Warum Dominic Moore? Er ist am 3. August bereits 38 geworden. Er hat im letzten Frühjahr nach 998 NHL-Partien für die Rangers, Pittsburgh, Minnesota, Toronto, Montréal, Buffalo, Tampa, San José und Boston keinen Vertrag mehr bekommen und erst beim Spengler Cup wieder wettkampfmässig Hockey gespielt. Und bloss zwei Assists gebucht. Letzte Saison hat er in Toronto in 50 NHL-Spielen gerade noch 6 Tore erzielt.
Aber Sven Leuenberger hat durchaus gute Argumente. «Er hat diese Saison mit dem Universitätsteam in Boston trainiert und ist in guter Form. Beim Spengler Cup hatte er für die Kanadier pro Spiel mehr als eine Viertelstunde Eiszeit und er war schneller als einige jüngere Kollegen, die bei Schweizer Teams unter Vertrag sind.»
Der ZSC-Sportchef hat seine Neuerwerbung nicht nur in Davos beobachtet. Er erkundigte sich weitherum. «Guy Boucher war von ihm begeistert, als er ihn in Tampa im Team hatte.» Und er macht einen Vergleich mit SCB-Leitwolf Andrew Ebbett. «Ebbett hatte in der NHL keineswegs die besseren Statistiken.»
Der ZSC-Sportchef geht davon aus, dass Dominic Moore produktiver sein wird, wenn er eine offensivere Rolle als in der NHL bekommt. Und setzt auch auf die Führungsqualitäten des kanadischen Mittelstürmers auf und neben dem Eis.
So oder so: in den Playoffs und in den entscheidenden Partien um die Playoff-Qualifikation zählt Erfahrung mehr als jugendlicher Übermut. Die Nordamerikaner sagen, wenn es um die Entscheidung geht, nicht von ungefähr: «Play the Veterans». Und ein besserer Mittelstürmer ist zurzeit nicht auf dem Markt.
Das Risiko des Scheiterns gibt es bei jeder Verpflichtung eines ausländischen Arbeitnehmers. So oder so kommt mit Dominic Moore ein Spieler aus einer der interessantesten Hockeyfamilien Nordamerikas.
Dominic, Steve und Mark Moore haben alle drei die Harvard-Universität besucht, dort Hockey gespielt und alle drei wurden von NHL-Klubs gedrafted.
Steve Moore (40) ist weltweit in die Schlagzeilen geraten, als er für Colorado stürmte und am 8. März 2004 im Spiel gegen Vancouver von Todd Bertuzzi in einem der schlimmsten Vorfälle der NHL Geschichte buchstäblich zusammengeschlagen wurde.
Steve Moore erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und drei Brüche in den Nackenwirbeln. Seine Karriere war nach nur 69 NHL-Partien beendet. Todd Bertuzzi wurde für den Rest der Saison gesperrt (was Vancouver wahrscheinlich den Stanley Cup kostete) und musste vor einem zivilen Gericht antraben. Er wurde mit einer einjährigen Bewährungsfrist bedingt freigesprochen. Darüber hinaus musste Vancouver eine Busse von 250'000 Dollar bezahlen. Ironie der Geschichte: damals musste auch der Coach der Vancouver Canucks vor Gericht erscheinen. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Todd Bertuzzi zu dieser Aktion aufgehetzt. Später hat Marc Crawford die ZSC Lions gecoacht.
Mark Moore (41) erlebte diesen hässlichen Zwischenfall zu Hause vor dem TV-Apparat. Im Herbst 2003 hatte er schweren Herzens eine Einladung ins Trainingscamp der Montréal Canadiens abgelehnt. Der Verteidiger litt an den Nachwirkungen einer Gehirnerschütterung und musste seine Karriere vor dem ersten NHL-Spiel abbrechen.
Als Absolvent eines Havard-Studiums hätte er sich nun vom Hockey abwenden können. Er galt aufgrund seiner Leistungen in Havard als «Smartest Man in Hockey». Er hatte einen Eignungstest mit 1590 von maximal möglichen 1600 Punkten bestanden.
Doch Mark Moore ist nicht vom Hockey losgekommen. Er hat ein viel beachtetes Buch über Kanadas Nationalsport geschrieben. «Saving the Game – pro Hockey’s Quest to Rise its Game from Crisis to New Heights ».
In diesem umfangreichen Werk (420 Seiten) mit einem Vorwort von Paul Henderson setzt er sich intensiv und klug in fünf Kapiteln (Warm-Up, First Period, Second Period, Third Period und Overtime) mit den verschiedenen Problemen des Eishockeys auseinander, sowohl den wirtschaftlichen wie den sportlichen. Unter anderem sind darin auch der Angriff auf seinen Bruder und das Phänomen der Gewalt im Hockey ein Thema («Exorcing the Demon of Violence»). Es ist eines der klügsten Bücher, die je über Eishockey geschrieben worden sind. Ich habe es in einem Zug gelesen.
Nun wird also sein Bruder Dominic für die ZSC Lions stürmen. Er ist nach dem Spengler Cup gleich in Zürich geblieben. Sobald der Papierkram erledigt ist (Arbeitsbewilligung, Lizenz) wird er eingesetzt. Sollte er wider Erwarten sportlich nicht erfolgreich sein, so hat er sicherlich viel Interessantes aus der weiten Welt des Eishockeys zu erzählen.