Und nun also Doug Shedden. Der zehnte Cheftrainer, der seit dem letzten Titelgewinn in Lugano gescheitert ist. Manchmal kamen die Entlassungen überraschend, einer ging sogar freiwillig. Die Amtsenthebung von Doug Shedden hat sich hingegen längst abgezeichnet. Seit Oktober war die Frage nicht mehr, ob er gehen muss, sondern nur noch wann. Aber weil alle gesagt, gesendet und geschrieben haben, er müsse gehen, hat Luganos Management in einer Art «spätpubertären Trotzphase» den Trainer weit über die Zeit hinaus im Amt gehalten.
Trainerkrisen gehören zu Lugano wie Regierungskrisen zu Italien. Das macht Lugano interessant und faszinierend. Dieses Hockeyunternehmen hat früher, als es noch kompetent gemanagt wurde, viel zur sportlichen Entwicklung unserer Hockeykultur beigetragen. Heute bereichert Lugano unser Hockey mit seiner Unterhaltungskultur.
Eishockey in Lugano ist wie eine Oper. Wenn der Heldentenor (der Trainer) wieder einmal stürzt und der Vorhang fällt, applaudiert das Publikum und der soeben gestürzte Held kommt hinter dem Vorhang hervor und fragt: «Wo gehen wir essen? Wann kommt meine Abfindung?» Und das Publikum freut sich schon auf den nächsten Heldentenor. Bezeichnenderweise musste auch beim letzten Titelgewinn von 2006 während der Saison der Heldentenor in dieser Hockeyoper ausgetauscht werden (Harold Kreis für Larry Huras).
Die Rechnungen für dieses Hockey-Opernhaus zahlt nicht die Stadt. Sondern die sportfreundliche Milliardärin Vicky Mantegazza. Ihr Vater Geo Mantegazza ist der Begründer des modernen Lugano und revolutionierte einst unser Hockey mit dem «Grande Lugano» (Meister 1986, 1987, 1988 und 1990).
Wie kann es sein, dass schon wieder ein Heldentenor gestürzt ist, dass ein grosser Bandengeneral gehen muss, der noch im letzten Frühjahr als erster Trainer seit dem Titelgewinn von 2006 mit Lugano wieder eine Playoffserie gewonnen und es schliesslich sogar bis in den Final gebracht hat?
Doug Shedden war, wie alle seine gescheiterten Vorgänger, einfach nicht dazu in der Lage, eine Leistungskultur aufzubauen. Das ist einigermassen erstaunlich. Immerhin war der Kanadier zuvor in Zug erst in seiner sechsten Saison entlassen worden. Und doch liegt darin eine Erklärung: Das Management in Zug arbeitet auch nicht fehlerlos. Aber es arbeitet, führt das Unternehmen mit einer klaren Strategie und ist dazu in der Lage, die Autorität des Trainers zu schützen.
In Lugano steht und fällt der Trainer mit der Gunst der Spieler. Weil nicht nur der Trainer, sondern auch die Spieler das Ohr von Präsidentin Vicky Mantegazza haben. Und weil Sportchef Roland Habisreutinger als opportunistischer «Sekretär» seiner Präsidentin keine eigene Strategie entwickelt und umsetzt ist der Trainer letztlich chancenlos. Würde er eine eigene Strategie entwickeln und umsetzen, hätte er seinen Job schon lange verloren.
Die Trainer-Entlassung folgt diesmal nach einer 0:4-Pleite in Zug. Es ist ein Finale der Amtszeit von Doug Shedden wie aus einem Hollywood-Film. Lugano ist nämlich unter dem kanadischen Feuerkopf das «böseste» Team der Liga geworden.
Die Hockeysprache zeichnet sich durch die Kreation einprägsamer Begriffe aus. Beispielsweise für harte, raue, erfolgreiche Mannschaften. Die Boston Bruins («the Big Bad Bruins») waren in den 1970er Jahren die erste Mannschaft der Neuzeit, die eine Strategie des Bösen erfolgreich umsetzte und 1970 und 1972 den Stanley Cup holte. Bostons einschüchternde Härte, die Mischung aus Talent und Wucht, Bösartigkeit und Kunst fasziniert bis heute.
In der NLA baute Manager Roland von Mentlen in Bern einst das Team der «Big Bad Bears». Der SCB stürzte die spielerisch überlegene Dynastie des HC Lugano und holte 1989 und 1991 den Titel. Die grossen, bösen Bären gelten noch heute als eines der physisch stärksten NLA-Teams aller Zeiten. Und nun haben wir die «Big Bad Bunnies». Luganos grosse, böse Hasen. Die lächerlichsten Bösewichte der Neuzeit.
Hinter den «Big Bad Bruins» und hinter den «Big Bad Bears» stand eine Philosophie, ein Konzept, eine Strategie. Deshalb waren diese Mannschaften so erfolgreich.
Der HC Lugano ist weit von einem wirklich bösen und einschüchternden Auftreten entfernt. Wie die meisten Kanadier überschätzt Cheftrainer Doug Shedden die Wirkung des Bösen im modernen Hockey. Auch deshalb opfert Lugano als einziges NLA-Team eine Ausländerlizenz für den vermeintlichen NHL-Bösewicht Maxim Lapierre.
Eine der vier Ausländerpositionen mit einem spielerischen Nonvaleur zu besetzen, ist einer der Gründe, warum Lugano im letzten Frühjahr im Final gescheitert ist, jetzt um die Playoffs zittern muss und Doug Shedden gehen muss. Maxim Lapierre (31) ist tatsächlich ein Bösewicht – aber einer mit einer bescheidenen Bilanz. Der Kanadier hat in der NHL zwischen 2007 und 2015 insgesamt 23 «Fights» ausgetragen und davon nur drei gewonnen. Zuletzt waren seine NHL-Auftritte nur noch Possen, die dem eigenen Team schadeten.
