Gesellschaft & Politik
Lifestyle

Die Tyrannei der Ratings und Likes

Bret Easton Ellis an einer Lesung in Miami.
Bret Easton Ellis an einer Lesung in Miami.
Bild: Getty Images North America

Ratings und Likes tyrannisieren uns und verwandeln unsere Gesellschaft in eine Zombie-Kultur

Wir bewerten alles und jedes und werden selbst permanent für jedes und alles bewertet. Diese Likes-Kultur führt zu einer Zerstörung der Individualität und einer Pseudo-Perfektion, schimpft der US-Schriftsteller Bret Easton Ellis.
13.12.2015, 19:4815.12.2015, 07:41

Mit seinem Roman «American Psycho» ist der amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis weltberühmt geworden. Er hat sich einen Ruf geschaffen als Autor, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Diesem Ruf wurde er kürzlich in der «New York Times» gerecht. In einer Kolumne griff er die neue «Likes»-Kultur in den sozialen Medien frontal an. Sie verwandle uns in gleichgeschaltete Zombies, so der Tenor der Kolumne.

«Heutzutage sind wir es gewohnt, alles zu bewerten, Restaurants, Bücher, selbst Ärzte. Wir verteilen dabei meistens positive Kritiken, denn wer will schon als Hasser erscheinen?»
Bret Easton Ellis

Wir können der «Likes-Kultur» nicht mehr entkommen, weder aktiv noch passiv. Das gilt auch für die Schweiz. Nach jedem Restaurantbesuch werden wir um eine Benotung gebeten. Wenn wir auch nur eine Nacht in einem Hotel verbringen, werden wir aufgefordert, die Qualität des Service, die Sauberkeit der Toiletten, die Freundlichkeit des Personals und was auch immer zu bewerten.

Ob wir eine Uhr, ein TV-Gerät oder ein Paar Schuhe erwerben, stets wird uns danach ein Fragebogen mit der Bitte nach Benotung zugestellt. Ganz übel ist es im Autobereich. Selbst wer nur die Winterpneus wechseln lässt, muss danach seine Zufriedenheit mit 20 Kriterien bekannt geben. Und wehe, wir weigern uns:

«Jeder, der bei diesem Gruppendenken nicht mitmacht, wird an den Pranger gestellt.»
Bret Easton Ellis

Umgekehrt ist ein schlechtes Rating für die Betroffenen verheerend. Restaurants, die negative Kritiken erhalten, überleben nicht lange, ebenso Hotels, die nicht mindestens drei Sterne auf Tripadvisor vorweisen können. Journalisten, deren Storys über längere Zeit nicht in der Liste der «meistgelesenen» erscheinen, haben bald einmal Probleme mit ihren Vorgesetzten und lernen daher frühzeitig, sich dem Geschmack ihrer Leser anzupassen.

Facebook

Das Resultat ist der Triumph der Mittelmässigkeit und ein totalitärer Konformismus. Zu diesem Befund kommt auch Evgeny Morozov in seinem Buch «To Save Everything, Click Here». Der bekannte Internet-Kritiker sieht in der Pseudo-Perfektion der «Likes-Kultur» eine grosse Gefahr für die Werte der Aufklärung. Er illustriert dies am Beispiel der Musik.

«Die Teilnahme an der Kultur wird höher bewertet als der Inhalt. Es spielt keine Rolle, was für Musik man hört – ob es Justin Bieber oder Strawinsky ist, ist egal – wenn man bloss darüber abstimmen und ein Meme oder Video auf YouTube hochladen kann.»
Evgeny Morozov, Internet-Kritiker

Wahre Kultur, so Bret Easton Ellis, ist nicht zu verwechseln mit der «Likes-Kultur». «Selbstvertrauen erhält man nicht, indem man dies oder das likt, sondern indem man sich zu seinen Schwächen und Widersprüchen bekennt», stellt Ellis fest. Das wahre Verbrechen der «Likes-Kultur», so Ellis, «besteht darin, dass sie die Leidenschaft und das Individuum auslöscht.»

