«Amour fou» steht für eine verhängnisvolle Liebe. Eine «amour fou» endet im richtigen Leben meistens im Chaos. Im Eishockey auch.
Die Verpflichtung von Arno Del Curto als ZSC-Trainer ist eine «amour fou» des Hockeys. Hinterher mag nun mancher sagen, dieser Trainerwechsel von Serge Aubin zu Arno Del Curto sei ein Fehler gewesen.
Aber der Trainerwechsel war kein Fehler. Weder die ZSC Lions noch Arno Del Curto konnten dieser Versuchung widerstehen. Es musste einfach sein. Auch die Hockey-Götter wollten es.
Die Gelegenheit war so günstig, als hätten höhere Mächte Regie geführt: Arno Del Curto war in Davos gescheitert und hatte keinen Job mehr. Die ZSC Lions waren just zum gleichen Zeitpunkt mit einem «farblosen» Trainer im Mittelmass unzufrieden und wollten bessere Unterhaltung. Wenn nicht jetzt Arno, wann dann? Alle wollten es. Soll jetzt keiner kommen und sagen, er habe gewarnt und gewusst, dass es so herauskommen wird.
Das Scheitern ist wahrlich kläglich. Die 2:3-Niederlage in Genf ist eine der schmählichsten in der Geschichte der ZSC Lions.
Gross werden nun Spott, Häme und Schadenfreude sein. Aber eines geht dabei leicht vergessen: diese Schmach hat für die ZSC Lions keine schwerwiegenden Folgen. Anders als der EHC Kloten, Fussball-GC oder der FCZ haben die ZSC Lions eine breite wirtschaftliche und sportliche Basis und so viel Sportkompetenz, dass sie weiterhin Jahr für Jahr eine Chance haben, die Meisterschaft zu gewinnen. Die Basis ist auch besser als in Bern und Lugano. Deshalb können wir sagen: die Playoffs verpasst – na und? Alles halb so schlimm.
Ein paar Herren sind im Stolz verletzt. Aber das wird bald überwunden sein. Braucht es ein «House Cleaning»? Einen neuen Sportchef? Nein, braucht es nicht. Keiner weiss besser, wie eine solche Schmach zu managen ist als Sven Leuenberger. Er war schliesslich in Bern Sportchef, als der SCB 2014 als erster Meister die Playoffs verpasst hatte. Zwei Jahre später war der SCB schon wieder Meister.
Wer in einer «amour fou» den Kopf verliert, hat noch lange nicht den Hockey-Verstand eingebüsst. Die Verpflichtung von Arno Del Curto brachte einfach – wie es für eine «amour fou» typisch ist – viel zu viele Erregungen ins Haus. Es braucht nun lediglich neues ausländisches Personal (wer noch Vertrag hat, sollte ausbezahlt werden, das ist ja kein Problem), einen oder zwei Transfers aus laufenden Verträgen heraus (Sven Leuenberger wird schon wissen, welche) und eine Neuorganisation rund um Arno Del Curto.
Wenn der Trainer wie ein Rockstar gefeiert wird und wichtiger wird als der wichtigste Spieler, dann kommt das Gefühl auf, der Trainer werde es schon richten. Erst recht, wenn auch noch die Kultfigur Mathias Seger zum Assistenten gemacht wird.
Der Vergleich von Arno Del Curto mit einem Rockstar ist vielerorts bemüht worden. Und wenn wir diesem Bild folgen, ist das ZSC-Trainertrio Arno Del Curto, Mathias Seger und Michael Liniger tatsächlich sehr gut musikalisch zu erklären.
Arno Del Curto war Mick Jagger, Mathias Seger von der Art her (aber nicht den politischen Ansichten) Gölä und der freundliche, intellektuelle Primarlehrer Michael Liniger Bob Dylan. Kein Wunder, haben wir in diesem Zirkus nicht mehr den wahren Arno Del Curto gesehen.
Und was bleibt, wenn sich der Pulverdampf erst einmal verzogen hat und Arno mit den ZSC Lions das «Ich-schäme-mich-Spiel» in der Abstiegsrunde in Davos oben überstanden hat? Die Einsicht, dass die Beziehung mit Arno Del Curto von einer «amour fou» in eine Ehe überführt werden sollte.
Die ZSC Lions sind ihm diese Ehe schuldig. Sie haben ihn unter dem tosenden Applaus des Publikums zu dieser «amour fou» verführt und jetzt wäre es schäbig, ihn sitzen zu lassen. Denn nach diesem Scheitern sind Arno Del Curtos Karrierechancen in der höchsten Spielklasse ruiniert. Arno in Bern? Nicht mehr möglich. Arno in Zug? Keine Chance. Arno in Langnau? Unmöglich. Arno bei den Lakers? Nein, geht nicht. Arno in Biel? Undenkbar. Arno in Ambri? Niemals. Arno im Welschland bei Gottéron, Lausanne oder Servette? Ein Witz.
