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Als Italiens Faschisten der Pasta den Krieg erklärten

Damals, als Italien der Pasta den Krieg erklärte

Kaum zu glauben, aber es gab mal eine Zeit, als einflussreiche politische und kulturelle Kräfte versuchten, den Italienern das Pastaessen abzugewöhnen.
Spoiler: Sie scheiterten. Aber eine grossartige Story ist's dennoch.
18.02.2023, 08:4919.02.2023, 14:08
Oliver Baroni
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Im Dezember 1930 wurde in «La Cucina Italiana», einem vom faschistischen Herausgeber Umberto Notari und seiner Frau Delia Pavoni Notari gegründeten Magazin, ein «Manifest der Futuristischen Küche» veröffentlicht. Der Verfasser Filippo Marinetti bezeichnete darin die Pasta als «absurde italienische gastronomische Religion» und forderte ihre Abschaffung.

Futurismus: Gino Severini’s “Armored Train in Action” (1915). Futurism sought to “glorify war.”
Art Courtesy MOMA / ARS, NY / Adagp, Paris / Scala / Art Resource, NY
Technik, Geschwindigkeit, Gewalt, Krieg: Gino Severinis «Treno blindato in azione» (1915) als typisches Beispiel für Futurismus in der Malerei. Bild: Moma

Marinetti war Begründer und der prominenteste Vertreter des Futurismus, einer 1909 begründeten avantgardistischen Kunstbewegung, die den Anspruch erhob, eine neue Kultur zu begründen, und ihre Gestalt in Kunst, Architektur, Poesie, Musik und Kino fand. Die Futuristen begeisterten sich für Technik, Geschwindigkeit oder Krieg und waren eng mit dem zeitgleich in Italien aufstrebenden Faschismus verbandelt. Die Futuristen lehnten Museen, Bibliotheken und jede Form von Blick zurück in die Vergangenheit ab. Nach ihrer Sicht waren Traditionen in Italien verantwortlich für den Niedergang.

«Pastaessen führt zu Faulheit, Pessimismus, nostalgischer Untätigkeit und Neutralismus»
Filippo Marinetti

Zu diesen gehörte auch die kulinarische Tradition. Im 1930er «Manifest der Futuristischen Küche» und im «Futuristischen Kochbuch» von 1932 beschrieb Marinetti eine nahe Zukunft, in der die italienische Bevölkerung ihre Nährstoffe in Pillenform zu sich nehmen werde und Mahlzeiten zu Performance-Kunst würden, die durch Technologie, Parfüm und Musik aufgewertet werde. Er plädierte für experimentelle, oftmals absurde Gerichte – Salami in Kaffee und Eau de Cologne gekocht, irgendwer? – und für die Abschaffung von Messer und Gabel.

Filippo Tommaso Marinetti - Futurismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Filippo_Tommaso_Marinetti#/media/Datei:Filippo_Tommaso_Marinetti.jpg
Marinetti: Überzeugungstäter.Bild: wikicommons

Vor allem aber war Pasta gemäss Marinetti die Wurzel allen Übels, die Hauptursache für Italiens Rückständigkeit gar. «Pasta ist nicht gut für Italiener», schrieb er und behauptete, sie verursache Störungen in der Bauchspeicheldrüse und der Leber, was zu «Faulheit, Pessimismus, nostalgischer Untätigkeit und Neutralismus» führe.

Futurismus in Kunst: Sintesi Fascista (1935) by Alessandro Bruschetti. Photo courtesy the Wolfsonian-Florida International University, Miami Beach, Florida, The Mitchell Wolfson, Jr Collection
«Sintesi Fascista» (1935) von Alessandro Bruschetti als Beispiel für die Verbandlung von Futurismus und Faschismus.Bild: Wolfsonian-Florida International University

Dies waren mitnichten die Ansichten eines einzelnen Exzentrikers. Marinettis Meinung teilten viele: «Pasta ist wie unsere Rhetorik – nur gut, um den Mund zu füllen», kommentierte der faschistische Theaterkritiker Marco Ramperti etwa. Der Dichter Gabriel Audisio nannte die Pasta eine «Diktatur des Magens», die einen «Rhythmus der Faulheit» erfordere.

