JD Vance und Marco Rubio – Machtgerangel im Schatten Trumps
Mehr denn je seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump gleicht die amerikanische Ukraine-Politik einem Chor der Widersprüche – und besonders in Europa fragt man sich, wer hier denn eigentlich in Washington die Federführung hat. Trump selbst scheint vor allem daran interessiert zu sein, den Krieg möglichst schnell zu beenden, um sich als Friedensstifter präsentieren zu können.
Die sprunghafte Ukraine-Politik ist auch Ergebnis eines Machtkampfs, der im engsten Umfeld des Präsidenten tobt. Dabei geht es nicht nur um die Gestaltung der Aussenpolitik, sondern auch um Trumps Gunst und letztlich wohl auch um die Frage, wer nach ihm ins Weisse Haus einziehen könnte. Die beiden Protagonisten dieses Machtgerangels sind Vizepräsident JD Vance (41) und Aussenminister Marco Rubio (54), der zugleich Nationaler Sicherheitsberater ist.
Vance und der 28-Punkte-Plan
Vance ist kein Freund von Wolodymyr Selenskyj – das ist schon seit der Demütigung des ukrainischen Präsidenten im vergangenen Februar vor laufenden Kameras im Weissen Haus offensichtlich. Der Vizepräsident strebt einen schnellen Friedensschluss an; zur Not auch zu äusserst schmerzhaften Bedingungen für die Ukraine. Diesem Zweck diente der ursprüngliche 28-Punkte-Plan, der als «russische Wunschliste» kritisiert wurde, aber nun in abgemilderter Form als Grundlage für Friedensverhandlungen dient. Das berüchtigte Papier hatte der US-Sondergesandte Steve Witkoff mit seinem russischen Pendant Kirill Dmitrijew ausgeheckt, doch in republikanischen Kreisen gehen viele davon aus, dass Vance Witkoff – der sehr viel Verständnis für Wladimir Putin hat – als Vehikel für eine russlandfreundliche Lösung nutzte.
Auf jeden Fall unterstützte Vance Witkoffs Plan sofort – ganz im Gegenteil zu Rubio. Der aussen vor gelassene Aussenminister – er soll erst am 18. November eine Kopie des Plans erhalten haben – gab sich zunächst klar distanziert. Gegenüber politischen Verbündeten erklärte er sogar, der Plan sei nicht mit Trump abgesprochen und es handle sich um eine «Wunschliste», die Putins Handschrift trage. Da aber Trump in der Zwischenzeit den Plan gutgeheissen und die Ukraine massiv unter Druck gesetzt hatte, sprang auch Rubio auf den Zug auf und betonte auf der Plattform X die US-Urheberschaft des Plans.
The peace proposal was authored by the U.S.
— Marco Rubio (@marcorubio) November 23, 2025
It is offered as a strong framework for ongoing negotiations
It is based on input from the Russian side. But it is also based on previous and ongoing input from Ukraine. https://t.co/JWbAQ04kcw
Rubios Schadensbegrenzung
Der zuvor eher passiv wirkende Aussenminister – erst seit dem gescheiterten Alaska-Gipfel zwischen Trump und Putin wurde er überhaupt in die Ukraine-Politik einbezogen – versuchte nun, ein Gegengewicht zu Vance und Witkoff zu schaffen. Kraft seines Amtes übernahm er die Verhandlungen mit den Europäern und Ukrainern. Dabei bemühte er sich um Schadensbegrenzung, denn die konsternierten Europäer – mit Ausnahme von Ungarn und der Slowakei – hielten Witkoffs Plan schlicht für unannehmbar. In Genf, wo bei den Gesprächen zahlreiche für die Ukraine heikle Punkte entschärft oder gestrichen wurden, war Witkoff nur noch Statist.
Damit hat Rubio die amerikanische Ukraine-Politik zumindest für den Moment unter seine Kontrolle gebracht – zur Erleichterung der Europäer und der Ukrainer. Aber auch Vance macht nach wie vor seinen Einfluss auf die Verhandlungen geltend. Das dürfte die Tatsache nahelegen, dass mittlerweile einer seiner engsten Vertrauten zum Verhandlungsteam gehört: Daniel Driscoll, Staatssekretär für die Armee und seit dem Jurastudium in Yale mit Vance befreundet, war bei den Gesprächen in Kiew, Genf und Abu Dhabi anstelle des Ukrainebeauftragten Keith Kellogg anwesend.
Isolationist Vance gegen ...
