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Es ist kurz vor halb eins. Stefan Ganz wirft Spaghetti in den grossen Topf, noch ein paar Minuten, dann kommen seine Gäste. Stefan ist 28 Jahre alt, er wohnt in einer kleinen, zusammengewürfelten Wohnung im Kreis 4 in Zürich. Er bekocht uns heute.
Uns, das sind ihm fremde Menschen, maximal sechs, die sich heute Mittag angemeldet haben für Spaghetti al Pomodoro e Sarde. Die für 12.40 Franken gut und günstig essen wollen, ungezwungen, aber privat. Die Abwechslung suchen, in einem Gastronomie-Dschungel, der zwar vieles anbietet, für Büropausen aber eben dann doch immer das Gleiche.
Deshalb hat Stefan zusammen mit seinem Bruder Tobias die Internetplattform Margrit gegründet. Dafür hat er seinen Job als Texter an den Nagel gehängt und ist das Wagnis eingegangen, ein Start-up zu gründen, das ihm vielleicht irgendwann die Miete zahlt.
Auf Margrit können Privatpersonen aus der ganzen Schweiz bei sich zuhause Mittagessen anbieten. Sie sagen wann und legen das Menu fest. Personen aus der Umgebung können sich dann einen Platz am Mittagstisch buchen. Die Essen kosten meist zwischen zehn und 25 Franken. Inbegriffen sind oft ein Salat, eine Hauptspeise, teilweise Dessert, Getränke und Kaffee. Eben alles, was es auch bei Oma zuhause auf den Tisch käme.
Deshalb heisst die Plattform Margrit: Als Hommage an die eigene Grossmutter, bei der die beiden als Buben über Mittag essen konnten. Wo alles liebevoll und authentisch war, einfach und gut. Und das verschwand, mit dem Erwachsenwerden. Und wurde ersetzt durch kalte Sandwiches, Steh-Lunch oder den immergleichen Italiener um die Ecke.
«Wir wollen mit Margrit eine bezahlbare Alternative zu den Mittagsangeboten bieten», sagt Stefan Ganz. Das Internet biete weltweit Kontakte, aber die Nähe zur unmittelbaren Nachbarschaft gehe verloren. «Die Idee ist auch, die Leute einer Region oder eines Ortes wieder stärker miteinander zu vernetzen», sagt Ganz. Am Mittagstisch sei der Austausch zwischen Generationen und Milieus möglich. «Eine solche Durchmischung ist wichtig für die Gesellschaft.»
Ganz selbst spürt in sich manchmal eine gewisse Sehnsucht, nach neuen Kontakten, neuen Gesprächen, mehr menschlicher Qualität. Spontane Treffen, neue Ideen, neue Geschichten. Ein bisschen Nostalgie schwingt in diesem fortschrittlichen und doch so simplen Konzept mit: Unser aller Sehnsucht nach familiären Strukturen, einfachen, gesunden Mahlzeiten, mit Liebe gekocht.
Keine kalten Nudeln mehr aus dem Plastik-Böxli vor dem PC, keine Schweinswurst Menu 1 in der Mensa. Stattdessen eine knappe Stunde freundliche Gespräche, ungezwungen, unbelastet vom Geschwätz der Bürokollegin, ohne Chef, ohne grosses Portemonnaie. Hausmannskost, simpel, fein, à la Minute zubereitet. Margrit ist ein Stück Normalität, eben ein Zmittagstisch im kleinen Rahmen, ein bisschen Familie, für einen Moment.
Die Spaghetti an Tomatensauce mit Sardellen werden serviert, die Sonne brennt auf unsere Köpfe. Wir sitzen zu fünft auf der privaten Dachterrasse von Stefan, hoch über den Dächern dieser Stadt, und essen gemeinsam und erzählen uns, wer wir sind, was wir treiben. Wir sind uns alle von Beginn weg sympathisch.