Auch konnte Marinetti auf (zumindest ideologische) Unterstützung von höchster Stelle zählen: Italiens Diktator Benito Mussolini war ähnlich unbeeindruckt von der weltberühmten kulinarischen Tradition seines Landes. Er war ein schneller Esser und wie sein Freund Adolf Hitler war er ein ungeduldiger, widerwilliger Teilnehmer an langen, formellen Mahlzeiten, etwa als Gast des italienischen Königs.

FILE - File photo dated Sept. 28, 1938 showing Italian dictator Benito Mussolini, at left in foreground, and Nazi leader Adolf Hitler, at right, taken just before the four power conference in Munich,  ...
Keine Musse für Genuss: Benito und Dölf.Bild: AP

Mussolinis Anti-Pasta-Haltung hatte zusätzlich noch strategische, wirtschaftliche Gründe: Indem er versuchte, die Italiener davon zu überzeugen, Pasta zugunsten von Reis aufzugeben, wollte er Italien von ausländischen Weizenimporten befreien, deren Beschaffung angesichts internationaler Sanktionen und einer angeschlagenen Binnenwirtschaft immer schwieriger wurde. Reis aber gedieh in Norditalien gut.

FASCISME Agro Pontino Anno IX-XV Les Marais Pontins 9-15eme annee du fascisme avec Benito MUSSOLINI 1883-1945. Photographie anonyme de 1938. Credit : Collection Jonas/Kharbine-Tapabor. *** FASCISM Agr ...
Ganz der Populist: Mussolini und die Weizenernte. Bild: imago

Aber ... – man kann sich's ja vorstellen. Die Anti-Pasta-Bemühungen der Futuristen und der Faschisten kamen bei der italienischen Bevölkerung gar nicht gut an. In Aquila in den Abruzzen verfassten die Frauen der Stadt einen Protestbrief, in dem «die Ehre der Pasta» verteidigt wurde. Der Bürgermeister von Neapel verkündete, «im Paradies essen die Engel ausschliesslich vermicelli al pomodoro». Die Zeitschrift La settimana modenese bezeichnete Marinetti und seine futuristischen Verbündeten als «zu lange gekocht».

1932 platzierte sich «La Cucina Italiana» – ebendiese Zeitschrift, die ein Jahr zuvor Marinettis Manifest publiziert hatte – mitten in der Kontroverse, als sie einen vom italienischen Pastahersteller Puritas gesponserten Wettbewerb veranstaltete, bei dem es darum ging, die beste Sauce zu einem Kilogramm Puritas-Maccheroni zu kreieren. Herausgeber Umberto Notari wusste die Kontroverse für Promozwecke zu nutzen – und wohl deshalb wurde für die Wettbewerbsjury, nebst den üblichen hochrangigen Vertretern der damaligen italienischen Kulturelite, niemand Geringeres als der Anti-Pasta-Papst himself, Filippo Marinetti, nominiert.

Puritas Pasta saucen wettbewerb sugo marinetti 1932 italien 1931 https://www.massaiemoderne.com/1932-sugo-marinetti-per-pasta-puritas/
Guck – da, unten in der vierten Spalte, da ist er.Bild: massaie moderne

Und dieser hielt, was er versprach: Laut Kulinarik-Historikerin Samanta Cornaviera erschien Marinetti publikumswirksam verspätet und verlangte sofort lautstark, die teilnehmenden Saucen nur mit Reis zu kosten statt mit der von ihm verachteten Pasta. Schlussendlich konnte sich aber Marinetti mit den anderen Juroren auf einen Sieger einigen: Amedeo Pettini, ehemaliger königlicher Küchenchef und landesweit bekannter Gastrokritiker. Pettini präsentierte eine Sauce aus Tomaten, Sardellen, sautierten Artischocken, Schinken und gehackten Pistazien.

sugo marinetti pasta kochen food essen https://www.massaiemoderne.com/1932-sugo-marinetti-per-pasta-puritas/
Mmh, sieht fein aus, Signor Pettini!Bild: massaie moderne

Er nannte sie:

Sugo Marinetti.

