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Religiöse Kräfte können die gefährliche Qualität eines Triebes annehmen.

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Die Sehnsucht nach dem Leben nach dem Tod, nach dem Jenseits, ist der Motor der Religionen.Bild: EPA/EPA
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Falls das Jenseits ein Fake sein sollte, konzentrieren wir uns besser auf das Diesseits

Religiöse Kräfte können die gefährliche Qualität eines Triebes annehmen. Denn bei ihnen geht es um alles: Himmel oder Hölle, Sein oder Nichtsein. 
07.05.2018, 13:30
Hugo Stamm
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Unser Dasein ist geprägt von Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten. Angetrieben wird unser Leben von vielfältigen Kräften. Die stärksten sind die Triebe: der Überlebenstrieb, der Selbsterhaltungstrieb, der Sexualtrieb.

Diese existentiellen Kräfte entwickeln gern ein Eigenleben. Es fällt uns dann oft schwer, sie zu kontrollieren oder mit unserem Bewusstsein zu steuern, weil sie übermächtig und genetisch tief verankert sind.

Das Drama der Menschheit besteht darin, dass es keine Heilsgewissheit gibt.

Es gibt einen weiteren «Trieb», der oft noch stärker ist: die religiöse oder spirituelle Energie. Beim Glauben und der Religion bewegen wir uns in einem speziellen Bereich, denn es geht um alles oder nichts: um Metaphysik und Transzendenz. Um Fragen des Seins und der Existenz. Um die Ewigkeit oder das Verderben. Das Letzte und das Höchste.

Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Diskussion mit Anne Will im ARD-Studio.Video: YouTube/wahrheitsgehalt2

Diese Kategorien überfordern unser Bewusstsein, unser schwaches, krankheitsanfälliges, triebgesteuertes und sterbliches Wesen. Das Wissen um den schleichenden Zerfall und den eigenen Tod löst existentielle Ängste aus, die uns lähmen oder Depressionen verursachen können.

Das Drama der Menschheit besteht darin, dass es keine Heilsgewissheit gibt. Wenn es um die entscheidenden Fragen im Leben geht, bleiben nur der Glaube oder die Spekulation. Wir ertragen diese Ungewissheit schlecht, sie ist eine narzisstische Kränkung.

Der Nährboden des Extremismus

Deshalb schlummert in den Religionen der Kern der Radikalisierung. Sie sind der Nährboden, auf dem der Extremismus gedeiht. Denken wir nur an die kollektiven Sektenmassaker oder an die Selbstmordkommandos islamistischer Terroristen.

Dabei sollte der Glaube Hoffnung und Halt geben, Trost spenden, Ängste nehmen, Sinn und Lebensinhalt stiften. So ziemlich alles, was uns wichtig ist. Doch all dies beruht lediglich auf Annahmen und Hypothesen.

Das Konzept eines allmächtigen Schöpfers ist angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht plausibel.

Wir sind gezwungen, auf einen Gott oder auf Götter zu bauen, deren Existenz wir nicht beweisen können. Kommt hinzu, dass das Konzept eines allmächtigen Schöpfers angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht plausibel ist.

All das sind existentielle Bedrohungen, die wir gern verdrängen. Je grösser die Verunsicherung, desto radikaler die Flucht in die religiösen Sphären. Diese Flucht führt oft zur Verblendung und Obsession und kann die Qualität eines Wahns entwickeln.

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Dieses Phänomen ist deshalb verblüffend, weil es sich bei der religiösen Energie nicht um einen Trieb handelt, sondern um eine kulturelle Errungenschaft. Dies macht die Entwicklung der Religionen deutlich.

Von den Naturreligionen zum Monotheismus

Unsere Urahnen beteten noch die Sonne an, sie kannten aber noch kein Heilskonzept im eigentlichen Sinn. Im Lauf der Geschichte verfeinerten sich die religiösen Ideen. Es entwickelten sich animistische Konzepte, naturreligiöse Ideen bis der Glaube an Götter mit übernatürlichen Kräften entstand.

Schliesslich kristallisierte sich der Monotheismus heraus mit einem Gott als allmächtigen Schöpfer. Er markiert die vorläufige Endstufe religiöser Entwicklungen.

Es scheint, als sei die Entwicklung der religiösen Konzepte am Ende der Fahnenstange angelangt. Vielleicht stecken die monotheistischen Religionen deshalb in einer Krise, vielleicht wächst deshalb die Zahl der Skeptiker. Der grösste Feind aller Religionen ist vermutlich die geistige und wissenschaftliche Entwicklung.

Wie auch immer: Würde sich die Menschheit mehr aufs Diesseits konzentrieren, als die Aufmerksamkeit dem Jenseits widmen, wäre die Welt ein friedlicherer Ort.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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275 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Oxymora
05.05.2018 09:27registriert August 2016
Religiöse Energie ist scheint doch eher eine kulturelles Desaster zu sein, Errungenschaft würd ich das nicht nennen.

Ein Thema, das schon die politischen Gemeinden betrifft.
Manch eine schöpft bei Krediten für den Friedhof aus dem Vollen, beim Spielplatz, Kindergarten und Pflegeheim wird wir für Sparsamkeit plädiert.

“Würde sich die Menschheit mehr aufs Diesseits konzentrieren, als die Aufmerksamkeit dem Jenseits widmen, wäre die Welt ein friedlicherer Ort.“
Find ich auch



Ausser nach dem Tod käm noch was, .....
Falls das Jenseits ein Fake sein sollte, konzentrieren wir uns besser auf das Diesseits
Religiöse Energie ist scheint doch eher eine kulturelles Desaster zu sein, Errungenschaft würd ich das nicht n ...
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El Vals del Obrero
05.05.2018 09:16registriert Mai 2016
Wie sangen schon Bob Marley und Peter Tosh:

"Preacher man don't tell me
Heaven is under the earth
I know you don't know
What life is really worth
(...)
Most people think
Great God will come from the skies
Take away everything
And make everybody feel high

But if you know what life is worth
You would look for yours on earth
And now you've seen the light
You stand up for your rights"
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-C-
05.05.2018 08:51registriert Februar 2016
Die Welt wird zu einem friedlicher Ort, wenn sich jeder nur noch aufs Diesseits konzentriert? Weil dann plötzlich niemand mehr nur auf sich und seine Wünsche schaut?
Nicht die Hoffnung auf ein Jenseits ist meiner Meinung nach das Problem. Sobald sich jemand zu wichtig nimmt, seine Bedürfnisse über die der anderen stellt, wird steigt das Potential für Konflikte.
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