kutsche durch eine von feindlichen Apachen bevölkerte Prärie rumpeln. Man könnte meinen, Western seien von gestern. Unvorstellbar wie sie in den 1950er- und 1960er-Jahren das Kinoprogramm und in den 1970er- und 1980er-Jahren die Sonntagnachmittage von Schweizer Fernsehkonsumenten prägten. Ähnlich wie im zeitgenössischen Kino fristen Western-Themen auch im Brettspiel ein ziemliches Nischen-Dasein.
Es ist ein Italiener, der das dieses Jahr ein bisschen ändert und uns den Spaghetti-Western «Pioneers» für den Spieltisch serviert: Der 45-jährige Software-Ingenieur Emanuele Ornella schickt uns in die endlosen Weiten der amerikanischen Prärie, wo wir Städte mit Postkutschen-Strecken erschliessen, um bleichen Pionieren von der Ostküste ein neues abenteuerlustiges Leben im Staub zu ermöglichen. Der Spielplan ist einer Landkarte der USA nachempfunden. Wenn man ihn auf dem Tisch ausbreitet, muss man allerdings aufpassen, dass man die richtige Seite für die angemessene Spielerzahl erwischt, denn sonst kann es auf dem Brett ganz schön eng werden.
Die Spieler schlüpfen in die Rollen von Postkutschen-Unternehmern. Ihr Ziel ist es, möglichst viele Passagiere zu transportieren und Städte mit einem gut ausgebauten Streckennetz zu verbinden. Siegpunkte werden schon während der Partie durch das Entladen von Postkutschen gesammelt. Zum Schluss zählen dann alle Pioniere im grössten zusammenhängenden eigenen Streckennetz für die Wertung.
Das Spiel erinnert optisch zwar an Eisenbahnspiele, überrascht dann aber mit einer völlig eigenen Dynamik, die eine knifflige Aufgabe stellt: Es gilt, Geld in Postkutschen und Strassen zu investieren und seine Pioniere zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort abzuladen. Wichtig ist bereits die Entscheidung, welche Postkutschen, die es in verschiedenen Grössen und Punkteausschüttungen gibt, man käuflich erwirbt. Jede Kutsche transportiert Pioniere unterschiedlicher Berufsgattungen, die am Zielort unterschiedlich tätig werden: Bankiers erhöhen das Einkommen, Händlerinnen ermöglichen mehr Shopping-Erlebnisse, Sergeanten helfen beim Strassenbau, Barkeeper machen andere Passagiere besoffen und Goldgräber finden Gold.
Alle Spieler müssen in ihrem Zug die gleiche, einzige kleine Holz-Postkutsche auf dem Brett bewegen, um Aktionen auszulösen. Dabei muss man eingeengte Denkmuster unterdrücken. Die Kutsche fährt nämlich auch über Strecken, auf die keine Strasse gebaut wurden, nur ist das teuer. Die Möglichkeiten, sie auf dem Brett zu bewegen, werden mit zunehmender Spieldauer immer grosszügiger. Die Karre darf in einem Zug ziemlich weit hin und her bewegt werden. Lücken im gegnerischen Streckennetz können auch später noch überraschend geschlossen werden. Es gibt reichlich Interaktion und Gelegenheiten, lukrative Aktionen den Konkurrenten vor der Nase wegzuschnappen. Zudem kann man gegen Bezahlung die Züge der Gegner ausnutzen, um eigene Pioniere anzusiedeln.
«Pioneers» ist für mich eine der positiven Überraschungen der im Herbst an der Spielmesse in Essen präsentierten Neuheiten. Es ist ein sehr gelungenes, kurzweiliges Optimierungsspiel mit vielfältigen taktischen Möglichkeiten. Kurz- und längerfristige Ziele müssen gut aufeinander abgestimmt werden. Wichtig dabei ist, auf die Züge der Gegner zu achten, sich beim Streckenbau nicht zu sehr festzulegen und flexibel zu bleiben.
Wer dumm spielt, wird hier nicht gewinnen.
Ja, dann wird auf einem verkleinerten Spielplan gespielt. Das Spielgefühl ist etwas anders als in Vollbesetzung. Weil es einfacher ist, alle seine Pioniere mit Strassen zu verbinden, werden andere Faktoren wichtiger.
Wer mit «Pioneers» auf den Geschmack gekommen ist, für den gibt es auch noch ein anderes hervorragendes Spiel, das im Wilden Westen angesiedelt ist: «Great Western Trail» von Alexander Pfister. Die Einstiegshürde ist allerdings wesentlich höher. Es ist ein meisterhaft komponiertes, komplexes, mehrstündiges, strategisches Schwergewicht für Vielspieler. Darin treiben Cowboys Rinderherden nach Kansas City, um sie dort in Züge Richtung Westen zu verladen. Die Spieler verwalten in Deckbau-Manier einen Kartenstapel mit eigenen Rindern. Sie stellen Gebäude in die Landschaft, heuern neue Mitarbeiter an, kaufen Kühe, bauen Bahnhöfe und Zugstrecken aus und versuchen, freundlich zu den den Indianern zu sein. Die Zahl der Aktionsmöglichkeiten ist gross, was zu immer wieder anderen Spielverläufen führt.
«Great Western Trail»: Optimierungsspiel von Alexander Pfister für 2 bis 4 Personen ab 12 Jahren. 90 bis 200 Minuten, Eggertspiele, etwa 55 Franken.
*In einer früheren Version dieser Story stand, dass es eine Lücke in den Spielregeln gibt. Dies stimmt allerdings nicht und der betreffende Abschnitt wurde gelöscht.
Als Jurymitglied ist Tom Felber verpflichtet, sämtliche relevanten neuen Spiele mehrfach auszuprobieren. Dazu benötigt er natürlich auch immer wieder neue Mitspieler. Wer Lust hat, mitzuspielen, kann sich über spieleabende@bluewin.ch für seinen Newsletter anmelden. Die Spiele-Testrunden finden jeweils in Zürich statt.