Lugano ist mit 611 Strafminuten das zweitböseste Team der Liga – und niemand nimmt die selbsternannten Bösewichte ernst oder fürchtet sie gar. Wer so viele Strafen kassiert, sollte dafür wenigstens respektiert und gefürchtet werden. Doch das ist nicht der Fall. Wie soll denn auch eine Mannschaft, die getragen wird von freundlichen schwedischen Schillerfaltern, je irgendjemanden das Fürchten lernen? Deshalb die Bezeichnung «Big Bad Bunnies». Grosse, böse Hasen.
Eine erfolgreiche Strategie des Bösen setzt strikte Disziplin voraus. Weil unkontrollierte Bösartigkeit die Struktur des eigenen Spiels zersetzt. Diese Disziplin muss der Coach durchsetzen. Bei der Strategie des Bösen ist die Autorität des Cheftrainers von zentraler Bedeutung. Doug Shedden war letzte Saison der perfekte Nothelfer. Er führte die Mannschaft vom letzten Platz weg bis in den Final. So lange seine Autorität glitzerte und glänzte, rockte Lugano und war physisch präsent wie nie mehr seit dem letzten Titel von 2006.
Aber Doug Sheddens Autorität ist im Herbst wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, neigt der Kanadier zu destruktiver Autorität. Seine Temperamentsausbrüche sind dann nicht mehr sachorientiert. Sie zielen auf den Mann. Das funktioniert bloss ein paar Wochen. Erst recht, wenn die Spieler ganz genau wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Trainer gehen muss, den sie nicht mehr mögen.
Ein autoritärer Kanadier, der auf freundliche schwedische Schillerfalter angewiesen ist – eine abenteuerliche Konstellation, die zur Entlassung des Trainers führen musste. Die verlorene Autorität des Cheftrainers war eines der grossen Probleme Luganos.
Die Disziplin ist nicht nur im Zweikampfverhalten ungenügend. Sie ist es auch im taktischen Verhalten. Spektakuläres Zeichen dafür: Lugano hat von allen NLA-Teams die meisten Gegentreffer kassiert. Selbst bei allergrösstem Verletzungspech ist Luganos Abwehr immer noch besser besetzt als Langnaus oder Biels oder Ambris Verteidigung. Und Torhüter Elvis Merzlikins gehört zu den Besten der Liga. Es entspricht dem taktischen Larifari-Betrieb, dass die teuerste Mannschaft ausserhalb der NHL und der KHL in dieser Saison gerade Mal drei Auswärtspartien gewonnen hat.
Es passt ins Bild, dass sich Lugano am Samstag in Zug mit einer 0:4-Niederlage und wildem Rowdytum auf dem Eis lächerlich gemacht hat. Mit Maxim Lapierre in einer Hauptrolle. Bereits nach 26 Sekunden kassierte er wegen unsportlichen Verhaltens seine erste Strafe und in der 39. Minute wurde er dann nach einer wilden Prügelei vorzeitig unter die Dusche geschickt. Am Ende setzte es insgesamt 94 Strafminuten ab – Saisonrekord.
Zug ist die böseste Mannschaft der Liga (612 Strafminuten) und liess sich nicht einschüchtern oder aus dem Konzept bringen. Im Gegensatz zu Lugano haben die Zuger mit Timo Helbling, Dominik Schlumpf oder Johann Morant ein paar wirklich harte Jungs in ihren Reihen und ein funktionierendes taktisches Konzept. Sie pflegen als «Big Bad Bulls» eine gesunde, raue nordamerikanische Spielkultur und sind wenigstens in der Qualifikation wieder ein Spitzenteam geworden. Aber spielerische Qualitäten sind wichtiger als das Einschüchterungsvermögen. Zug ist kein «böses» Team. Aber die Zuger können ihr Talent schützen.
Eine Strategie des Bösen wie in den 1970er Jahren in Boston und später in Philadelphia und in der Schweiz in moderater Form in den 1990er Jahren in Zug und in Bern funktioniert sowieso seit Einführung der strikten Regelanwendung («Nulltoleranz») im Herbst 2005 nicht mehr. Es hilft immer noch, ab und zu ein Zeichen zu setzen – aber nicht einmal dazu ist Lugano in der Lage.
Kommt die Entlassung von Doug Shedden zu früh oder zu spät oder gerade im richtigen Zeitpunkt? Die Antwort auf diese Frage entscheidet die Meisterschaft. Noch ist der Vorjahresfinalist nicht ganz verloren. Ein Coach, der taktische und sonstige Disziplin wieder vorübergehend durchsetzt (wie Doug Shedden letzte Saison nach der Entlassung von Patrick Fischer) hat gute Chancen, in den Playoffs weit zu kommen. Noch immer gehört Lugano zu den talentiertesten Teams der Liga. Letzte Saison kann sich für Lugano wiederholen.
Greg Ireland (51), letzte Saison in Mannheim, dem «Lugano der DEL», gefeuert, hat eine einmalige Chance, die Mannschaft zu ordnen und kurzfristig Ruhm zu erwerben. Mehr als ein paar Monate wird wohl auch er nicht bleiben. Wenn Doug Shedden ein Heldentenor war, dann ist er ein Wiener Sängerknabe. Es ist in Lugano Zeit für die Rückkehr von Ville Peltonen, dem Leitwolf des Meisterteams von 2006. Es ist nicht die Frage ob, sondern nur wann er Heldentenor in dieser Hockey-Oper wird. Aber sein Vertrag in Bern läuft erst 2018 aus. Wenn Greg Ireland die Saison ruhmlos beendet, wird uns Bob Hartley die Wartezeit auf Ville Peltonen verkürzen.