Bern im Jahr 1982. Drei Männer Anfang 30 beginnen beim Aussendepartement die Ausbildung zum Diplomaten: Der erste ist Jurist, der zweite Ökonom und Mathematiker, der dritte Politikwissenschafter.
In den folgenden Jahrzehnten legen die drei steile Karrieren hin. Sie übernehmen Botschafterposten in Städten wie Peking, Berlin und Brüssel, sie werden zu Staatssekretären ernannt und führen im Auftrag der Eidgenossenschaft rund um den Globus heikle Verhandlungen. Heute stehen die einstigen Klassenkollegen kurz vor dem Pensionsalter oder haben es bereits erreicht.
Doch ihr Einfluss auf die Schweizer Aussenpolitik ist 34 Jahre nach dem ersten Zusammentreffen ungebrochen: In der Debatte über die Zukunft der bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union zählen sie zu den tonangebenden Akteuren, sie entscheiden mit, wie der Streit um die Personenfreizügigkeit ausgehen wird. Die Rede ist von EU-Chefunterhändler Jacques de Watteville, ETH-Professor und Ex-Staatssekretär Michael Ambühl und Tim Guldimann, SP-Nationalrat und bis 2015 Schweizer Botschafter in Deutschland.
Staatssekretär Jacques de Watteville
verhandelt seit einem Jahr mit der
EU über die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.
Die Presse
bezeichnete den grossgewachsenen
Waadtländer bei seiner Ernennung
zum Chefunterhändler vergangenes
Jahr als «Superdiplomaten». Kollege
Guldimann sagt, schon Anfang der
80er Jahre sei klar gewesen, dass
es de Watteville weit bringen würde:
«Er hatte nach der zweijährigen
Probezeit den besten Abschluss in
unserer Gruppe.»
Am Montag reiste de Watteville erstmals
seit dem Brexit-Entscheid Grossbritanniens
nach Brüssel. Die Erwartungen
an ihn sind immens: Bis Ende
Sommer soll er mit der EU eine Einigung
darüber erzielen, wie die Schweiz
die Zuwanderungsinitiative umsetzen
kann, ohne das Personenfreizügigkeitsabkommen
zu verletzen. Die Gefahr, zu
scheitern, ist gross. Ex-Botschafter Guldimann
sagt, es wäre fehl am Platz, de
Watteville die Schuld zu geben,
sollten Verhandlungen zu keinem
Ergebnis führen. «Man könnte genauso
gut einem Diplomaten den Auftrag
geben, einem Eskimo Schnee zu verkaufen.
Und wenn er nicht mit dem
Wunder zurückkommt, wirft man ihm
vor, nicht gut verhandelt zu haben.»
Bei einer Anhörung vor Aussenpolitikern des National- und Ständerates zeigte sich de Watteville gestern verhalten optimistisch. Die EU sei trotz Brexit-Entscheid weiterhin gesprächsbereit.
Im Hintergrund, aber immer noch äusserst einflussreich, ist de Wattevilles Ex-Klassenkollege Michael Ambühl, sein Vorgänger als Staatssekretär. Nachdem der Berner während Jahrzehnten von Washington bis Tripolis für die Schweiz die Kohlen aus dem Feuer holte, wurde er 2013 ordentlicher Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich.
Trotz
Rückzug aus dem politischen Alltag
fällt der Name Ambühl in Bundesbern
bis heute regelmässig. Im Auftrag der
Kantonsregierungen entwickelte er
eine Schutzklausel als Lösungsvorschlag
zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative:
Diese sieht zeitlich
befristete, auf Regionen und Branchen
ausgerichtete Beschränkungen
vor. Eine Lösung, welche das Personenfreizügigkeitsabkommen
nicht frontal
verletzen würde, wie dies bei starren
Kontingenten und Höchstzahlen der
Fall wäre. Bundespräsident Johann
Schneider-Ammann liess dieses Wochenende
in der Sonntagspresse Interesse
am «Modell Ambühl» durchblicken.
Ob sich die EU wirklich darauf
einlassen wird, ist offen. Tatsache ist
aber: Ambühls Ideen sind im Bundesrat
mehr als nur ein Randthema.
Bleibt Tim Guldimann, Ex-Botschafter
in Berlin, der Ende letzten Jahres
für die Zürcher SP in den Nationalrat
gewählt wurde. Mit seiner Erfahrung
als Diplomat geniesst der prominente
Zürcher unter Aussenpolitikern einen
Sonderstatus. Er gehört zu jenen
Stimmen im Parlament, die eine zweite
Abstimmung über den Zuwanderungsartikel
anstreben, und verleiht der Idee
damit besonderes Gewicht. Sollte der
unorthodoxe Vorschlag zur Lösung
des Zuwanderungsstreits in der Bundesversammlung
tatsächlich eine Mehrheit
finden, wird seine Unterstützung
entscheidend sein.