Letztendlich hatte Marinetti mit seinem Krieg gegen Pasta ebenso wenig Erfolg wie Mussolini mit seinem wahrhaften Krieg gegen die Alliierten. Marinetti verstarb im Dezember 1944. Mussolini wurde wenige Monate später im April 1945 hingerichtet. Während des italienischen Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit wurde Pasta noch beliebter als je zuvor.

Heute ist der Krieg gegen Pasta längst vergessen. Leider geriet die Sugo Marinetti ebenfalls in Vergessenheit – wäre da nicht die kulinarische Historienforschung. Samanta Cornaviera empfiehlt, Sugo Marinetti vor allem deshalb zu probieren, weil sie «delizioso» ist.

Und ausserdem kann man seinen Gästen die grossartige Story dazu erzählen.

sugo marinetti pasta kochen food essen https://www.massaiemoderne.com/1932-sugo-marinetti-per-pasta-puritas/
Bild: massaie moderne

Und hier das Rezept!

Zutaten:

  • 1 dicke Scheibe Kochschinken, fein gewürfelt
  • 1 weisse Zwiebel, fein gehackt
  • 1 Karotte, fein gehackt
  • 1 Stange Sellerie, fein gehackt
  • Kochbutter
  • 1 Handvoll Prezzemolo (flachblättrige Petersilie), fein gehackt
  • 1 Dose Pelati, gehackt
  • 1 EL Kapern
  • 50 g Sardellenfilets, gehackt
  • 3 frische Artischockenherzen, geviertelt und in dünne Scheiben geschnitten
  • Olivenöl
  • 500 g Spaghetti (im Wettbewerb von 1932 waren's Maccheroni)
  • 2 EL grüne Pistazien, geschält, in dünne Scheiben geschnitten
  • Parmesan, gerieben

Zubereitung:

  • Schinken in 1 EL Butter kurz anbraten, dann Zwiebel, Karotte und Sellerie hinzufügen und dünsten, bis sie weich sind. Prezzemolo und Pelati beifügen, untermischen und ein paar Minuten einkochen lassen.
  • Derweil Pasta nach Packungsangaben kochen.
  • Tomatensauce zusammen mit den Sardellen und Kapern in einen Mixer geben und pürieren. Sauce wieder in die Pfanne geben und bei Bedarf etwas Pastawasser beifügen, falls sie zu dick ist.
  • Artischocken in einer Bratpfanne in etwas Butter und Olivenöl auf beiden Seiten knusprig braten.
  • Wenn die Pasta al dente ist, abgiessen und Sauce, 1 EL Parmesan und ein wenig zusätzliche Butter untermischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  • Pasta auf einen Servierteller geben und mit den gebratenen Artischocken und den gehackten Pistazien garnieren.
Quellen:
Marinetti, Filippo: «Il Manifesto della Cucina Futurista»
Cornaviera, Samanta: «1932 Sugo Marinetti per pasta Puritas», in: Massaie Moderne archeologia Culinaria
Div.: Futurismus, Filippo Tommaso Marinetti, in: Wikipedia
Lin-Sommer, Sam: «The Sauce That Survived Italy’s War on Pasta», in: Atlas Obscura

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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Martin Baumgartner
18.02.2023 09:27registriert Juni 2022
Grüsse aus der Küche.

Das bedeutet, das Essen von Pasta mit Sugo Marinetti ist ein Statement gegen den Faschismus?!

Ich setzte sofort das Pastawasser auf!
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Küchelmännlein
18.02.2023 09:29registriert November 2019
Ein Leben ohne Nudeln ist möglich aber sinnlos. 😉
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mrmikech
18.02.2023 09:31registriert Juni 2016
Bald ist Schwarzers Friedensbewegung auch gegen Pasta 😂
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