Politik Wirtschaft Sharing Economy
Du hast gedacht, die Bitcoins waren bloss ein vorübergehender Hype? Dann denk nochmal nach!
9
Du hast gedacht, die Bitcoins waren bloss ein vorübergehender Hype? Dann denk nochmal nach!
von Philipp Löpfe
3,7 Milliarden Dollar Verlust: Kann Uber je rentieren?
29
3,7 Milliarden Dollar Verlust: Kann Uber je rentieren?
von Philipp Löpfe
Das Problem mit Uber und Co. und warum es der Bundesrat nicht sieht
92
Das Problem mit Uber und Co. und warum es der Bundesrat nicht sieht
von werner vontobel
«Das Auto der Zukunft wird eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer sein»
6
«Das Auto der Zukunft wird eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer sein»
von Philipp Löpfe
Die selbstgefällige Klasse – oder wie wir uns selbst ins Elend matchen
53
Die selbstgefällige Klasse – oder wie wir uns selbst ins Elend matchen
von Philipp Löpfe
Die Waschmaschine hat uns das Leben erleichtert – die Digitalisierung wird es revolutionieren
33
Die Waschmaschine hat uns das Leben erleichtert – die Digitalisierung wird es revolutionieren
von Philipp Löpfe
Stehen wir an der Pforte zum Himmel oder zur Hölle? Zwei grundverschiedene Zukunftsszenarien
53
Stehen wir an der Pforte zum Himmel oder zur Hölle? Zwei grundverschiedene Zukunftsszenarien
von Philipp Löpfe
«Eine Maschine wird niemals ein Bewusstsein haben»
15
«Eine Maschine wird niemals ein Bewusstsein haben»
von Philipp Löpfe
Der neue Wohlstands-Faschismus ist da – und auch die alte Unfähigkeit, dagegen anzukämpfen
247
Der neue Wohlstands-Faschismus ist da – und auch die alte Unfähigkeit, dagegen anzukämpfen
von Philipp Löpfe
Wenn wir Glück haben, behalten uns die Roboter als Haustiere
34
Wenn wir Glück haben, behalten uns die Roboter als Haustiere
von Philipp Löpfe
Die Stadt der Zukunft? «Wohnen 500 Hipster nebeneinander, bringen sich 300 gegenseitig um»
55
Die Stadt der Zukunft? «Wohnen 500 Hipster nebeneinander, bringen sich 300 gegenseitig um»
von Philipp Löpfe
Das bedingungslose Grundeinkommen hat nichts mit Sozialismus und Schlendrian zu tun – es würde uns von staatlicher Hilfe emanzipieren
153
Das bedingungslose Grundeinkommen hat nichts mit Sozialismus und Schlendrian zu tun – es würde uns von staatlicher Hilfe emanzipieren
von Philipp Löpfe
Einer der mächtigsten Notenbanker warnt vor der
Klimaerwärmung
4
Einer der mächtigsten Notenbanker warnt vor der Klimaerwärmung
von Philipp Löpfe
Eine wahrhaft liberale Marktwirtschaft: «Wenn Kooperation, Respekt und Grosszügigkeit belohnt werden, ist eine ethische Wirtschaftsordnung möglich»
19
Eine wahrhaft liberale Marktwirtschaft: «Wenn Kooperation, Respekt und Grosszügigkeit belohnt werden, ist eine ethische Wirtschaftsordnung möglich»
von Philipp Löpfe
Die Schweden sagen: Sechs Stunden Arbeit sind genug – das freut Arbeitnehmer wie Firmen
50
Die Schweden sagen: Sechs Stunden Arbeit sind genug – das freut Arbeitnehmer wie Firmen
von Philipp Löpfe

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
36 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Humbolt
13.12.2015 20:27registriert Dezember 2015
Ist ja bei watson nicht anders. Wehe mir, wenn ich eine Meinung vertrete, die nicht mehrheitsfähig ist. Dann wird mir gleich ein Blitz verpasst.
Kritik hat es schwer heutzutage. Wer nicht liked ist schnell ein Hater. Dabei geht es manchmal gar nicht anders als etwas nicht zu mögen. Die Leute vergessen, dass ware Liebe zum eigenen sich nur in der Selbstkritik äussern kann.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sapere Aude
14.12.2015 01:53registriert April 2015
Wäre Watson mutig, würde es die Herzli und Blitzli abschaffen. Eine Bewertung wäre immer noch möglich, nämlich indem jeder einen Kommentar kommentieren würde. Nur differenzierte Kritik bringt den Leser und Schreiber voran, alles andere ist lediglich fürs Ego.
00
Melden
Zum Kommentar
36