Es gibt für ihn eigentlich nur noch einen Klub, der es wagen würde, ihn zum Cheftrainer zu machen. Der EHC Kloten. Alle anderen fürchten sich vor der Anstellung eines Rockstars, der mehr Schlagzeilen macht als der beste Spieler, immer für eine mediale Polemik gut ist und für permanenten Unruhe sorgt. Ja, an einem einzigen Tag können sich Ruhm und Ehre und Respekt, erarbeitet in 22 Jahren, auflösen wie ein Morgennebel.
Aber kann Arno Del Curto ZSC Trainer sein? Natürlich kann er das. Aber er braucht nun einen Assistenten, der ihm den taktischen Haushalt macht und dafür sorgt, dass die Distanz zwischen ihm und den Spielern wieder grösser wird. Dieser Assistent kann weder Mathias Seger und Michael Liniger sein.
Arno Del Curtos Erfolgsgeheimnis zu Beginn der 1990er-Jahren in Zürich und dann ab 1996 in Davos war seine Nähe zu den Spielern. Und so lange er die Sprache der Spieler sprach, ihre Musik hörte und mit ihnen Karten spielte, gingen sie für ihn durchs Feuer.
Aber mit der Zeit genügte es nicht mehr, die Musik der Jungen zu hören und das Haar zu färben um wie die Jungen zu denken und zu fühlen. Mit dem Abschied der letzten Getreuen, den «Zeugen Del Curtos», hat er in Davos durch seine Nähe zum Personal (die zuvor sein Erfolgsgeheimnis war) den Respekt der Spieler verloren.
Die ZSC Lions kann Arno Del Curto nicht mit Nähe führen. Sonst macht er sich auf Dauer als «Alpöhi» lächerlich. Rockmusik hin, Rockmusik her.
Es ist wichtig, dass ein ZSC-Trainer tobt, Emotionen entfacht, rockt und rollt. Das tun auch Heinz Ehlers oder Kari Jalonen. Aber mit der nötigen Respekts-Distanz. So wie das im Hallenstadion schon Bob Hartley und Marc Crawford und Hans Kossmann getan haben. Und da ist noch etwas: bleibt der Trainer, stehen endlich die Spieler in der Verantwortung. Zu viele haben vergessen, wie man das Wort Verantwortung buchstabiert.
Der Sommer wird vieles neu machen. Die ersten Misserfolge in 22 Jahren werden Arno von seiner bisweilen ins Lächerliche gesteigerten Hybris (die ihn manchmal von sich selbst in der dritten Person sprechen liess) heilen. Er kann im guten Sinne ein verrückter Coach werden. Er kann es aber – wie vorhin aufgezeigt – nur noch im Hallenstadion. Weil er nur noch hier ernst genommen wird.
Und wenn es dann doch nicht funktioniert? Dann wird die Unterhaltung grandios sein. Die ZSC Lions haben bei weitem genug Substanz, um dieses Risiko einzugehen.
Wenn in einer so mächtigen Hockeyfirma das Chaos ausbricht, sollte die Konkurrenz nicht zu laut lachen. Der SCB feuerte als Titelverteidiger Antti Törmänen und ersetzte den Meistertrainer durch den NHL-General Guy Boucher. Der Kanadier – letztlich ein Clown, der nicht lustig war – versenkte den Meister in der Abstiegsrunde und durfte trotzdem bleiben. Es wurde immer schlimmer und gross war die Häme, als die Berner im Laufe der Saison 2015/16 Guy Boucher feuerten, durch Lars Leuenberger ersetzten und die Playoffs nur auf Rang 8 schafften, weil sie punktgleich mit Lausanne die bessere Bilanz aus den Direktbegegnungen hatten.
Und was passierte dann? Der SCB wurde mit Lars Leuenberger 2016 Meister und verteidigte den Titel 2017 mit Kari Jalonen.
Die Berner sollten noch aus einem anderen Grund nicht schadenfreudig sein. Niklas Schlegel, nächste Saison die Nummer 1 in Bern, war in den beiden letzten Partien, den zwei wichtigsten seiner ZSC-Karriere, mit Fangquoten von 84,85 bzw. 88,89 Prozent kein Held.
Häme, Schadenfreude und Spott tun der Seele für ein paar Tage wohl. Aber es wäre fatal, die ZSC Lions zu unterschätzen.