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Drei ehemalige Klassenkollegen prägen die Schweizer EU-Debatte

Die Schweiz und die EU: Wie soll es weitergehen?
Die Schweiz und die EU: Wie soll es weitergehen?
Bild: KEYSTONE

Drei ehemalige Klassenkollegen prägen die Schweizer EU-Debatte

Die Gespräche zwischen Bern und Brüssel laufen auf Hochtouren. Mittendrin drei Männer, die vor über 30 Jahren gleichzeitig in den diplomatischen Dienst eingetreten sind.
29.06.2016, 05:2729.06.2016, 12:15
lorenz honegger / Aargauer Zeitung
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Bern im Jahr 1982. Drei Männer Anfang 30 beginnen beim Aussendepartement die Ausbildung zum Diplomaten: Der erste ist Jurist, der zweite Ökonom und Mathematiker, der dritte Politikwissenschafter.

In den folgenden Jahrzehnten legen die drei steile Karrieren hin. Sie übernehmen Botschafterposten in Städten wie Peking, Berlin und Brüssel, sie werden zu Staatssekretären ernannt und führen im Auftrag der Eidgenossenschaft rund um den Globus heikle Verhandlungen. Heute stehen die einstigen Klassenkollegen kurz vor dem Pensionsalter oder haben es bereits erreicht.

Doch ihr Einfluss auf die Schweizer Aussenpolitik ist 34 Jahre nach dem ersten Zusammentreffen ungebrochen: In der Debatte über die Zukunft der bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union zählen sie zu den tonangebenden Akteuren, sie entscheiden mit, wie der Streit um die Personenfreizügigkeit ausgehen wird. Die Rede ist von EU-Chefunterhändler Jacques de Watteville, ETH-Professor und Ex-Staatssekretär Michael Ambühl und Tim Guldimann, SP-Nationalrat und bis 2015 Schweizer Botschafter in Deutschland.

Der «Superdiplomat»

Staatssekretär und
«Superdiplomat» Jacques
de Watteville.
Staatssekretär und «Superdiplomat» Jacques de Watteville.
Bild: KEYSTONE

Staatssekretär Jacques de Watteville verhandelt seit einem Jahr mit der EU über die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Die Presse bezeichnete den grossgewachsenen Waadtländer bei seiner Ernennung zum Chefunterhändler vergangenes Jahr als «Superdiplomaten». Kollege Guldimann sagt, schon Anfang der 80er Jahre sei klar gewesen, dass es de Watteville weit bringen würde: «Er hatte nach der zweijährigen Probezeit den besten Abschluss in unserer Gruppe.»

Am Montag reiste de Watteville erstmals seit dem Brexit-Entscheid Grossbritanniens nach Brüssel. Die Erwartungen an ihn sind immens: Bis Ende Sommer soll er mit der EU eine Einigung darüber erzielen, wie die Schweiz die Zuwanderungsinitiative umsetzen kann, ohne das Personenfreizügigkeitsabkommen zu verletzen. Die Gefahr, zu scheitern, ist gross. Ex-Botschafter Guldimann sagt, es wäre fehl am Platz, de Watteville die Schuld zu geben, sollten Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen. «Man könnte genauso gut einem Diplomaten den Auftrag geben, einem Eskimo Schnee zu verkaufen. Und wenn er nicht mit dem Wunder zurückkommt, wirft man ihm vor, nicht gut verhandelt zu haben.»

Bei einer Anhörung vor Aussenpolitikern des National- und Ständerates zeigte sich de Watteville gestern verhalten optimistisch. Die EU sei trotz Brexit-Entscheid weiterhin gesprächsbereit.

Der Professor

ETH-Professor und
Ex-Staatssekretär
Michael Ambühl.
ETH-Professor und Ex-Staatssekretär Michael Ambühl.
Bild: KEYSTONE

Im Hintergrund, aber immer noch äusserst einflussreich, ist de Wattevilles Ex-Klassenkollege Michael Ambühl, sein Vorgänger als Staatssekretär. Nachdem der Berner während Jahrzehnten von Washington bis Tripolis für die Schweiz die Kohlen aus dem Feuer holte, wurde er 2013 ordentlicher Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich.

Trotz Rückzug aus dem politischen Alltag fällt der Name Ambühl in Bundesbern bis heute regelmässig. Im Auftrag der Kantonsregierungen entwickelte er eine Schutzklausel als Lösungsvorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative: Diese sieht zeitlich befristete, auf Regionen und Branchen ausgerichtete Beschränkungen vor. Eine Lösung, welche das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht frontal verletzen würde, wie dies bei starren Kontingenten und Höchstzahlen der Fall wäre. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann liess dieses Wochenende in der Sonntagspresse Interesse am «Modell Ambühl» durchblicken. 

Ob sich die EU wirklich darauf einlassen wird, ist offen. Tatsache ist aber: Ambühls Ideen sind im Bundesrat mehr als nur ein Randthema.

Jetzt auf

Der Nationalrat

Ex-Botschafter und
heute SP-Nationalrat
Tim Guldimann.
Ex-Botschafter und heute SP-Nationalrat Tim Guldimann.
Bild: KEYSTONE

Bleibt Tim Guldimann, Ex-Botschafter in Berlin, der Ende letzten Jahres für die Zürcher SP in den Nationalrat gewählt wurde. Mit seiner Erfahrung als Diplomat geniesst der prominente Zürcher unter Aussenpolitikern einen Sonderstatus. Er gehört zu jenen Stimmen im Parlament, die eine zweite Abstimmung über den Zuwanderungsartikel anstreben, und verleiht der Idee damit besonderes Gewicht. Sollte der unorthodoxe Vorschlag zur Lösung des Zuwanderungsstreits in der Bundesversammlung tatsächlich eine Mehrheit finden, wird seine Unterstützung entscheidend sein.

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Der Zahnarzt
29.06.2016 08:26registriert März 2016
Wie wäre es, wenn sich Superman, Batman und Spiderman mit der Frage beschäftigen würden, warum mehr als 50% Ja zu MEI gesagt haben, wo die Leute der Schuh drückt und was man dagegen machen könnte? - Hinweis an unsere Superhelden: grosser und gleichmässig verteilter Wohlstand ist während der Zeit der sozialen Marktwirtschaft entstanden und wird zur Zeit von der Säure des Neoliberalismus wieder zerstört.
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