Lieber Herr Berset
General Dufour, der Befehlshaber der Eidgenossenschaft im Sonderbundskrieg, gab für die kriegerische Auseinandersetzung mit den Sonderbunds-Kantonen folgende Losung aus: «Il faut sortir de cette lutte non seulement victorieux, mais aussi sans reproche.» Man müsse aus diesem Kampf gegen die katholischen Kantone nicht nur siegreich, sondern auch ohne Vorwurf hervorgehen. Deshalb hat er auf Ihre Geburtsstadt Fribourg nicht feuern lassen, sondern einfach auf Einsicht und Kapitulation gewartet.
Als gescheiter General wusste Dufour auch, dass man in einem Krieg niemals mehr als drei Tage vorausplanen kann, zu mannigfaltig sind die Unwägbarkeiten. Fragte man Dufour vor einer Operation, was er denn zu tun gedenke, wenn dieses oder jenes nicht klappe, pflegte er zu sagen: «Nous verrons ensuite.» Das schauen wir dann, wenn es so weit ist. Ein Problem nach dem anderen lösen und immer noch was in der Hinterhand haben.
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Sie wären ein General ganz nach Dufours Geschmack.
Denn nach seinen Maximen handeln Sie auch in der Bewältigung der Corona-Krise. Der Gegner hat Sie zwar überrascht, was immer zu Chaos und vernichtenden nachträglichen Manöverkritiken führt, aber das ist jetzt noch nicht schlimm. Was danach zählte, war, richtig zu priorisieren, ein Problem nach dem anderen zu lösen und so wenig Leute nachhaltig gegen sich aufzubringen wie möglich.
Das haben Sie bis jetzt hingekriegt. Erste und dauerhaft übergeordnete Priorität hat das einschneidende Social Distancing zur Eindämmung des Virus. Um Zeit zu gewinnen, die Spitalkapazitäten hochzufahren, diese über längere Zeit nicht zu überschreiten und damit viele Leben zu retten. Das funktioniert nur, wenn die Existenzen gesichert sind, denn eine um ihre Existenz fürchtende Bevölkerung bleibt nicht daheim. Das war deshalb zweite Priorität und ist auch in dieser Reihenfolge kommuniziert worden.
Beides haben Sie zusammen mit dem Bundesratsgremium gut hingekriegt. Sie haben in zwei Wochen sehr viel vorherige Versäumnisse aufgeholt oder aufholen lassen. Sie haben die Ausgangslage dank gut koordinierter Vorbereitungsmassnahmen verbessert und die Infektionskurve in die richtige Richtung gelenkt. Auch Ihr Entscheid, die Bevölkerung ohne Zwangsmittel zur weitgehenden Einhaltung der Distanzregeln zu bewegen, war richtig.
Damit haben Sie zwar die maximal mögliche Einschränkung der Sozialkontakte und Ansteckungsmöglichkeiten verpasst. Dafür haben Sie es vermieden, die Bevölkerung gegen die Behörden aufzubringen. Denn dann hätten Sie viele Ressourcen in die Durchsetzung einer Ausgangssperre stecken müssen, die im Kapazitätenausbau des Gesundheitswesens sehr viel sinnvoller eingesetzt sind.
Die Doktrin der Freiwilligkeit im Social Distancing ist aber nicht nur ressourcenschonender als Zwang, sondern auch nachhaltiger. Das ist mindestens so wichtig.
Sie wissen, dass die Massnahmen später und nur sehr viel punktueller gelockert werden können, als Wirtschaftsvertreter jetzt verlangen und sich die Bevölkerung das jetzt vorstellt. Sanftere und auf Eigenverantwortung basierende Einschränkungen lassen sich länger durchhalten und auch in einer feiner abgestuften Kaskade lockern.
Bis jetzt scheint es mit dem von Ihnen eingeschlagenen Weg nicht so schlecht zu funktionieren. Sie haben wüste Szenen vermieden, in denen Polizisten oder Soldaten gewaltsam gegen die eigene Bevölkerung hätten vorgehen müssen, so wie es in anderen Ländern der Fall war. Da müssen Sie sich nichts vorwerfen – pas de reproche.
Und für den Fall, dass es mit der freiwilligen Disziplin der Bevölkerung und dem Verständnis der Wirtschaft nicht so lange hinhält wie nötig, um die Corona-Verbreitung unter Kontrolle zu halten, dann haben Sie und der Bundesrat schärfere Massnahmen, höhere Bussen und – als Ultima Ratio – die «Ausgangssperre» immer noch in der Hinterhand.
Nous verrons ensuite.
Hochachtungsvoll
Maurice Thiriet
Ich hab schon mehrmals gedacht, dass wir froh sein können, in einem der wenigen Länder zu leben wo das Staatsoberhaupt noch nicht erklärt hat, dass das Land "im Krieg" ist.
Vielen Dank für diese gut geschriebenen Worte, die fast exakt meine Meinung widerspiegeln.
Ich muss dem Gesamtbundesrat, insbesondere Herrn Berset, ein dickes Kompliment aussprechen für die Art und Weise wie kommuniziert wurde und für die (meiner Meinung nach) richtigen Massnahmen die bis jetzt getroffen worden sind.
Hochachtungsvoll 😜
Pat the Rat