Wir sprechen über Entwicklungsarbeit in Afrika und Betriebswirtschaft, über das schöne Leben und die Liebe, über das Wetter und diese Idee, wegen der wir hier sind. Allen ist wohl, das Fazit ist gut, «sehr entspannt», «authentisch».
Der jungen Frau am Tisch kommt ihre Tante in den Sinn, bei der sie als Kind immer gegessen hat. Kurz huscht ein Glanz über ihre Augen, «ja, die Tante, das war so super. Alles selbst gekocht, keine Massenware».
Intimer sei das hier gewesen, schön. Aber auch nicht für jeden Tag. Weil es auch Kraft kostet, sich auf neue Leute einzulassen, weil die Zeit auch nicht jeden Tag reicht.
Dass Hunderte Menschen jeden Tag zusammen über Margrit essen, ist Stefans Traum. Die Realität sieht im Moment noch anders aus: Die Plattform ist seit rund drei Monaten online, um die 650 Mitglieder haben sich zwischenzeitlich registriert. Bis zum Sommer wollen die Gründer zehn Essen pro Tag vermitteln, langfristig sollen es aber tausend Essen pro Tag sein. Ein zu grosses Ziel?
«Warum darf man denn nicht gross träumen, auch in Zürich?» Airbnb habe auch klein angefangen. Stefan Ganz und sein Bruder wollen mit Margrit mittelfristig auch ins Ausland, nach Deutschland, Österreich. Wenn's klappt, noch weiter, weltweit, sogar.
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Aber das ist Zukunftsmusik. «Zuerst müssen wir es schaffen, in der Schweiz lokale Märkte zu schaffen», sagt er. Erster Schritt sind die grösseren Schweizer Städte und Agglomerationen wie St.Gallen, Zürich, Bern. Doch Essen soll man können, wo Menschen kochen – also im Grunde überall.
Die grösste Herausforderung wird sein, die Leute auf die Plattform zu bringen, Vertrauen zu schaffen. Menschen zu finden, die kochen wollen, die Zeit dafür haben. Und solche, die gerne bei Fremden essen. «Die Kochenden sind nicht die gleichen wie die, die essen gehen», sagt Ganz. Typischerweise müsse jemand, der koche, Zeit haben. Am ehesten würde das Studenten, Rentner und Familien ansprechen.
«Vor allem Familien müssen sowieso jeden Mittag etwas auf dem Tisch haben, da kommt es auf den einen oder anderen Gast mehr gar nicht gross an», sagt Ganz. Und für Senioren sei das eine grosse Chance, wieder vermehrt mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen. Und die Berufstätigen haben mal Abwechslung. Vom Kochen alleine werde aber keiner reich. «Im besten Fall reicht es für einen kleinen Nebenverdienst. Aber darum geht es auch nicht in erster Linie.»
Die Plattform bewegt sich juristisch in einem Graubereich: Wann hört privat auf, wann beginnt kommerziell? Ab wann ist so ein Angebot eine echte Konkurrenz zur bestehenden Gastronomie? Es sind ähnliche Fragen wie bei Airbnb oder Uber. Weil vor zehn Jahren noch niemand daran dachte, dass sich mit den Möglichkeiten des Internets solche Fragen stellen könnten.
Auch Fragen der Haftung stellen sich. Was, wenn ein Gast randaliert, wenn Geschirr kaputt geht? Bis jetzt sei alles gut gelaufen, sagt Ganz. Alle Gäste und Köche hätten gute Erfahrungen gemacht. Aber man wisse um diese Fragen und arbeite daran. Und auch mit der Gewerbepolizei sei man im Gespräch.
Dessert gibt's keines, ist aber auch gar nicht nötig. Wir sind alle satt und zufrieden. Einen Kaffee aus der Mocca-Kanne zum Schluss, ein bisschen Milch aus der 1-Liter-Tüte. Wie daheim eben. Dann bleiben wir noch ein bisschen sitzen und geniessen die Aussicht auf die Berge.
Fast schade, wieder zurück, an die Arbeit. Aber Stefans Türen und Töpfe sind ja immer offen, für uns.