In der Einschätzung der Gefahr, die den USA und dem Westen aus dem Kreml droht, zeigt sich der Unterschied zwischen den Kontrahenten Vance und Rubio am deutlichsten. Die regierungsnahe russische Zeitung Moskowskij Komsomolets bezeichnet Vance als entschiedenen «Kritiker des Selenskyj-Regimes», der «aus russischer Sicht eine ‹konstruktive Linie›» verfolge. In der Tat ist Vance ein Isolationist, das heisst, er steht in der Tradition einer in den USA lange Zeit bestimmenden politischen Strömung, die bestrebt ist, die USA aus internationalen Konflikten und Bündnissen herauszuhalten. Der Isolationismus war seit dem Zweiten Weltkrieg nahezu ohne Belang, erlebt aber unter der Präsidentschaft von Donald Trump eine Renaissance.
Dementsprechend vertritt der Vizepräsident, der oft auf Konfrontationskurs mit den Europäern geht, die geopolitische Abkoppelung Europas von den USA und eine dezidierte America-first-Politik, die eine Reduktion der Kosten für die USA anstrebt. Vor allen Dingen verfolgt Vance aber auch einen populistischen Kurs, der sich kaum von Trumps launenhafter Politik unterscheidet: Wichtig sind ihm finanziell lohnende Deals, die überdies möglichst schnell abgeschlossen werden sollen.
... Transatlantiker Rubio
Rubio hingegen, der als Kind kubanischer Exilanten in Florida geboren wurde und damit den Antikommunismus – und die Skepsis gegenüber der Sowjetunion – wohl mit der Muttermilch aufsog, war stets ein Russland-Falke, der auf Abschreckung gegenüber dem Kreml setzt. Er steht seit Jahren für ein hartes Vorgehen gegen das Putin-Regime und gilt als Transatlantiker, also als Befürworter eines starken amerikanisch-europäischen Bündnisses. Der konservative Republikaner setzt auf institutionelle Diplomatie und befürwortet die Einbindung der USA in die NATO.
Allerdings sind seine Prinzipien «auf mysteriöse Weise erodiert, seit er sich Trump angeschlossen hat», wie der Guardian süffisant kommentiert. Rubio musste hinnehmen, dass Elon Musk ihm zu Beginn seiner Amtszeit zahlreiche Stellen im State Department kürzte. Überdies wurde das Budget für die US-Auslandshilfe gekürzt und die direkte Unterstützung der USA für die Ukraine wurde ausgehöhlt. Rubios Stellung als Aussenminister war schwach; während Witkoff als Hansdampf in allen aussenpolitischen Gassen von Krisenherd zu Krisenherd reiste, schien Rubios Rolle hauptsächlich darin zu bestehen, Trumps Schnellschuss-Deals in Realität zu übersetzen.
Kampf um Trumps Nachfolge
Während Rubios Position in der amerikanischen Ukraine-Politik zumindest ideologisch unterfüttert sein dürfte, erscheint Vance im Gegensatz dazu eher opportunistisch. Unvergessen ist etwa, wie der heutige Vizepräsident einst vor Trump gewarnt und ihn als «Idioten» bezeichnet hat. Laut einem US-Insider, der mit der deutschen Zeitung Bild gesprochen hat, geht es ihm vornehmlich um Macht: «Er will vor allem eines: Präsident werden. Er glaubt, dass die MAGA-Bewegung ihn zu Trumps Nachfolger macht.»
Laut Politico hat Rubio zwar gegenüber Vertrauten schon gesagt, Vance sei der Favorit für die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2028, und er werde ihn unterstützen, sofern er antrete. Das bedeutet indes nicht, dass Rubio nicht ebenfalls Ambitionen auf den Einzug ins Weisse Haus hegt. Die Rivalität zwischen Vance und Trump, die als Senatoren zusammenarbeiteten und einander als «gute Freunde» bezeichnen, wird von Trump angeheizt. Der Präsident scheint seine Pläne für eine dritte Amtszeit begraben zu haben und hat beide wiederholt als die beiden Männer bezeichnet, die am ehesten seine Nachfolge antreten könnten. Vance nannte er zuerst, doch später brachte er auch Rubio ins Spiel, wobei er notabene nicht nur von einem Ticket «Vance-Rubio», sondern auch von «Rubio-Vance» sprach.
Nach wie vor behaupten sowohl Vance als auch Rubio, dass es keine Rivalität zwischen ihnen gebe. Doch die Spekulationen nehmen zu, und dies schon im ersten Jahr von Trumps zweiter Amtszeit. Lange schien Vance der klare Thronfolger von König Donald. In den ersten Umfragen in den Vorwahlstaaten der Republikaner liegt er in Führung. Doch Rubio hat sich in letzter Zeit verstärkt in Position gebracht und jetzt auch gezeigt, dass er kämpfen kann. Noch ist lange nicht ausgemacht, wer das Erbe von MAGA antreten wird.
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